Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschlussverfahren. Beschlussgründe. Urteilsgründe. Rechtsfolgenausspruch. Fahrverbot. Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Bußgeldbescheid. Pflichtenmahnung. Vorahndung. Fahreignungsregister. Auskunft. Eintragung. Rechtskrafteintritt. Erlasszeitpunkt. Tatzeit. Tilgungsreife. Beharrlichkeit. Geschwindigkeitsverstoß. Anforderungen an Darstellung der Vorahndungslage in den Beschlussgründen nach § 72 OWiG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Begründung einer im Beschlussverfahren erlassenen Entscheidung gelten gemäß § 72 Abs. 4 und Abs. 5 OWiG die an ein Bußgeldurteil zu stellenden Anforderungen auch mit Blick auf die Erwägungen für die Bemessung der Geldbuße und für die Nebenfolgen grundsätzlich ungeschmälert (st.Rspr.; u.a. Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 09.05.2019 - 4 RBs 144/19 ; KG, Beschl. v. 16.01.2019 - 122 Ss 146/18 und OLG Bamberg, Beschl. v. 27.11.2018 - 2 Ss OWi 1359/18, jew. bei juris).

2. In den Beschlussgründen darf daher auf eine aussagekräftige und vollständige Mitteilung der verkehrsrechtlich relevanten und im maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusserlasses nach § 72 OWiG noch verwertbaren Vorahndungen des Betroffenen mit Angaben zum jeweiligen Rechtskrafteintritt sowie zu den Tatzeiten und den erkannten Rechtsfolgen nicht verzichtet werden.

 

Normenkette

StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2; OWiG § 67 Abs. 2, §§ 72, 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1; StPO §§ 261, 267 Abs. 1, 3; BKatV § 4 Abs. 2 S. 2; OWiG § 71

 

Tenor

  • I.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 11. Juli 2019 mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

  • II.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG mit Beschluss vom 11.07.2019 u.a. wegen einer als Führer eines Pkw auf einer Staatsstraße begangenen Überschreitung der innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 27 km/h (Tatzeit: 11.07.2018) entsprechend den Festsetzungen im Bußgeldbescheid vom 08.01.2018 eine Geldbuße von 115 Euro festgesetzt sowie gegen den Betroffenen ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten, wegen der unter dem 08.07.2019 gemäß § 67 Abs. 2 OWiG wirksam erklärten (horizontalen) Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffenden Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte, nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende Rechtsmittel erweist sich auf die Sachrüge hin (jedenfalls vorläufig) als begründet, weil die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts den konkreten Rechtsfolgenausspruch nicht tragen. Auf die weiteren Beanstandungen der Rechtsbeschwerde kommt es deshalb nicht an.

1. Wenn auch im auf ,verwaltungsrechtliche Pflichtenmahnung' zielenden Bußgeldverfahren als Massenverfahren entsprechend seinem auf summarische Erledigung angelegten Zweck hinsichtlich der Abfassung der Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann andererseits für den Inhalt des Urteils in Bußgeldsachen prinzipiell nichts anderes als für Urteile in Strafsachen gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren bilden die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die sachlich-rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Die Urteilsgründe müssen deshalb nach § 71 OWiG i.V.m. §§ 261 , 267 Abs. 1 , Abs. 3 StPO auch in Bußgeldsachen derart beschaffen sein, dass ihnen das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, diese auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (st.Rspr., vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2017 - 3 Ss OWi 836/17 = OLGSt StPO § 267 Nr 35; 29.12.2016 - 3 Ss OWi 1566/16 = OLGSt StPO § 267 Nr 33; 14.11.2016 - 3 Ss OWi 1164/16 = DAR 2017, 89 = OLGSt StPO § 267 Nr 31; 14.11.2016 - 3 Ss OWi 1164/16 = DAR 2017, 89 = OLGSt StPO § 267 Nr 31 ; OLG Bamberg, Beschl. v. 05.05.2008 - 3 Ss OWi 300/08 = VRS 114 [2008], 456 = VerkMitt 2008, Nr 47 und OLG Bamberg, Beschl. v. 09.07.2009 - 3 Ss OWi 290/09 = OLGSt StPO § 267 Nr 22 = DAR 2009, 655 [Ls] = VRR 2010, 32 [ Gieg ]; KG, Beschl. v. 9.10.2015 - 162 Ss 77/15 = VRS 129 [2015], 137; OLG Jena, Beschl. v. 15.02.2008 - 1 Ss 313/0...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge