Leitsatz (amtlich)

Die Angabe eines falschen erstinstanzlichen Aktenzeichens steht dem fristgerechten Eingang einer Beschwerdebegründungsschrift nicht entgegen, wenn aufgrund der sonstigen erkennbaren Umstände die Zuordnung zu dem Beschwerdeverfahren zweifelsfrei möglich ist (im Anschluss an BGH BGHZ 165, 371 = FamRZ 2006, 543).

 

Normenkette

FamFG § 117 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Beschluss vom 11.11.2015; Aktenzeichen II-12 UF 186/15)

AG Dortmund (Beschluss vom 17.07.2015; Aktenzeichen 114 F 2130/13)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 12. Senats für Familiensachen des OLG Hamm vom 11.11.2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Wert: 3.392 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beteiligten streiten um Kindes- und Trennungsunterhalt sowie - in einem Parallelverfahren - um nachehelichen Unterhalt.

Rz. 2

Mit Beschluss des AG vom 17.7.2015 ist der Antragsgegner zur Zahlung von Kindes- und Trennungsunterhalt verpflichtet worden. Gegen diesen am 22.7.2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 23.7.2015 Beschwerde beim AG eingelegt. Mit Schriftsatz vom 20.9.2015 hat der Antragsgegner die Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss begründet und beantragt, den "Beschluss des AG - FamG - Dortmund vom 17.7.2015 - 114 F 2130/13" abzuändern und die Anträge der Antragstellerin abzuweisen. In diesem Schriftsatz ist auf der ersten Seite als Aktenzeichen I. Instanz das Aktenzeichen des parallelen Verfahrens (114 F 2128/13) betreffend den nachehelichen Unterhalt genannt.

Rz. 3

Das Beschwerdegericht hat das Rechtsmittel wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist verworfen, weil die Beschwerdebegründung vom 20.9.2015 nach dem dort angegebenen Aktenzeichen nur das Verfahren über den nachehelichen Unterhalt betreffe. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

II.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des BGH ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Denn der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BGH v. 27.7.2016 - XII ZB 53/16 - FamRZ 2016, 1681 Rz. 3 m.w.N.).

Rz. 5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Die vom Beschwerdegericht angeführte Begründung trägt die Verwerfung der Beschwerde nicht.

Rz. 6

a) Entgegen der Ansicht des OLG durfte die Beschwerdebegründung vom 20.9.2015 im vorliegenden Verfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Insoweit ist zwar nicht festgestellt, wann die Beschwerdebegründung beim OLG eingegangen ist, und es ist anhand der Akte auch nicht nachvollziehbar, wann die Beschwerde beim AG eingelegt wurde. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist insoweit aber zu unterstellen, dass die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde jeweils gewahrt sind.

Rz. 7

Die Angabe eines falschen erstinstanzlichen Aktenzeichens steht für sich genommen dem (fristgerechten) Eingang der Beschwerdebegründung nicht entgegen (vgl. BGH BGHZ 165, 371 = FamRZ 2006, 543). Das Gesetz schreibt weder in § 64 FamFG noch in §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO, die gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf Familienstreitsachen Anwendung finden, die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll vielmehr lediglich die Weiterleitung eines Schriftsatzes innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist (BGH Beschlüsse v. 10.6.2003 - VIII ZB 126/02, NJW 2003, 3418, 3419; v. 18.11.2015 - IV ZB 22/15 - juris Rz. 10; BGH v. 15.4.1982 - IVb ZB 60/82, VersR 1982, 673). Für die Fristwahrung ist es dabei unerheblich, ob der Schriftsatz anhand eines Aktenzeichens bereits innerhalb der Begründungsfrist in die für diese Sache angelegte Akte eingeordnet werden kann (BGH, Beschl. v. 15.4.1982 - IVb ZB 60/82, VersR 1982, 673).

Rz. 8

Der Begründung muss allerdings zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren sie eingereicht werden soll. Unrichtige Angaben schaden nur dann nicht, wenn aufgrund sonstiger, innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Gegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist (vgl. BGH v. 20.5.2015 - XII ZB 368/14, FamRZ 2015, 1276 Rz. 18; BGH Beschlüsse v. 3.12.2007 - II ZB 20/07, MDR 2008, 355 Rz. 12 m.w.N.; v. 18.11.2015 - IV ZB 22/15 - juris Rz. 11). Wurde durch die Angabe eines falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt, in welcher Sache die Beschwerdebegründung eingereicht wurde, ist diese nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Rechtsanwalts dem richtigen Verfahren zuzuordnen (vgl. BGH Beschl. v. 10.6.2003 - VIII ZB 126/02, NJW 2003, 3418, 3419).

Rz. 9

b) Nach diesen Maßgaben ist die Beschwerdebegründung vom 20.9.2015 eindeutig dem hiesigen Verfahren zuzuordnen. Denn der Schriftsatz enthält ein vollständiges und richtiges Rubrum und nennt im Antrag sowohl die Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richten soll, als auch das korrekte erstinstanzliche Aktenzeichen. Das Rechtsmittel ist auch von derselben Rechtsanwältin eingelegt worden, die den Antragsgegner bereits in der Vorinstanz vertreten hat, so dass durch einen Abgleich der Begründungsschrift mit der zwischenzeitlich beim OLG eingegangenen Akte nicht zweifelhaft sein konnte, für welchen Beteiligten das Rechtsmittel eingelegt ist (vgl. BGH v. 7.11.2012 - XII ZB 325/12, FamRZ 2013, 371, Rz. 15). Zudem ist der Verfahrensgegenstand mit "Kindes- und Trennungsunterhalt" angegeben, und zwar in der Betreffzeile, sodann im Antrag und schließlich auch in der Begründung des Schriftsatzes. Damit ist diese Beschwerdebegründung - auch wenn sie auf der ersten Seite das erstinstanzliche Aktenzeichen des Parallelverfahrens zum nachehelichen Unterhalt trägt - ohne Zweifel dem Verfahren bezüglich Kindes- und Trennungsunterhalt zuzuordnen und von dem Parallelverfahren zu unterscheiden. Das OLG ist sogar selbst davon ausgegangen, dass die eingereichte Begründung dem Verfahren "Kindes- und Trennungsunterhalt" zuzuordnen ist, wie sich aus dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung ergibt (vgl. BGH v. 7.11.2012 - XII ZB 325/12, FamRZ 2013, 371 Rz. 15).

Rz. 10

3. Eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat verwehrt. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

NJW 2017, 10

FamRZ 2017, 731

FuR 2017, 261

FuR 2017, 3

NJW-RR 2017, 385

FA 2017, 110

FGPrax 2017, 96

IBR 2017, 293

JurBüro 2018, 55

ZAP 2017, 292

AnwBl 2017, 671

JZ 2017, 296

MDR 2017, 537

FamRB 2017, 180

Mitt. 2017, 239

RENO 2017, 15

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