Entscheidungsstichwort (Thema)

Existentwerden eines Sorgerechtsbeschlusses mit fernmündlicher Bekanntgabe

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine nicht zu verkündende Beschwerdeentscheidung über das Sorgerecht wird bereits mit formloser Mitteilung an die Beteiligten (hier: durch telefonische Unterrichtung) existent. Ab diesem Zeitpunkt kann der Beschluss nicht mehr „abgeändert” werden, auch wenn er den inneren Geschäftsbereich des Gerichts noch nicht durch Weggabe in den Postgang verlassen hat.

 

Normenkette

FGG § 16 Abs. 1; ZPO § 329 Abs. 2 S. 1, § 621 Abs. 1 Nr. 1, § 621a Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt vom 30. Dezember 1998 aufgehoben.

Für das Verfahren der weiteren Beschwerde werden Gerichtskosten nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten werden insoweit gegeneinander aufgehoben (§§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG, 93 a Abs. 1 ZPO).

Wert: 1.500 DM.

 

Gründe

I.

Der 1964 geborene Antragsteller (Vater) und die 1973 geborene Antragsgegnerin (Mutter) streiten um die elterliche Sorge für ihren am 16. Juni 1994 geborenen Sohn Florian. Nach der Trennung der Eltern im Juni 1995 wurde durch Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – vom 14. Juni 1996 für die Dauer des Getrenntlebens der Eltern gemäß §§ 1672, 1671 BGB a.F. die elterliche Sorge für den Sohn auf die Mutter übertragen. Eine Beschwerde des Vaters gegen den Beschluß blieb ohne Erfolg.

Im anschließenden Ehescheidungsverfahren wurde durch Verbundurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – vom 16. April 1998 die Ehe der Eltern geschieden (insoweit rechtskräftig) und unter anderem die elterliche Sorge für den Sohn Florian gemäß § 1671 BGB a.F. auf den Vater übertragen. Gegen die Sorgerechtsregelung legte die Mutter Beschwerde ein, mit der sie geltend machte, daß der Sohn seit der Geburt und auch ununterbrochen seit der Trennung der Eltern bei ihr lebe und daß deshalb der Gesichtspunkt der Kontinuität von Betreuung und Erziehung Vorrang haben müsse vor den vom Amtsgericht für die Entscheidung zugunsten des Vaters herangezogenen Gesichtspunkten. Der Vater beantragte mit Schriftsatz vom 31. Juli 1998, „die Berufung zurückzuweisen”, da die vom Familiengericht getroffene Entscheidung dem Kindeswohl am besten entspreche; dabei betonte er, eine gemeinsame Erziehungsverantwortung sei im vorliegenden Fall nicht praktikabel und würde dem Kindeswohl nicht entsprechen.

Das Oberlandesgericht ordnete Termin zur Anhörung der Eltern, des Kindes und der Sachverständigen S. (die im Verfahren ein schriftliches Gutachten erstattet hatte) auf den 19. November 1998 an. In diesem Termin verkündete das Gericht nach Durchführung der Anhörungen den Beschluß, eine Entscheidung werde den Beteiligten im Laufe der nächsten Woche zugehen. Am 26. November 1998 faßte das Oberlandesgericht den Beschluß, die Beschwerde der Antragsgegnerin auf ihre Kosten zurückzuweisen; die weitere Beschwerde wurde nicht zugelassen. Nachdem der Beschluß, versehen mit den Unterschriften der mitwirkenden Richter, am 26. November 1998 zur Geschäftsstelle gelangt war, erhielt der Vorsitzende des Senats eine telefonische Anfrage der erstinstanzlichen Bevollmächtigten des Vaters nach dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens. Er teilte der Anwältin – gemäß einem von ihm am 30. November 1998 über den Vorgang gefertigten internen Vermerk – mit, der Senat habe an diesem Tag beschlossen, daß das Sorgerecht auf den Vater übertragen werde. Anschließend informierte der Senatsvorsitzende telefonisch auch das Rechtsanwaltsbüro der Bevollmächtigten der Mutter von der getroffenen Senatsentscheidung. Ebenfalls am 26. November 1998 verlas der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auf fernmündliche Anfrage des zweitinstanzlichen Bevollmächtigten des Vaters diesem die Beschlußformel.

