Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschlussverfahren. Beschlussgründe. Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Tatbeschreibung. Tatbestandsmerkmale. Rechtsfolgenausspruch. Bezugnahme. Bußgeldbescheid. Akteninhalt. Betroffeneneinlassung. Beweiswürdigung. lückenhaft. Zeugenaussage. Schuldform. Geldbußenbemessung. Anforderung. Bedeutung. Bemessung. Beurteilung. Einlassung. Fallgestaltung. Umfang. Nachprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Unbeschadet der Tatsache, dass sich im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG der Umfang der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge hin auch auf den Akteninhalt erstreckt, soweit die tatrichterliche Überzeugung darauf gestützt ist, müssen die Beschlussgründe so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale (§ 72 IV 3 OWiG) sowie des Rechtsfolgenausspruchs (§ 72 IV 5 OWiG) aus sich selbst heraus ermöglichen; gebotene Feststellungen und Würdigungen dürfen daher nicht durch Verweisungen auf den Bußgeldbescheid oder auf den sonstigen Akteninhalt ersetzt werden (st.Rspr.; u.a. Anschluss an OLG Koblenz, Beschl. v. 02.02.1987 - 1 Ss 36/87 = ZfS 1987, 255 = DAR 1987, 231 = VRS 72 [1987], 447; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.1996 - 5 Ss [OWi] 295/96 = VRS 93, 182 und OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2003 - 1 Ss [OWi] 97 B/03 = ZfS 2003, 471).

 

Normenkette

StPO § 267 Abs. 1; OWiG §§ 17, 71 Abs. 1, § 72

 

Gründe

Wegen dreier in Tateinheit begangener fahrlässiger Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 4 I und 9 I JuSchG setzte das AG gegen den Betr. im Beschlussverfahren gem. § 72 OWiG am 29.05.2018 eine Geldbuße von 400 EUR fest, wobei sich die Beschlussgründe neben einer Bezugnahme auf "den Inhalt des Bußgeldbescheids des LRA A. vom 26.02.18 [...] mit der Maßgabe, dass gegenüber dem Bußgeldbescheid" mangels "ausreichende Feststellungen zum Vorsatz [...] von einem nur fahrlässigen Verstoß auszugehen" sei, darauf beschränken, dass "die Feststellungen des Gerichts [...] im Wesentlichen auf den Angaben der Zeugen D. und G" beruhen, die diese in ihrer polizeilichen Vernehmungen machten". Die gegen den Beschluss gerichtete, mit der Verletzung formellen und sachlichen Rechts begründete Rechtsbeschwerde erwies sich auf die Sachrüge als begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das AG.

I.

Die gemäß § 79 I 1 Nr. 1 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat bereits mit der Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg, weil die Beschlussgründe lückenhaft sind (§§ 72 IV, 71 I OWiG, § 267 I StPO). Eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht mehr.

1. Für die Begründung eines verurteilenden Beschlusses gemäß § 72 OWiG gelten, wie sich insbesondere aus § 72 IV S. bis 5 OWiG ergibt, die Grundsätze für die Begründung eines Urteils entsprechend, denn der Beschluss nach § 72 OWiG ist grundsätzlich mit dem gleichen Rechtsmittel anfechtbar wie das Urteil (Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 72 Rn. 63). Wie ein Urteil ist auch der Beschluss nach § 72 OWiG der formellen und materiellen Rechtskraft fähig. Das Gericht prüft schließlich auch im Beschlussverfahren den Bußgeldbescheid als vorangegangene Entscheidung nicht nach, sondern entscheidet gemäß § 72 III 1 OWiG auf schriftlicher Grundlage, ob der Betr. hinsichtlich des im Bußgeldbescheid enthaltenen Tatvorwurfs freigesprochen, gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt, eine Nebenfolge angeordnet oder das Verfahren eingestellt wird (vgl. BeckOK/Hettenbach OWiG [20. Ed.-Stand: 01.10.2018], § 72 Rn. 41-43 unter Hinweis u.a. auf BayObLG NJW 1972, 1771).

2. Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Gründe eines Beschlusses nach § 72 OWiG keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind und der Begründungsaufwand sich auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, müssen sie aber jedenfalls eine Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren ermöglichen (Göhler-Seitz/Bauer § 71 Rn. 42 ff.). Soweit die tatrichterliche Überzeugung darauf gestützt ist, erstreckt sich der Umfang der Nachprüfung auch auf den Akteninhalt (Göhler-Seitz/Bauer § 72 Rn. 79; vgl. auch KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 72 Rn. 57-58; OLG Hamm, Beschluss vom 05.01.2016 - 4 RBs 320/15 [bei juris] = BeckRS 2016, 3117; OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.02.2002 - 2 Ss OWi 51/02 = NStZ-RR 2002, 219). Unbeschadet des Umfangs der Nachprüfung müssen die Beschlussgründe daher zu den entscheidungserheblichen Vorgängen und Umständen Feststellungen sowie eine Beweiswürdigung enthalten, aus der sich die durchgeführten Beweiserhebungen, deren Ergebnis und deren Beurteilung durch das Tatgericht ergeben (OLG Jena, Beschluss vom 02.08.2006 - 1 Ss 144/06 = VRS 112, 357). Die Beweiswürdigung muss mithin so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung insbesondere im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ermöglicht. Daher sind regelmäßig die Angaben von Belastungsze...

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