Leitsatz (amtlich)

a) Gegen ein unter Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ergangenes Berufungsurteil findet eine Gehörsrüge in entsprechender Anwendung des § 321a ZPO auch dann nicht statt, wenn das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat, diese Entscheidung aber einer Nichtzulassungsbeschwerde gem. §§ 544 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO unterliegt.

b) Macht eine Prozesspartei nach Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde auf eine mit dem Hinweis auf prozessuale Risiken verbundene Anregung des Berufungsgerichts zusätzlich von einer nach § 321a ZPO nicht statthaften Gehörsrüge Gebrauch, ist diese nicht nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz als zulässig zu behandeln (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 5.11.2003 - VIII ZR 10/03, MDR 2004, 527 = BGHReport 2004, 257 = NJW 2004, 1598).

 

Normenkette

ZPO §§ 321a, 544

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 23.07.2003; Aktenzeichen 2 U 1053/02)

LG Gera

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Jena v. 23.7.2003 aufgehoben.

Die "Gehörsrüge" der Beklagten (§ 321a ZPO) gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Jena v. 14.5.2003 wird als unzulässig verworfen.

Die weiter gehende Revision wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für das Gehörs- und das Revisionsverfahren werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten beider Verfahren trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Auskehr von Zahlungen in Anspruch, welche eine inzwischen auf die Beklagte verschmolzene GmbH auf diverse, im Zuge ihrer Privatisierung an die Klägerin abgetretene Forderungen erhalten hat. Die Beklagte hält dem Klagebegehren einen Gegenanspruch auf Aufwendungsersatz wegen Zahlung auf eine angeblich von der Klägerin übernommene Schuld entgegen.

Das LG hat der Klage entsprochen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 30.4.2003 unterblieb versehentlich eine förmliche Antragstellung, was das Berufungsgericht auch anhand des Sitzungsprotokolls nicht bemerkte. Durch Urteil v. 14.5.2003, der Beklagten zugestellt am 16.5.2003, hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit Schriftsatz an das Berufungsgericht v. 19.5.2003 beantragte die Beklagte Berichtigung des Urteilstatbestandes dahingehend, dass die dortigen Anträge nicht gestellt worden seien. Weiter legte sie am 22.5.2003 Nichtzulassungsbeschwerde bei dem BGH ein.

Mit Schreiben v. 10.6.2003 ersuchte das Berufungsgericht die Beklagte um Mitteilung, ob sie einer Auslegung oder Ergänzung ihres Tatbestandsberichtigungsantrages im Sinne einer Gehörsrüge in entsprechender Anwendung des § 321a ZPO zustimmen könne, was freilich prozessuale Risiken in sich berge. Nach Eingang der Zustimmung der Beklagten trat das Berufungsgericht am 2.7.2003 unter erklärter Anwendung des § 321a ZPO erneut in die mündliche Verhandlung ein, ließ die Berufungsanträge stellen und verhandelte zugleich über den Tatbestandsberichtigungsantrag der Beklagten, dem es mit Beschluss v. 23.7.2003 dahin entsprochen hat, dass die Parteien die nachfolgend aufgeführten Berufungsanträge "angekündigt" hätten. Weiter hat das Berufungsgericht durch Urteil v. 23.7.2003 sein Urteil v. 14.5.2003 aufrechterhalten (analog § 321a Abs. 5 S. 3 i.V.m. § 343 ZPO) und die Revision "im Hinblick auf die Anwendung des § 321a ZPO" zugelassen. Mit ihrer Revision beantragt die Beklagte, dieses sowie das vorangegangene Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Weiter beantragt die Beklagte mit einer "höchst vorsorglich" eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde, die Revision gegen das Berufungsurteil v. 23.7.2003 zuzulassen, soweit dies nicht bereits in diesem Urteil geschehen sein sollte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils v. 23.7.2003 und zur Verwerfung der Gehörsrüge der Beklagten als unzulässig.

