Leitsatz (amtlich)

Der Ersatzanspruch des Geschädigten geht frühestens im Zeitpunkt der Bewilligung von Leistungen an diesen auf die Bundesanstalt für Arbeit über.

 

Normenkette

AFG § 127 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 29.10.1980)

LG Köln

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. Oktober 1980 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Arbeiter M. wurde am 21. August 1975 auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle von einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug angefahren und verletzt. Am 31. Mai 1977 wurde M. von seinem Arbeitgeber als „bauuntauglich” entlassen. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Klägerin, die Bundesanstalt für Arbeit (BAfA), mit Bescheid vom 28. Juni 1977 ab 1. Juni 1977 Arbeitslosengeld. Sie zahlte an ihn in der Folgezeit 4.527,36 DM Arbeitslosengeld und Krankenversicherungsbeiträge. Inzwischen hatte die Beklagte am 22. Juni 1977 wegen aller Ansprüche aus dem Verkehrsunfall mit M. einen Abfindungsvergleich über 7.000 DM geschlossen und den Betrag am 20. Juli 1977 ausgezahlt.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 127 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes – AFG) auf Ersatz ihrer Aufwendungen für M. in Anspruch, und zwar abzüglich von M. während des Rechtsstreits an sie zurückgezahlter 700 DM.

Die Beklagte ist der Auffassung, durch den Abfindungsvergleich seien auch etwaige Ansprüche der Klägerin abgegolten, zumal sie auch keine Kenntnis von einem etwaigen Rechtsübergang von Schadensersatzforderungen des M. auf die Klägerin gehabt habe. Darüber hinaus erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Mit ihrer (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die von der Klägerin geltend gemachte Forderung sei auch Gegenstand des Abfindungsvergleiches zwischen der Beklagten und M. gewesen und damit untergegangen. Dazu erwägt es im wesentlichen:

Der Übergang des Anspruches des unfallbedingt arbeitslos gewordenen Versicherten gegen den Schädiger auf die BAfA vollziehe sich nach dem klaren Wortlaut des § 127 AFG (Übergang insoweit, „als dieser durch die Gewährung von Leistungen … Aufwendungen erwachsen”) nicht bereits im Zeitpunkt des Schadensereignisses, sondern im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungen an den Versicherten. Für eine andere Auslegung sprächen auch nicht die Entstehungsgeschichte und der Gesetzeszweck. Danach hätte ein Ersatzanspruch des M. gegen die Beklagte erst nach Abschluß des Abfindungsvergleiches übergehen können. Aber auch bei anderer Rechtsauffassung wäre, so meint das Berufungsgericht, die Beklagte von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin frei geworden, weil sie bei Vergleichsabschluß keine Kenntnis von einer unfallbedingten Arbeitslosigkeit des M. gehabt habe (§§ 407, 412 BGB).

II.

Das hält im Ergebnis den Revisionsangriffen stand.

1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß der BAfA nach § 127 AFG zustehende Ersatzansprüche bei Gewährung von Leistungen an unfallbedingt arbeitslos gewordene Versicherte nicht schon dem Grunde nach im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses auf sie übergehen (so auch die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur; vgl. neuestens Plagemann, VersR 1982, 218 ff. mit einer umfassenden Darstellung des Meinungsstandes; a.A. etwa Eckert in GK-AFG, § 127, Rdn. 25).

