Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitverkündung. Unterbrechung der Verjährung. Erlass des Nichtannahmebeschlusses. Bindungswirkung bei Einlegung in das Postfach durch Geschäftsstelle

 

Leitsatz (amtlich)

Nicht zu verkündende Entscheidungen werden erlassen in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich ihrer in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat. Dies setzt voraus, dass der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden.

 

Normenkette

ZPO § 329

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 28.03.2003; Aktenzeichen 16 U 139/02)

LG Düsseldorf

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 28.3.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte den verklagten Rechtsanwalt beauftragt, ihr gegen Dritte zustehende Ansprüche zu verfolgen. Sie entzog ihm im Juli 1995 das Mandat und ließ die Ansprüche durch andere Rechtsanwälte gerichtlich geltend machen. Während dieses Prozesses trafen die Klägerin und der Beklagte am 17.9./14.10.1996 eine "Streitverkündungsabrede". In der Berufungsinstanz wurde die Klage vollumfänglich wegen Verjährung abgewiesen. Die Revision der Klägerin nahm der BGH durch Beschluss v. 11.11.1998 nicht an. Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 16.11.1998 zugestellt.

Am 14.5.1999 hat die Klägerin die vorliegende Klage auf Zahlung von Schadensersatz i. H. v. 1.003.474 DM eingereicht, die sie nunmehr noch i. H. v. 403.464,48 EUR weiterverfolgt. Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben, das OLG hat sie abgewiesen (OLG Düsseldorf v. 28.3.2003 - 16 U 159/02, OLGReport Düsseldorf 2004, 55). Dagegen richtet sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel der Klägerin führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von dem Beklagten erhobene Verjährungseinrede greife durch. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 51b BRAO sei spätestens drei Jahre nach der Beendigung des dem Beklagten erteilten Mandats, also im Juli 1998, abgelaufen. Die am 14.5.1999 eingereichte Klage habe den Lauf der Frist nicht mehr gem. § 209 Abs. 1 BGB a. F. unterbrechen können. Der Beklagte müsse sich auch nicht im Hinblick auf die zwischen den Parteien getroffene Streitverkündungsabrede so behandeln lassen, als sei die Verjährungsfrist gem. § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a. F. unterbrochen worden. Denn die vorliegende Klage sei nicht binnen sechs Monaten nach Beendigung des Vorprozesses erhoben worden (§ 215 Abs. 2 BGB a. F.). Dieser sei mit Erlass des Nichtannahmebeschlusses des BGH rechtskräftig beendet worden. Der Nichtannahmebeschluss sei erlassen worden, als er mit dem Willen des BGH aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten sei. Dies sei am 11.11.1998 geschehen, als der Beschluss in das Postausgangsfach der Geschäftsstelle gelangt sei. Auf den Tag der Zustellung des Beschlusses komme es nicht an. Ein Anerkenntnis der Klageforderung (§ 208 BGB a. F.) liege nicht vor. Ebensowenig sei ein Verzicht des Beklagten auf die Einrede der Verjährung festzustellen.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Klageanspruch ist nicht verjährt. Auf Grund der zwischen den Parteien getroffenen Streitverkündungsabrede muss sich der Beklagte in dem Verhältnis zur Klägerin so behandeln lassen, wie wenn ihm im Vorprozess der Streit verkündet worden wäre. Eine Streitverkündung hätte die Unterbrechungswirkung gem. § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a. F. gehabt. Denn die vorliegende Klage ist binnen sechs Monaten nach Beendigung des Vorprozesses erhoben worden (§ 215 Abs. 2 BGB a. F.).

1. Nach dem - im Streitfall noch anzuwendenden - § 215 Abs. 2 S. 1 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung gilt die Unterbrechung der Verjährung durch Streitverkündung (§ 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a. F.) als nicht erfolgt, wenn nicht binnen sechs Monaten nach der Beendigung des Prozesses Klage auf Befriedigung oder Feststellung des Anspruchs erhoben wird. Wann ein Prozess beendet wird, falls der BGH die Annahme einer Revision durch - nicht zu verkündenden - Beschluss ablehnt (§ 554b Abs. 3 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung), ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Der BGH hat sich einerseits dafür ausgesprochen, bereits mit der Ablehnung der Annahme werde das angefochtene Urteil rechtskräftig (BGH, Beschl. v. 24.6.1980 - KZR 12/79, MDR 1981, 26 = NJW 1981, 55; Urt. v. 4.7.1980 - V ZR 37/78, WM 1980, 1350 [1351]), andererseits hat er geäußert, die Prozessbeendigung trete erst mit der Zustellung des Nichtannahmebeschlusses ein (BGH, Urt. v. 1.7.1986 - VI ZR 120/85, MDR 1987, 42 = NJW 1987, 371). Im vorliegenden Fall bedarf diese Streitfrage keiner Entscheidung.