I. 1. Die Revision ist zwar gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in vollem Umfang statthaft, weil ihre Zulassung durch das Berufungsgericht nicht wirksam auf die Frage der Anwendbarkeit des § 321a ZPO beschränkt werden konnte. Es handelt sich insoweit nicht um einen abgrenzbaren Teil des Streitstoffs, über den durch Teilurteil oder selbständig anfechtbares Zwischenurteil (§ 280 ZPO) hätte entschieden werden können (zu diesem Erfordernis BGH, Urt. v. 5.11.2003 - VIII ZR 320/02, MDR 2004, 468 = BGHReport 2004, 262; Urt. v. 23.9.2003 - XI ZR 135/02, BGHReport 2003, 1413 = MDR 2004, 105). Ein Zwischenurteil (§ 280 ZPO) über die entsprechende Anwendbarkeit des § 321a ZPO oder über die Zulässigkeit des Verfahrens nach dieser Vorschrift sieht das Gesetz nicht vor. Die unwirksame Beschränkung der Zulassung führt auch nach § 543 ZPO n.F. dazu, dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist (BGH, Urt. v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, MDR 2003, 1190 = BGHReport 2003, 961 = NJW 2003, 2529). Die vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist damit gegenstandslos. Mit ihr könnte die Beklagte aus den nachfolgend unter II 2 dargestellten Gründen ohnehin keinen weiter gehenden Erfolg als mit ihrer Revision erzielen.

2. Die Revision ist auch im Übrigen zulässig. Die Beklagte ist durch das angefochtene Urteil v. 23.7.2003 beschwert, weil dieses das vorangegangene Urteil v. 14.5.2003 entsprechend § 321a Abs. 5 S. 3 i.V.m. § 343 ZPO in der Sache aufrecht erhält und sie daher dessen Aufhebung sowie den erstrebten Erfolg einer Klageabweisung nur über eine Aufhebung des Urteils v. 23.7.2003 erreichen könnte.

II. Das Berufungsgericht meint, der Erlass seines Urteils v. 14.5.2003 ohne vorherige Antragstellung der Parteien habe deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, was durch Fortführung der Verhandlung und nochmalige Sachentscheidung in entsprechender Anwendung des § 321a ZPO zu korrigieren gewesen sei. Diese Vorschrift finde auf Berufungsurteile Anwendung, sofern darin - wie hier im Urteil v. 14.5.2003 - die Revision nicht zugelassen worden sei. Der am 21.5.2003 eingegangene Tatbestandsberichtigungsantrag der Beklagten sei zugleich als (fristgerechte) Gehörsrüge entsprechend § 321a Abs. 2 ZPO auszulegen.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Es kann dahinstehen, ob der unmittelbar nur für die erste Instanz geltende § 321a ZPO über § 525 ZPO in der Berufungsinstanz überhaupt Anwendung finden kann. Jedenfalls kommt die Vorschrift schon ihrem Inhalt nach (Abs. 1 Nr. 1) nur bei nicht rechtsmittelfähigen Entscheidungen zum Tragen (BGH, Urt. v. 5.11.2003 - VIII ZR 10/03, MDR 2004, 527 = BGHReport 2004, 257 = NJW 2004, 1598). Nur in solchem Fall fehlender Überprüfbarkeit der Entscheidung durch eine höhere Instanz eröffnet die Vorschrift dem Gericht - zwecks Entlastung des BVerfG - die Möglichkeit, einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nach Urteilserlass selbst zu korrigieren. Wie die Revision zu Recht rügt, lag ein entsprechender Fall hier nicht deshalb vor, weil das Berufungsgericht die Revision gegen sein Urteil v. 14.5.2003 nicht zugelassen hatte. Das steht einem nicht rechtsmittelfähigen Urteil i.S.v. § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht gleich, weil nach ständiger Rechtsprechung des BGH die Statthaftigkeit der Revision gem. § 543 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Fällen eines vorinstanzlichen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) herbeigeführt werden kann (BGH, Urt. v. 18.7.2003 - V ZR 187/02, BGHReport 2003, 1231 = MDR 2004, 48 = NJW 2003, 3205; Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943; Beschl. v. 19.12.2002 - VII ZR 101/02, MDR 2003, 468 = BGHReport 2003, 347 = NJW 2003, 831; Beschl. v. 1.10.2002 - XI ZR 71/02, MDR 2003, 104 = BGHReport 2002, 1107 = NJW 2003, 65), sofern - wie hier - der gem. § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwerdewert erreicht ist. Wie der BGH (BGH, Urt. v. 5.11.2003 - VIII ZR 10/03, MDR 2004, 527 = BGHReport 2004, 257) bereits entschieden hat, scheidet eine analoge Anwendung des § 321a ZPO im Berufungsverfahren aus, wenn gegen die unter (behaupteter) Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangene Entscheidung die Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) statthaft ist. Für die Nichtzulassungsbeschwerde kann nichts anderes gelten. Die Voraussetzungen für einen Erfolg dieses Rechtsbehelfs gem. §§ 544, 543 Abs. 2 ZPO sind die Gleichen wie für die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO. Dass die Nichtzulassungsbeschwerde kein Rechtsmittel in Bezug auf die Hauptsache ist (Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 544 Rz. 2), ändert nichts daran, dass mit ihr eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Ergebnis erfolgreich geltend gemacht werden kann. Es besteht kein Anlass, daneben eine Gehörsrüge entsprechend § 321a ZPO zuzulassen, was, wie der vorliegende Fall zeigt, zu einer dem Gebot der Rechtsmittelklarheit (BVerfG v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = NJW 2003, 1924) zuwiderlaufenden Häufung von Rechtsbehelfen führen würde, deren Verhältnis zueinander mangels gesetzlicher Regelung unklar und mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen belastet wäre.