a) Dafür spricht in erster Linie der Wortlaut der Vorschrift, der den Rechtsübergang insoweit anordnet, als der BAfA „für die Gewährung von Leistungen … Aufwendungen erwachsen”. § 127 AFG ist damit ähnlich gefaßt wie § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG, wonach der Anspruch auf den Privatversicherer übergeht, „soweit dieser dem Versicherungsgeber den Schaden ersetzt”, und § 4 Abs. 1 LFZG, wonach Voraussetzung für den Rechtsübergang ist, daß der Arbeitgeber dem Arbeiter „Arbeitsentgelt fortgezahlt … hat”. Die Fassung bringt jeweils zum Ausdruck, daß der Rechtsübergang nicht vor der Erbringung der entsprechenden Leistungen stattfindet (vgl. für den Fall des § 67 Abs. 1 VVG BGHZ 48, 181, 184; zum Lohnfortzahlungsgesetz Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, § 4 Rdn. 2; Wussow, WI, Unfallhaftpflichtrecht, 12. Aufl., TZ 1013 a). Das wird besonders deutlich, wenn der anders lautende Wortlaut des § 1542 Abs. 1 Satz 1 RVO in Betracht gezogen wird. Nach dieser Vorschrift gehen Ersatzansprüche insoweit auf den Sozialversicherungsträger über, als dieser den Versicherten Leistungen „zu gewähren hat”, womit nicht auf die tatsächlich erbrachte Leistung, sondern auf die dem Grunde nach bestehende Leistungspflicht hingewiesen wird. Daraus hat der Bundesgerichtshof dann auch gefolgert, daß die künftige Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers für den Forderungsübergang ausreicht und sich dieser Übergang dem Grunde nach bereits mit dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Ereignis vollzieht (BGHZ 48, 181, 184 ff.; entsprechend für die Regelung des § 87 a BBG Senatsurteil vom 24. März 1964 – VI ZR 179/62 – VersR 1964, 640, 642).

b) Für eine von dem so zu verstehenden Wortsinn abweichende Auslegung, die allenfalls mit dem Wortlaut noch vereinbar wäre, gibt entgegen der Ansicht der Revision die Entstehungsgeschichte des Gesetzes nichts her. § 127 AFG geht auf die frühere Regelung in § 205 AVAVG zurück, die im Arbeitsförderungsgesetz „übernommen” werden sollte (so die amtliche Begründung zu § 123 Satz 1 des Entwurfes BT-Drucks. V/2291 S. 84). § 205 AVAVG lautete freilich wie § 1542 RVO dahin, daß die Ersatzansprüche insoweit auf die BAfA übergehen, als diese den Entschädigungsberechtigten „Leistungen zu gewähren hat”. Die Vorschrift wurde seinerzeit überwiegend dahin verstanden, daß der Rechtsübergang mit der Entstehung der Leistungspflicht der BAfA (also nicht erst mit der tatsächlichen Leistung) erfolge (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Kommentar zum AVAVG, 1961, § 205, Rdn. 5; wohl auch Krebs, AVAVG, 2. Aufl., § 205, Rdn. 99; ebenso bereits OLG Schleswig, VersR 1959, 819 zu § 218 AVAVG a.F.; a.A. – Übergang bereits dem Grunde nach im Zeitpunkt des Schadensereignisses – Sieg, VersR 1969, 1 f. in Anlehnung an BGHZ 48, 181). Auf welchen Erwägungen die gegenüber § 205 AVAVG veränderte Wortfassung des § 127 AFG beruht, ist nicht festzustellen. Möglicherweise ist die Problematik damals nicht erkannt worden. Andererseits gibt es, wie noch auszuführen sein wird, sachliche Gründe, den Rechtsübergang nach dem Arbeitsförderungsgesetz anders zu regeln als in § 1542 RVO. Hinzu kommt, daß, wie aufgezeigt, die Tragweite des § 205 AVAVG hinsichtlich des Zeitpunkts des Rechtsüberganges mindestens umstritten war. Es ist danach jedenfalls zweifelhaft, ob die Vorschrift unverändert in das AFG übernommen werden sollte (ebenso Plagemann a.a.O. S. 220 f.).

c) Der Gesetzeszweck fordert keine andere Auslegung. Anders als in den Fällen des § 1542 RVO ist es nämlich keineswegs die Regel, daß die Verletzung eines Arbeitnehmers aller Voraussicht nach Leistungen der BAfA auslöst (ebenso Gunkel/Hebmüller, Die Ersatzansprüche nach § 1542 RVO, 3. Aufl., S. III – 167; Wussow WI 1969, 159). Der Verletzte wird in den meisten Fällen seinen Arbeitsplatz nicht verlieren, zumal er Kündigungsschutz genießt. Bei dauerndem Verlust der Erwerbsfähigkeit wird meist der zuständige Sozialversicherungsträger einzutreten haben. Deswegen besteht kein schutzwürdiges Interesse der BAfA an einem Rechtsübergang von dem Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses an (vgl. auch Plagemann a.a.O. S. 222, der mit Recht auf das Interesse der unmittelbar Beteiligten an einer schnellen, umfassenden Schadensbereinigung hinweist). Sie wird damit nicht anders behandelt als ein Arbeitgeber, der den Lohn fortzuzahlen hat (§ 4 LFZG) und die Sozialbehörde, die nach § 90 BSHG ebenfalls erst für die Zukunft Ersatzansprüche des Sozialhilfeempfängers auf sich überleiten kann. Sicher wäre auch eine andere gesetzliche Regelung des Rechtsübergangs denkbar. Eine Angleichung im Wege der Auslegung an die Rechtslage, wie sie für Sozialversicherungsträger gilt, ist aber jedenfalls aus zwingenden sachlichen Gründen nicht geboten.