Am 30. November 1998 wandte sich die Bevollmächtigte der Mutter telefonisch an den Senatsvorsitzenden und teilte mit, daß der Vater das Kind am vergangenen Besuchswochenende nicht zur Mutter zurückgebracht habe, diese sei „aufgelöst”. Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 1998 beantragte die Mutter sodann bei dem Oberlandesgericht, die Entscheidung vom 26. November 1998 gemäß § 1696 BGB abzuändern und das Sorgerecht ihr zur alleinigen Ausübung zu übertragen sowie den Vater zu verurteilen, das Kind an sie herauszugeben. Daraufhin wurde der Beschluß vom 26. November 1998 auf Anordnung des Senatsvorsitzenden nicht mehr an die Beteiligten übersandt.

Das Oberlandesgericht bestimmte Termin zur erneuten Anhörung der Eltern und ihrer Bevollmächtigten auf den 18. Dezember 1998 und teilte dabei mit: Da der Senatsbeschluß vom 26. November 1998 wegen der Erkrankung der Kanzleiangestellten noch nicht den Geschäftsbereich des Senats verlassen habe, sei der Senat befugt, (erneut) über die Beschwerde der Mutter gegen die amtsgerichtliche Sorgerechtsentscheidung vom 16. April 1998 zu befinden.

In dem Termin vom 18. Dezember 1998 wurden die Beteiligten angehört sowie die Sach- und Rechtslage erörtert. Durch Beschluß vom 30. Dezember 1998 entschied das Oberlandesgericht sodann unter Anwendung des § 1696 BGB, daß – in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung vom 16. April 1998 – die elterliche Sorge für den Sohn Florian weiterhin der Mutter als alleiniges Sorgerecht übertragen bleibe; dem Vater wurde unter Zwangsandrohung aufgegeben, das Kind an die Mutter herauszugeben.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Vater mit der zugelassenen weiteren Beschwerde, mit der er die Aufrechterhaltung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses vom 26. November 1998 erstrebt.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Der angefochtene Beschluß vom 30. Dezember 1998 ist unter Verletzung des Verfahrensrechts ergangen und unterliegt daher der Aufhebung. Das Rechtsmittelverfahren vor dem Oberlandesgericht war mit Erlaß des Beschlusses vom 26. November 1998 beendet. Für eine weitere, abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts war danach kein Raum mehr.

Der Beschluß vom 26. November 1998 war entgegen der in dem angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung mit der fernmündlichen Bekanntgabe an die Verfahrensbevollmächtigten beider Eltern existent geworden mit der Folge, daß das Oberlandesgericht an die getroffene Entscheidung gebunden und nicht mehr zu ihrer Abänderung berechtigt war.

1. Das Verfahren in den Familiensachen unter anderem des § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO – Regelung der elterlichen Sorge für ein Kind – bestimmt sich gemäß § 621 a Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich nach den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Allerdings treten an die Stelle unter anderem des § 16 Abs. 2 und Abs. 3 FGG die für das zivilprozessuale Verfahren maßgeblichen Bestimmungen.

Nach der damit auch für die Folgesachen betreffend die elterliche Sorge anwendbaren Regelung des § 16 Abs. 1 FGG werden gerichtliche Verfügungen, d.h. gerichtliche Entscheidungen, die bestimmt und geeignet sind, eine rechtliche Wirkung für die Beteiligten zu äußern (vgl. Keidel/Schmidt FGG 14. Aufl. § 16 Rdn. 1), mit der Bekanntgabe an denjenigen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind, wirksam. Die Form, in der die Bekanntgabe erfolgt, bestimmt sich abweichend von § 16 Abs. 2 und Abs. 3 FGG nach der zivilprozessualen Regelung des § 329 ZPO.

a) Nach § 329 Abs. 1 ZPO müssen Beschlüsse, die aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehen, verkündet werden. Diese Voraussetzung war indessen entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Termin vor dem Oberlandesgericht vom 19. November 1998 war ein Anhörungstermin nach § 50 a FGG. Als solcher diente er in erster Linie der Sachaufklärung gemäß § 12 FGG und darüber hinaus – nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 11. Juli 1984 - IVb ZB 73/83 = FamRZ 1985, 169, 172) – auch der Sicherstellung des rechtlichen Gehörs. Der Termin war jedoch anders als etwa in den Fällen der §§ 53 a Abs. 1 Satz 1 und 53 b Abs. 1 FGG nicht zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Auch wenn in dem Termin die Anträge aus den Schriftsätzen gestellt wurden, bedeutete dies keine mündliche Verhandlung im Sinne der Zivilprozeßordnung gemäß § 128 Abs. 1 ZPO. Denn die mündliche Verhandlung der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat nicht die Funktion und Bedeutung des § 128 Abs. 1 ZPO (vgl. Johannsen/Henrich/Brudermüller Eherecht 3. Aufl. § 53 b FGG Rdn. 5; Bassenge/Herbst FGG 5. Aufl. Einl. III Anm. 4 b), so wie das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohnehin nicht den strengen Regeln des zivilprozessualen Verfahrens folgt (vgl. Keidel/Kahl FGG aaO Vorbem. vor §§ 8-18 Rdn. 7 ff.). Danach war eine Verkündung des Beschlusses vom 26. November 1998 (§§ 329 Abs. 1, 128 ZPO) – in öffentlicher Sitzung (§§ 310 Abs. 1 ZPO, 173 Abs. 1 GVG, vgl. MünchKomm/Musielak ZPO § 310 Rdn. 6) – nicht geboten und im übrigen auch vom Oberlandesgericht nicht vorgesehen.

b) Entscheidungen, die einen Vollstreckungstitel bilden – was bei dem Beschluß vom 26. November 1998 nicht der Fall ist –, sowie Entscheidungen, die eine Terminsbestimmung enthalten oder eine Frist in Lauf setzen, müssen nach § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO zugestellt werden. Der Wortlaut des Gesetzes spricht an sich dafür, daß die allein in Betracht kommende letztgenannte Voraussetzung hier ebenfalls nicht erfüllt ist, da das Oberlandesgericht in dem Beschluß vom 26. November 1998 weder die weitere Beschwerde zugelassen noch die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen hat (§ 621 e Abs. 2 Sätze 1 und 2, Abs. 3 ZPO). Ob allerdings in entsprechender Anwendung der in dem Senatsurteil BGHZ 109, 211 ff. dargelegten Grundsätze trotz fehlender Zulassung gleichwohl eine Frist in Gang gesetzt wurde, braucht hier nicht entschieden zu werden.

c) Der Beschluß ist den Beteiligten nämlich jedenfalls formlos mitgeteilt worden (§ 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hierfür genügte, da keine bestimmte Form einzuhalten war, auch die fernmündliche Unterrichtung (vgl. BGHZ 14, 148, 152 m. Anm. Johannsen LM § 519 ZPO Nr. 19; BGH Beschluß vom 30. Mai 1956 - VI ZB 12/56 = LM § 329 Nr. 2; BGHZ 93, 300, 305; MünchKomm/Musielak aaO § 329 Rdn. 8 m. Fn. 29; Zöller/Vollkommer ZPO 21. Aufl. § 329 Rdn. 15; Stein/Jonas/Roth ZPO 21. Aufl. § 329 Rdn. 27; Thomas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 329 Rdn. 7), über die der Senatsvorsitzende im vorliegenden Fall einen ausführlichen schriftlichen Aktenvermerk niedergelegt hat (vgl. hierzu MünchKomm/Musielak aaO).

