Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf eines Prozeßvergleiches. Bestätigung des unveröffentlichen Senatsurteils vom 4. August 1983 – 2 AZR 50/82 –

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn eine Partei es sich vorbehält, einen Prozeßvergleich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt “mit Schriftsatz zum Arbeitsgericht” zu widerrufen, dann ist ein schriftsätzlicher Widerruf unwirksam, der zwar fristgerecht beim Arbeitsgericht eingeht, aber weder von der Partei noch von ihrem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet worden ist.

 

Normenkette

ZPO §§ 794, 130; BGB §§ 126-127

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 15.09.1988; Aktenzeichen 4 Sa 453/88)

ArbG München (Urteil vom 09.03.1988; Aktenzeichen 26 Ca 11702/85)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 15. September 1988 – 4 Sa 453/88 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Beklagten, die Backwaren herstellt, als Verkaufsfahrer gegen eine Vergütung von 3.042,05 DM beschäftigt. Die Beklagte kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 12. August 1985 außerordentlich unter Gewährung einer Auslauffrist zum 31. August 1985. Sie hat die Kündigung auf angebliche Unregelmäßigkeiten des Klägers bei der Auslieferung von Backwaren gestützt. Der Kläger hat die Kündigung mit der am 2. September 1985 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage angegriffen; den Vorwurf von Lieferscheinmanipulationen hat er bestritten.

Am 13. Januar 1988 haben die Parteien, nachdem der Prozeß wegen eingeleiteter staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen fast zwei Jahre ausgesetzt worden war, vor dem Arbeitsgericht folgenden “bedingten Vergleich” abgeschlossen:

  • Vergleich:
  • Es besteht Einigung, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung mit dem 31.10.1985 sein Ende gefunden hat.
  • Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger als sozialen Ausgleich für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß § 3 Ziff. 9 EStG in Höhe von DM 17.000,-- abzugsfrei (i.W.: Siebzehntausend Deutsche Mark) zu zahlen.
  • Mit Zahlung der in Ziffer 2) bezeichneten Abfindung sind alle gegenseitigen finanziellen Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis sowie aus Anlaß seiner Beendigung abgegolten.
  • Dieser Vergleich wird wirksam, wenn er nicht von der Beklagten mit Schriftsatz zum Arbeitsgericht München, Eingang spätestens 03.02.1988, widerrufen wird.

Am 2. Februar 1988 ist beim Arbeitsgericht folgender Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 28. Januar 1988 eingegangen:

In Sachen

… … …

widerrufen

wir im Auftrag der Beklagten den im Termin vom 13.1.1988 geschlossenen bedingten Vergleich.

S…

Der Schriftsatz war von Rechtsanwalt S… nicht unterschrieben.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe den Vergleich vom 13. Januar 1988, da das Widerrufsschreiben ihres Prozeßbevollmächtigten als bestimmender Schriftsatz nicht unterschrieben gewesen sei, nicht wirksam widerrufen; bei einem bestimmenden Schriftsatz sei das Unterschriftserfordernis unabdingbar, und zwar auch, wenn kein Anwaltszwang bestehe. Insoweit könne nach der Rechtsprechung allenfalls im Falle der Verwendung gewisser neuer Medien, wie z.B. bei einem Telex, etwas anderes gelten, da im Gegensatz zum anwaltlichen Briefpapier ein Telex nur derjenige benutzen könne, dem vom Inhaber hierzu die Erlaubnis und die tatsächliche Möglichkeit zur Benutzung eingeräumt worden sei.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß der Vergleich vom 13. Januar 1988 rechtswirksam geworden sei,

hilfsweise,

daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 12. August 1985 nicht aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hat sich mit ihrem Klageabweisungsantrag darauf berufen, der Vergleichswiderruf sei rechtswirksam, da die eigenhändige Unterschrift ihres Prozeßbevollmächtigten nicht zwingend erforderlich gewesen sei. Auch bestimmende Schriftsätze müßten nicht unbedingt notwendig unterschrieben sein, wenn – wie hier – die Urheberschaft des Widerrufsschreibens eindeutig sei. Auch bei Fernschreiben, Telegrammen usw. sei in der Rechtsprechung anerkannt, daß diese als bestimmende Schriftsätze ohne Unterschrift wirksam seien.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 9. März 1988 den Hauptantrag im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Widerruf des Vergleichs sei auch ohne Unterschriftsleistung von Rechtsanwalt S… wirksam erfolgt, denn bei § 130 Nr. 6 ZPO handele es sich lediglich um eine Sollbestimmung, und angesichts der Rechtsprechung zu neuen Übertragungsmedien, wie z.B. eines Fernschreibens, eines Telegrammes oder einer Telekopie, müsse an dem Unterschriftserfordernis nicht mehr zwingend festgehalten werden; jedenfalls lasse sich dieses Formerfordernis nicht weiter auf die Fälle eines schriftsätzlich zugelassenen Vergleichswiderrufs übertragen. Denn die von der herrschenden Meinung angeführten Gründe für das Unterschriftserfordernis, z.B. die erforderliche Abgrenzbarkeit von bloßen Schriftsatzentwürfen oder der Gedanke der Verantwortungsübernahme des Ausstellers für den Inhalt der von ihm unterzeichneten Äußerung verdienten in den genannten Fällen keine unterschiedliche Behandlung.

Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung des Klägers hin abgeändert und festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 13. Januar 1988 erledigt worden sei.

Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der diese die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Prozeßvergleich vom 13. Januar 1988 sei rechtswirksam, weil der (vorbehaltene) Widerrufsschriftsatz gemäß §§ 127, 126 BGB eigenhändig hätte unterzeichnet sein müssen; der Mangel der Form führe nach § 125 BGB zur Unwirksamkeit des Widerrufs. Soweit das Arbeitsgericht hinsichtlich der prozessualen Erklärung auf § 130 Nr. 6 ZPO abstelle, sei dies verfehlt, weil es hier um einen sogenannten bestimmenden Schriftsatz gehe, für den die eigenhändige Unterschrift unabdingbare Voraussetzung sei. Das gelte auch, wenn man von der reinen Begriffsjurisprudenz (zu “bestimmenden Schriftsätzen”) absehe. Denn gehe man von der im Rahmen der höchstrichterlich für zutreffend erachteten Doppelnatur des Prozeßvergleichs aus, so gelte für die privatrechtliche Seite § 127 BGB; für die prozeßrechtliche Seite sei aufgrund einer Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu Ziff. 4 des Vergleichs nach dem reinen Wortlaut zwar davon auszugehen, daß neben der Schriftform nicht unbedingt auch eigenhändige Unterschrift erforderlich sei; aber darauf könne nicht allein abgestellt werden, sondern es sei einzubeziehen, was die Prozeßbevollmächtigten nach den erkennbaren Umständen gewollt hätten. Unabhängig von einer gerichtlichen Übung sei unter Juristen und Anwälten das Unterschriftserfordernis eine Selbstverständlichkeit. Auch das Bundesarbeitsgericht stelle darauf ab, wie Prozeßhandlungen bei dem fraglichen Gericht vorzunehmen seien: Unabhängig vom Vertretungszwang könne nur davon ausgegangen werden, daß ein Widerruf durch “Schriftsatz” wegen der Klarstellungsfunktion unterschrieben sein müsse.