2. Sonach fehlte es im vorliegenden Fall an einer entsprechend § 321a ZPO statthaften Gehörsrüge und damit an den prozessualen Voraussetzungen für eine Fortführung des Prozesses gem. § 321a Abs. 5 ZPO sowie für den Erlass des zweiten Berufungsurteils (§ 321a Abs. 5 S. 3 i.V.m. § 343 ZPO) v. 23.7.2003, wie die Revision insoweit zu Recht rügt. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Das eröffnet aber - entgegen der Ansicht der Revision - nicht den Weg zu einer sachlichen Prüfung des vorangegangenen Berufungsurteils v. 14.5.2003. Vielmehr ist die nach § 321a ZPO nicht statthafte Gehörsrüge der Beklagten von Amts wegen als unzulässig zu verwerfen (vgl. § 321a Abs. 4 S. 2 ZPO). Insoweit gilt hier entsprechendes wie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts im Fall eines vorinstanzlichen Urteils gem. § 344 ZPO, durch das ein Versäumnisurteil trotz unzulässigen Einspruchs aufrechterhalten worden ist (RGZ 110, 169; BGH, Urt. v. 21.6.1976 - III ZR 22/75, NJW 1976, 1940; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 341 Rz. 8).

a) Dem steht das Verbot einer Änderung des angefochtenen Urteils zum Nachteil des Rechtsmittelklägers (§§ 528 Abs. 2, 557 ZPO) nicht entgegen, weil die Verwerfung der Gehörsrüge die Beklagte nicht mehr beschwert als die Aufrechterhaltung des Ersten durch das zweite Berufungsurteil, dessen Aufhebung sie immerhin erreicht.