Mit der formlosen Mitteilung an die (Verfahrensbevollmächtigten der) Eltern wurde der Beschluß vom 26. November 1998 entgegen der Auffassung des angefochtenen Beschlusses existent, damit für das Oberlandesgericht bindend und konnte von ihm nicht mehr abgeändert werden (vgl. Stein/Jonas/Roth aaO § 329 Rdn. 32; MünchKomm/Musielak aaO § 329 Rdn. 5 und 10; Zöller/Vollkommer aaO § 329 Rdn. 10 und 18).

Das gilt unabhängig davon, ob der Beschluß an sich nach § 329 Abs. 1 ZPO hätte verkündet oder nach § 329 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 ZPO hätte zugestellt werden müssen. Auch unter diesen Voraussetzungen wäre er durch die formlose Mitteilung an die Eltern jedenfalls existent und damit für das Oberlandesgericht unabänderbar geworden (vgl. Musielak, aaO; Stein/Jonas/Roth aaO Rdn. 31; Zöller/Vollkommer aaO Rdn. 18).

2. Soweit in dem angefochtenen Beschluß die Auffassung vertreten wird, der Beschluß vom 26. November 1998 sei noch nicht existent geworden, da er wegen Erkrankung der zuständigen Kanzleikraft nicht habe ausgefertigt und zugestellt werden können, daher auch nicht in den allgemeinen Postverkehr gegeben worden und mithin ein gerichtsinterner Vorgang geblieben sei, ist dem nicht zu folgen. Eine Entscheidung wird existent, wenn sie „dem Einfluß des Gerichts entzogen und dadurch kein innerer Vorgang mehr ist” (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozeßrecht 15. Aufl. § 60 III 2 b S. 330 m.N.), das heißt, wenn sie – mit dem Willen des Gerichts – aus dem inneren Geschäftsbetrieb hinaustritt und nach außen als erlassener Beschluß erkennbar wird (vgl. BGHZ 25, 60, 66; Musielak aaO Rdn. 7; Zöller/Vollkommer aaO § 329 Rdn. 18 m.N.). Das ist im vorliegenden Fall mit der fernmündlichen Unterrichtung der Eltern über den Inhalt der am 26. November 1998 gerichtlich getroffenen Entscheidung durch den Senatsvorsitzenden und mit der Verlesung der Beschlußformel durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geschehen, ohne daß das Existentwerden des Beschlusses von seiner Verlautbarung gegenüber allen Beteiligten, also auch den mit der Sache befaßten Jugendämtern, abhing.

An dieser rechtlichen Beurteilung vermögen die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluß nichts zu ändern, daß weder der Senatsvorsitzende noch der Geschäftsstellenbeamte bei ihren „informellen Mitteilungen” an die Verfahrensbevollmächtigten die erkennbare Absicht gehabt hätten, den Beschluß vom 26. November 1998 auf diese Weise hinauszugeben; die informelle Bekanntgabe sei nur als Entgegenkommen gegenüber der drängenden Nachfrage der Bevollmächtigten des Vaters gedacht gewesen. Aus welchen Motiven und mit welcher Absicht die Mitteilung des Beschlusses vom 26. November 1998 erfolgte, ist für das Existentwerden der Entscheidung ohne Bedeutung. Maßgeblich ist vielmehr der objektive Umstand, daß der Inhalt der von den Mitgliedern des Senats beschlossenen, schriftlich abgefaßten und mit ihren Unterschriften versehenen Entscheidung den Bevollmächtigten der Parteien ausdrücklich und bewußt – und in diesem Sinn mit dem Willen des Gerichts – bekanntgegeben wurde.

Mit der Existenz des Beschlusses vom 26. November 1998 war das Beschwerdeverfahren beendet. Für den Erlaß einer weiteren, von dem Beschluß abweichenden Beschwerdeentscheidung fehlte es, wie das Oberlandesgericht insoweit selbst nicht verkennt, an einer rechtlichen Grundlage.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 539545

FamRZ 2000, 813

NJW-RR 2000, 877

DAVorm 2000, 158

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