2. Bei Klageeinreichung am 14.5.1999 war die sechsmonatige Frist des § 215 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. selbst dann noch nicht abgelaufen, wenn man auf den Zeitpunkt des Erlasses des Nichtannahmebeschlusses abstellt.

a) Ein nicht zu verkündender Beschluss ist dann erlassen, wenn er mit dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist (BGH BGHZ 12, 248 [252]; v. 24.11.1982 - VIII ZR 286/81, BGHZ 85, 361 [364] = MDR 1983, 224; v. 19.9.1996 - IX ZR 277/95, BGHZ 133, 307 [310] = MDR 1997, 156; Beschl. v. 27.10.1999 - XII ZB 18/99, NJW-RR 2000, 877 [878]). Dafür kann es ausreichen, dass der Geschäftsstellenbeamte den Beschluss in den äußeren Geschäftsgang gegeben hat (RG RGZ 160, 307 [309 f.]; BGH v. 24.11.1982 - VIII ZR 286/81, BGHZ 85, 361 [364] = MDR 1983, 224). Der Übergang vom inneren Geschäftsbetrieb zum äußeren Geschäftsgang ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht sich der Entscheidung entäußert hat. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit verkündeten Entscheidungen. Diese werden mit der in öffentlicher Sitzung erfolgenden Verkündung existent und bindend, weil sie nunmehr aus dem inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts heraustreten (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 705 Rz. 4; Musielak in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 310 Rz. 1, § 318 Rz. 1; Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 310 Rz. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 310 Rz. 1; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 310 Rz. 1). Wenn die Öffentlichkeit hergestellt war, kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung in Anwesenheit der Parteien verkündet worden ist. Ab dem Zeitpunkt der Verkündung kann das Gericht seine Entscheidung nicht mehr verändern. Dementsprechend werden nicht zu verkündende Entscheidungen existent und bindend in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich ihrer in einer vergleichbaren Weise entäußert hat. Dies ist noch nicht der Fall, wenn der Geschäftsstellenbeamte den Nichtannahmebeschluss auf den Abtrag gelegt hat. Er könnte ihn dort wieder wegnehmen. Um eine Bindungswirkung für das Gericht anzunehmen, genügt es auch nicht, dass der Beschluss bei der Geschäftsstelle abgetragen wurde, damit in der Kanzlei die an die Parteien zu versendenden Ausfertigungen mit den Empfangsbekenntnissen vorbereitet werden. Dies alles gehört noch zum inneren Geschäftsbetrieb. Erforderlich ist, dass der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Ausfertigung des Beschlusses in das Gerichtsfach eines Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist, aber auch schon dann, wenn der Gerichtswachtmeister eine Ausfertigung bei der Geschäftsstelle abgetragen hat, um sie in das Gerichtsfach des Prozessbevollmächtigten einzulegen oder zur Post(-stelle) zu geben.

Ob eine Selbstbindung des Gerichts - mit der Folge, dass die Entscheidung bereits als erlassen gilt, obwohl sie sich noch im inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts befindet - bereits dann angenommen werden kann, wenn auf Anfrage das "Ergebnis" telefonisch bekannt gegeben wird (vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.1999 - XII ZB 18/99, NJW-RR 2000, 877 [878]), braucht der Senat nicht zu entscheiden.

b) Im vorliegenden Fall ist der im Vorprozess ergangene Nichtannahmebeschluss des BGH entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht bereits am 11.11., sondern frühestens am 13.11.1998 "herausgegeben" worden.