2. Für die Entscheidung des Streitfalles kann es weiter darauf ankommen, ob sich der Rechtsübergang zu Gunsten der BAfA wenigstens in dem Zeitpunkt vollzieht, in dem der Ersatzberechtigte die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz erfüllt (dafür Schönefelder/Kranz/Wanka a.a.O., Rdn. 5; Geffers/Schwarz, AFG, Stand 1979, § 127 Rdn. 3; Gunkel/Hebmüller, a.a.O.), oder erst eintritt, wenn die BAfA die Leistungen bewilligt (so Plagemann a.a.O. S. 220 u. 222; Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 127 Anm. 4; Krebs, AFG, Rdn. 10; ferner Runderlaß der BAfA v. 6. Juni 1969 DBlA S. 673 zu Nr. 8; noch einschränkender Wussow WI 1969, 159, der sich für den Zeitpunkt der tatsächlichen Erbringung der Leistung ausspricht). Die Leistungsvoraussetzungen waren nämlich am 1. Juni 1977 erfüllt, also vor Abschluß des Abfindungsvergleiches vom 22. Juni 1977, während die Bewilligung erst danach am 28. Juni 1977 erfolgte. Frühester Zeitpunkt für den Übergang kann nur die Bewilligung der Leistungen sein. Das legt der Wortlaut des § 127 Abs. 1 Satz 1 AFG nahe, wonach der Übergang sich soweit vollziehen soll, als der BAfA „für die Gewährung von Leistungen” Aufwendungen erwachsen. Leistungen gewährt sie frühestens durch Erlaß eines Bewilligungsbescheides, wenn nicht erst dadurch, daß sie tatsächlich etwas zahlt. Für eine Zurückverlegung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Tag, an dem die Bewilligungsvoraussetzung erstmals vorgelegen hat, besteht vom Wortlaut und Zweck der Regelung her kein Anlaß.

3. Damit hat der Abfindungsvergleich zwischen dem verletzten M. und der Beklagten vom 22. Juni 1977, der eindeutig ausspricht, daß die Vergleichsschließenden den Schadensfall endgültig abschließen und auch etwaige ihnen unbekannte Schäden mitberücksichtigen wollten, Ansprüche des M., die nach diesem Zeitpunkt entstehen würden, ausgeschlossen. Insoweit enthält der Abfindungsvergleich einen Erlaß etwaiger weitergehender Schadensersatzforderungen des Geschädigten, den die Beklagte angenommen hat. Auf die Klägerin konnte am 28. Juni 1977 keine Forderung des M. mehr übergehen, weil eine solche nicht mehr bestand. Die Beklagte schuldete nur noch den aus dem Abfindungsvergleich vereinbarten Betrag von 7.000 DM an M., den sie bezahlt hat. Die Klägerin hat im Wege des Rechtsüberganges keine Ersatzforderung des M. erworben, die sie gegen die Beklagte noch geltend machen könnte. Ihre Klage ist deswegen vom Berufungsgericht mit Recht als unbegründet angesehen worden, ohne daß es auf dessen zusätzliche Erwägung ankommt, daß die Beklagte jedenfalls in Unkenntnis eines Rechtsübergangs auf die Klägerin mit M. den Vergleich abgeschlossen und die Vergleichssumme gezahlt hat, so daß sie auch deswegen gegenüber der Klägerin nach §§ 407, 412 BGB frei geworden sei.

 

Unterschriften

Dunz, Scheffen, Dr. Ankermann, Dr. Deinhardt, Dr. Lepa

 

Fundstellen

Haufe-Index 1760250

BGHZ

BGHZ, 245

NJW 1982, 1763

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