Entscheidungsstichwort (Thema)

Energie- oder Wasserlieferungsvertrag. Ortsbezogener Vertragsschwerpunkt als Erfüllungsort beiderseitiger Verpflichtungen

 

Leitsatz (amtlich)

Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Energie- oder Wasserlieferungsvertrag ist der Ort der Abnahme.

 

Normenkette

BGB § 269; ZPO § 29

 

Verfahrensgang

LG Neuruppin (Urteil vom 10.10.2002)

AG Neuruppin (Urteil vom 14.03.2002)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Neuruppin vom 10.10.2002 und das Urteil des AG Neuruppin vom 14.3.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das AG Neuruppin zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein Versorgungsunternehmen mit dem Sitz in N., nimmt die in B. wohnhaften Beklagten auf Entgeltzahlung für Wasser- und Abwasserleistungen in Anspruch, die die Klägerin für das in N. gelegene Hausgrundstück der Beklagten erbracht hat.

Das AG N. hat die Klage wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das LG zurückgewiesen.

Mit ihrer - vom LG zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das LG hat auf die Begründung des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der vom Thüringer OLG (OLG Jena v. 3.9.1997 - 2 U 168/97, MDR 1998, 828 f.) vertretenen Auffassung zu folgen sei, wonach der Erfüllungsort für Zahlungsverpflichtungen aus einem Versorgungsvertrag jedenfalls dann der Ort sei, in dem das Grundstück liege, wenn Energie für ein Hausgrundstück geliefert werde. Im vorliegenden Fall könnten die tragenden Gründe der vorgenannten Entscheidung nicht überzeugen, weil hier ein etwa bestehendes Dauerschuldverhältnis bei Klageerhebung bereits beendet und nur noch eine etwa offen stehende Zahlungsverpflichtung abzuwickeln gewesen sei. In einem solchen Fall könne die in dieser Entscheidung in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellte Ausstrahlwirkung, die auf der Gesamtschau aller Pflichten in einem bestehenden Dauerschuldverhältnis beruhe, nicht greifen.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht, wie die Revision mit Erfolg geltend macht, die Zuständigkeit des AG N. verneint.

1. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob Erfüllungsort für Zahlungsverpflichtungen aus Energielieferungsverträgen der Wohnsitz des Abnehmers (LG Leipzig v. 1.6.1999 - 14 S 1333/99, MDR 1999, 1086; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 29 Rz. 25 - Energieversorgungsverträge; Patzina in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 29 Rz. 42) oder der Ort der Energieabnahme ist (OLG Rostock v. 27.8.1996 - 6 UH 4/96, RdE 1997, 76; OLG Jena v. 3.9.1997 - 2 U 168/97, MDR 1998, 828 f.; OLG Dresden RdE 2000, 160 f.; LG Darmstadt v. 27.4.1993 - 15 O 51/93, RdE 1994, 75; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 29 Rz. 32; Musielak/Smid, ZPO, 3. Aufl., § 29 Rz. 23; Riemer, RdE 1989, 242 f.).

2. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Zwar ist auch bei gegenseitigen Verträgen der Leistungsort für jede Verpflichtung gesondert zu bestimmen und nicht notwendig einheitlich (RGZ 140, 67 [69]; BGH, Beschl. v. 5.12.1985 - I ARZ 737/85, MDR 1986, 469 = NJW 1986, 935 unter II; Urt. v. 9.3.1995 - IX ZR 134/94, MDR 1995, 592 = NJW 1995, 1546 unter II 1 b). Die Rechtsprechung des BGH hat jedoch bei Vertragstypen, bei denen der Schwerpunkt des Vertrages wegen der besonderen Ortsbezogenheit der vertragstypischen Leistung an einem bestimmten Ort liegt, diesen als Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen angesehen (BGH, Beschl. v. 5.12.1985 - I ARZ 737/85, MDR 1986, 469 = NJW 1986, 935 unter II zum Bauwerkvertrag; Urt. v. 7.12.2000 - VII ZR 404/99, MDR 2001, 686 = BGHReport 2001, 368 = WM 2001, 904 = NJW 2001, 1936 unter VI 2 zum Architektenvertrag).