b) Ebenso wenig steht der Verwerfung der Gehörsrüge hier der Meistbegünstigungsgrundsatz in seiner Ausprägung durch das Urteil des BGH v. 5.11.2003 (BGH v. 5.11.2003 - VIII ZR 10/03, MDR 2004, 527 = BGHReport 2004, 257 = NJW 2004, 1598; v. 16.10.2002 - VIII ZB 27/02, BGHZ 152, 213 = MDR 2003, 285 = BGHReport 2003, 202) entgegen. Danach darf es einer Partei nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie auf Anregung des Gerichts den falschen anstelle des statthaften Rechtsbehelfs (Gehörsrüge statt Rechtsbeschwerde) ergreift. Demgegenüber hat die Beklagte des vorliegenden Falles vor Einleitung des Gehörsverfahrens entsprechend § 321a ZPO fristgerecht den richtigen Rechtsbehelf, nämlich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (II ZR 162/03), mit der sie die angebliche Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend machen konnte und geltend gemacht hat. Sie hat mit ihrer Zustimmung zu dem von dem Berufungsgericht vorgeschlagenen Verfahren entsprechend § 321a ZPO nur von einem vermeintlich zusätzlichen Rechtsbehelf Gebrauch gemacht und war vom Berufungsgericht auf prozessuale Risiken dieses Vorgehens hingewiesen worden. Mit der - auch von ihr selbst beantragten - Aufhebung des unzulässigerweise ergangenen zweiten Berufungsurteils muss zwangsläufig eine Entscheidung über die - unzulässige - Gehörsrüge einhergehen. Sie als zulässig zu behandeln, besteht hier kein Anlass, weil die Beklagte daneben von dem einzig statthaften Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das erste Berufungsurteil Gebrauch gemacht hat, hiervon also durch das Berufungsgericht nicht abgehalten wurde, und es nicht Sinn des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist, eine Prozesspartei zum Nachteil der anderen in prozessualer Hinsicht besser zu stellen, als sie bei korrekter Entscheidung bzw. bei prozessual richtigem Vorgehen des Gerichts stünde (BGH v. 19.12.1996 - IX ZB 108/96, MDR 1997, 495 = NJW 1997, 1448; v. 20.4.1993 - BLw 25/92, MDR 1994, 307 = NJW-RR 1993, 965; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., vor § 511 Rz. 32). Eine Rechtsbehelfsvermehrung steht nicht zur Disposition des Gerichts.

c) Da die vorliegende Revision gegen das zweite Berufungsurteil zur Verwerfung der Gehörsrüge der Beklagten führt, könnten auch die mit der vorsorglich eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde gegen das zweite Berufungsurteil geltend gemachten Zulassungsgründe mangels Entscheidungserheblichkeit in vorliegender Sache nicht zum Zuge kommen. Über die entsprechenden, mit der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gegen das erste Berufungsurteil geltend gemachten Zulassungsgründe - unter Einschluss der Rüge einer angeblichen Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG wegen fehlender Antragstellung - hatte der Senat in der Sache - II ZR 162/03, zu entscheiden.

IV. Gerichtskosten für das Gehörsverfahren (§ 321a ZPO) und das Revisionsverfahren werden gem. § 8 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG n.F. nicht erhoben. Ohne die verfehlte Anregung des Berufungsgerichts, die zudem auch erst nach Ablauf der Frist für eine - in dem Tatbestandsberichtigungsantrag der Beklagten noch nicht enthaltene - Gehörsrüge (§ 321a Abs. 2 S. 2 ZPO) erfolgt ist, wäre es zu dem Gehörs- und dem vorliegenden Revisionsverfahren nicht gekommen. Die außergerichtlichen Kosten beider Verfahren trägt die Beklagte, weil ihre Revision nur zur Verwerfung der Gehörsrüge führte und die Aufhebung des angefochtenen Urteils unter diesen Umständen allenfalls ein geringfügiges Obsiegen ohne den erstrebten sachlichen Erfolg bedeutet (§ 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

 

Fundstellen

BGHZ 2005, 343

DStR 2005, 564

NJW 2005, 680

BGHR 2005, 534

EBE/BGH 2005, 3

FamRZ 2005, 606

FA 2005, 84

JR 2005, 455

WM 2005, 343

MDR 2005, 586

LMK 2005, 93

ProzRB 2005, 125

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