Wie sich aus den Akten ergibt, ist der Nichtannahmebeschluss von den Richtern am 11.11.1998 unterschrieben worden. Die Schlussverfügung des BGH, mit welcher u. a. die Kanzlei angewiesen wurde, Ausfertigungen und Abdrucke an die Prozessbevollmächtigen zu fertigen, datiert v. 12.11.1998 und der Erledigungsvermerk der Kanzlei v. 13.11.1998. Das von der Kanzlei vorbereitete Empfangsbekenntnis gem. § 212a ZPO trägt ebenfalls das Datum v. 13.11.1998. Ausfertigungen, Abdrucke und Empfangsbekenntnis können folglich frühestens am 13.11.1998 die Geschäftsstelle mit dem Ziel verlassen haben, sie in das Gerichtsfach der Prozessbevollmächtigten der Parteien einzulegen oder zur Poststelle zu geben.

2. Die sechsmonatige Frist des § 215 Abs. 2 BGB a. F. konnte somit nicht vor dem 13.5.1999 ablaufen (§ 222 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Dieser Tag war ein gesetzlicher Feiertag (Christi Himmelfahrt), so dass die Frist frühestens am 14.5.1999 endete (§ 222 Abs. 2 ZPO). An diesem Tage wurde jedoch die Klage eingereicht.

3. Für die Unterbrechungswirkung (§ 209 Abs. 1 BGB a. F.) unschädlich ist, dass die Klage erst am 19.7.1999 zugestellt wurde. Dies war noch "demnächst" i. S. v. § 270 Abs. 3 ZPO a. F., weil die Verzögerung von der Klägerin allenfalls in unerheblicher Weise zu vertreten war. Mit der Klageeinreichung hatte diese zunächst einmal alles getan, was von ihrer Seite erforderlich war, um die Verjährungsfrist zu unterbrechen, zumal sie einen Verrechnungsscheck in Höhe des Gerichtskostenvorschusses i. H. v. 18.616 DM beigefügt hatte.

Der Zeitraum, der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts entfällt, wird dem Kläger nicht zugerechnet (BGH, Urt. v. 20.4.2000 - VII ZR 116/99, NJW 2000, 2282). Allerdings muss ein Kläger, der seinerseits zunächst alles Erforderliche getan hat, unter Umständen auch später noch einer Verzögerung der Zustellung entgegentreten (vgl. Musielak/Wolst, § 167 ZPO Rz. 8). Droht eine solche aus unerklärlichen Gründen, muss er sich bei dem Gericht nach den Ursachen erkundigen (vgl. BGH BGHZ 69, 361 [364]; Zöller/Greger, § 167 ZPO Rz. 15; Musielak/Wolst, § 167 ZPO Rz. 8). Eine derartige Pflicht erwächst ihm aber grundsätzlich nicht vor Ablauf von einem Monat (vgl. OLG Hamm v. 21.1.1998 - 20 U 144/97, OLGReport Hamm 1998, 214 = NJW-RR 1998, 1104; OLG Hamburg NVersZ 2002, 133, wo sogar im Falle der zunächst unterbliebenen Zahlung dem Prozessbevollmächtigten zugebilligt wurde, drei Wochen auf die gerichtliche Zahlungsanforderung zu warten), und schädlich wird das Unterlassen einer Nachfrage nicht vor Ablauf von weiteren zwei Wochen (BGH, Urt. v. 9.11.1994 - VIII ZR 327/93, MDR 1995, 307 = NJW-RR 1995, 254; v. 12.1.1996 - V ZR 246/94, MDR 1996, 737 = NJW 1996, 1060 [1061], insofern in BGHZ 131, 376 ff. nicht abgedr.; Urt. v. 20.4.2000 - VII ZR 116/99, NJW 2000, 2282).

Im vorliegenden Fall hätte der Klägerin deshalb eine unterlassene Nachfrage erst ab Ende Juni 1999 geschadet. Bereits am 28.6.1999 hat die Geschäftsstelle des LG jedoch die Absendung des der Klageschrift beigefügten Schecks an die Gerichtskasse veranlasst; am 2.7.1999 wurde er eingelöst. Am 12.7.1999 wurde die Zustellung der Klage verfügt und früher erster Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Nachfrage der Klägerin Ende Juni 1999 eine größere Beschleunigung bewirkt hätte.

III.

Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die Berechtigung der Klage in der Sache geprüft wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1150574

BGHR 2004, 1053

FamRZ 2004, 1368

NJW-RR 2004, 1575

JurBüro 2004, 565

MDR 2004, 1076

Rpfleger 2004, 506

GuT 2004, 189

BRAK-Mitt. 2004, 159

ProzRB 2004, 273

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