Dies gilt auch für die sich aus einem Energie- oder Wasserlieferungsvertrag ergebenden Verpflichtungen beider Vertragspartner. Am Ort der Abnahme hat nicht nur das Versorgungsunternehmen seine Hauptleistungspflicht, sondern auch der Abnehmer wesentliche Nebenpflichten zu erfüllen. So hat der Abnehmer zum Zwecke der örtlichen Versorgung das Anbringen und Verlegen von Leitungen unter Benutzung seines Grundstücks zu dulden (§ 8 AVBEltV, § 8 AVBGasV, § 8 AVBFernwärmeV, § 8 AVBWasserV). Der Anschlussnehmer hat ferner die Kosten der Erstellung des Hausanschlusses zu tragen und jede Beschädigung daran dem Energieversorgungsunternehmen mitzuteilen (§ 10 AVBEltV, § 10 AVBGasV, § 10 AVBFernwärmeV, § 10 AVBWasserV) sowie dessen Beauftragten Zutritt zu seinen Räumen zu gestatten (§ 16 AVBEltV, § 16 AVBGasV, § 16 AVBFernwärmeV, § 16 AVBWasserV). Auch Einwänden des Kunden gegenüber Rechnungen und Abschlagsberechnungen wegen offensichtlicher Ablese- oder Messfehler (§ 30 AVBEltV, § 30 AVBGasV, § 30 AVBFernwärmeV, § 30 AVBWasserV) kann regelmäßig nur durch Überprüfung der Messeinrichtungen am Ort der Entnahme nachgegangen werden.

Sind aber zahlreiche Pflichten beider Parteien aus dem Versorgungsvertrag typischerweise am Ort der Abnahme der Versorgungsleistung zu erfüllen, ist es sachgerecht, den Erfüllungsort und damit den Gerichtsstand auch für die Zahlungspflicht des Abnehmers an diesem Ort anzunehmen, um etwaige gerichtliche Streitigkeiten aus dem Versorgungsvertrag an einem gemeinsamen Gerichtsstand zu entscheiden (vgl. BGH, Beschl. v. 5.12.1985 - I ARZ 737/85, MDR 1986, 469 = NJW 1986, 935 unter II zum Bauwerkvertrag).

3. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht daraus, dass im Streitfall der Versorgungsvertrag beendet war und die Parteien nur noch über die geltend gemachte Zahlungsverpflichtung der Beklagten streiten. Einmal kann hierdurch der Schwerpunkt der Vertrages nicht mehr nachträglich verändert werden; zum anderen kann es auch insoweit, wie zuvor ausgeführt, auf die Feststellung von Umständen ankommen, die nur am Ort der Leistungsabnahme überprüfbar sind.

III.

Da beide Vorinstanzen danach die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen haben, verweist der Senat die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das AG N. zurück (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1998 - VIII ZR 344/97, MDR 1999, 311 = WM 1999, 651 = NJW 1999, 647 unter 3d m. w. N.; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 563 Rz. 23; Wenzel in MünchKomm/ZPO, Aktualisierungsbd., § 563 Rz. 27).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1050008

NJW 2003, 3418

BGHR 2003, 1381

EBE/BGH 2003, 338

NZM 2003, 911

WM 2004, 741

ZAP 2003, 1287

ZMR 2003, 906

ZMR 2004, 24

ZfIR 2004, 130

MDR 2003, 1405

NJ 2004, 75

RdE 2004, 19

WuM 2003, 698

Info M 2004, 26

MietRB 2004, 84

PA 2003, 177

RdW 2004, 351

FSt 2004, 287

FuBW 2004, 303

FuHe 2004, 348

FuNds 2004, 423

LMK 2004, 21

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