Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Auch in Bußgeldsachen muss den Urteilsgründen regelmäßig zu entnehmen sein, ob und wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung eingelassen und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist oder ob und inwieweit er sie für widerlegt angesehen hat.

  • 2.

    Dies gilt auch, wenn die Feststellung eines Abstandsverstoßes auf einem standardisierten Messverfahren beruht. Denn auch dann besteht die Möglichkeit, dass sich der Betroffene z.B. bezüglich der Fahrereigenschaft, der Abstandsmessung oder der näheren Umstände der Verkehrsordnungswidrigkeit in eine bestimmte Richtung substantiiert verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Einlassung verkannt oder rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (Anschluss u.a. an OLG Karlsruhe NZV 2007, 256 f.).

 

Normenkette

StPO § 44; OWiG § 71 I; StVO § 4 I; BKatV § 4 I 1 Nr. 2; BKat (Anhang) Nr. 12.5.3 Tab. 2

 

Tatbestand

Das AG hat den Betr. wegen einer auf einer BAB bei einer Geschwindigkeit von 106 km/h fahrlässig begangenen Unterschreitung des Mindestabstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug (§§ 4 I 1, 49 I Nr. 4 StVO) zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt und gegen ihn gemäß § 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 2 BKatV i.V.m. Nr. 12.5.3 der Tabelle 2 BKat ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hat das AG hierzu ausgeführt: "Der Sachverhalt (...) steht fest aufgrund einer Abstandsmessung mit Videoanlage durch die VPI A. unter Verwendung des Zeichengenerators JVC/Piller, Gerätetyp CG-P 50 E/TG-3, Geräte-Nr. 12276257, gültig geeicht bis Ende 2009. Das in Augenschein genommene Videoband lässt ein den Betr. entlastendes Fahrverhalten des vor ihm fahrenden Fahrzeuges (Abbremsen, Ausscheren, Einscheren udgl.) auf der gesamten Beobachtungsstrecke von rund 500 m (ausweislich des Messprotokolls) nicht erkennen. Die Fahrereigenschaft des Betr. hat das Gericht festgestellt durch einen Abgleich seiner Person in der Hauptverhandlung mit dem auf dem Videoband sowie den Videoprints (Bl. 7, 20 und 21 d.A.) ersichtlichen Fahrer der Tatfahrzeuges. Videoband und Videoprints werden durch Bezugnahme zum Gegenstand des Urteils gemacht." Zur Rechtsfolgenbemessung stellt das AG fest, es habe für ein Absehen von der Regelahndung, namentlich für ein Absehen vom Fahrverbot keinen Anlass gesehen; Umstände, die die Annahme einer mit dem Fahrverbot verbundenen außergewöhnlichen Härte für den Betr. zu rechtfertigen geeignet wären, hätten sich in der Hauptverhandlung nicht ergeben. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Betr. mit am 03.12.2008 beim AG eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an den Verteidiger am 18.12.2008 mit Schriftsatz vom 20.02.2009, eingegangen per Fax am gleichen Tag, mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet. Gleichzeitig hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt und diesen Antrag mit einem erst am 13.02.2009 vom Verteidiger festgestellten Kanzleiversehen begründet. Die Rechtsbeschwerde erwies sich - nach Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung - als (vorläufig) erfolgreich.

 

Entscheidungsgründe

I.

Dem Betr. ist auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Der Antrag ist zulässig, da er innerhalb der Wochenfrist des § 45 StPO gestellt, die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und im Verfahren der Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht wurde. Der Antrag ist auch begründet, da die Fristversäumung auf einem dem Betr. nicht zurechenbaren (Organisations-) Verschulden des Verteidigers beruht, § 44 Abs. 1 StPO. Wie die GenStA in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betr. die Fristversäumnis durch seinen Verteidiger hätte vorhersehen können oder dass ihn sonst ein Mitverschulden an der Fristversäumnis trifft. (wird ausgeführt)

II.

Die gemäß § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthafte und - nach Gewährung der Wiedereinsetzung - auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts (vorläufig) Erfolg, da sich die knapp gehaltenen Urteilsgründe als lückenhaft erweisen. Das angefochtene Urteil enthält keine den Mindestanforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 I OWiG genügende Beweiswürdigung.

1.

Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen. Dennoch kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachbeschwerde hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwer...

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