2. Die Ausführungen des Landesarbeitgerichts halten im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Es kann dahingestellt bleiben, welchen Rechtscharakter der Vergleich vom 13. Januar 1988 hat, d.h. ob an der Lehre von der Doppelnatur des Prozeßvergleichs (vgl. BAGE 40, 17) festzuhalten ist, denn hier geht es um die Rechtsnatur der Widerrufserklärung, die sich aus der des Prozeßvergleichs nicht zwingend ergibt (ebenso Staudinger/Marburger, BGB, 12. Aufl., § 794 Rz 96), wenn sie auch nur unter Berücksichtigung des gesamten Vergleichswortlauts richtig interpretiert werden kann. Es braucht nach Meinung des Senats auch nicht erörtert zu werden, ob die im vorliegenden Vergleich vereinbarte Widerrufserklärung zu einem aufschiebend oder auflösend bedingten Vergleich führt oder ob von einem Rücktrittsrecht (so Senatsurteil vom 4. August 1983 – 2 AZR 50/82 – n.v.) auszugehen ist. Denn in allen drei Fällen ergeben sich keine unterschiedlichen Rechtsfolgen.

a) Sieht man in Ziff. 4 des Vergleichs ein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht (§§ 346, 349 BGB), das über das Arbeitgsgericht auszuüben ist, so enthält die entsprechende Rücktrittserklärung nicht nur eine Willenserklärung zum materiellen Inhalt des Vergleichs, sondern gleichzeitig eine Prozeßhandlung, nämlich insofern, als durch den erklärten Rücktritt der Rechtsstreit in die Lage vor Abschluß des Vergleichs zurückversetzt, also die Prozeßbeendigung mit Ablauf der Widerrufsfrist verhindert werden sollte. Das entspricht der in Literatur und Rechtsprechung vorherrschenden Ansicht (vgl. BAGE 9, 172, 176, 177 = AP Nr. 7 zu § 794 ZPO, zu 3 und 4 der Gründe; BAGE 29, 358, 362 = AP Nr. 24, aaO, zu II 3e der Gründe; Senatsurteil vom 4. August 1983, aaO; BGH LM Nr. 2 zu § 130 BGB; BGH Urteil vom 16. November 1979 – I ZR 3/78 – AP Nr. 28 zu § 794 ZPO; RGZ 135, 338; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 794 Rz 63, 64).

b) Bei Annahme einer auflösenden Bedingung hätte die den bereits bestehenden Prozeßvergleich auflösende Erklärung neben dem materiellrechtlichen Inhalt ebenfalls prozeßgestaltende Wirkung, indem nämlich der Prozeß durch die Auflösungserklärung an das Gericht in die Lage vor Abschluß des zunächst bedingt bestehenden Vergleichs zurückversetzt würde.

c) Soweit die Revision darauf abstellen will, im Falle einer aufschiebenden Bedingung, die hier anzunehmen sei, fehle es an einer Prozeßhandlung, so daß die in der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an einen sogen. bestimmenden Schriftsatz im Sinne des § 129 ZPO, für den stets eigenhändige Unterschrift als Selbstverständlichkeit gefordert worden ist (seit RGZ – GS – 151, 82, 84) nicht anzuwenden seien, kann dem in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden. Auch wenn man in der fraglichen Vergleichsklausel eine aufschiebende Bedingung mit der Folge sieht, daß die Wirksamkeit des Vergleich bis zum Ablauf des 3. Februar 1988 zunächst in der Schwebe bleiben und erst eintreten sollte, falls der Vergleich nicht bis zu diesem Datum widerrufen werde, würde eine solche Widerrufserklärung sowohl materiellrechtliche als auch prozessuale Wirkung entfaltet (so schon BGH Urteil vom 16. November 1979, aaO und BAG Urteil vom 4. August 1983, aaO, unter I 2 der Gründe). Es ist nicht einzusehen, warum – wie die Revision meint – bei Annahme einer aufschiebenden Bedingung eines Rechtsgeschäfts und/oder einer Rechtshandlung insoweit andere Grundsätze eingreifen und andere Rechtsfolgen eintreten sollen als bei Annahme einer auflösenden Bedingung. Beide Formen der Bedingung sind in § 158 BGB geregelt mit dem einzigen Unterschied, daß die Wirkungen des gewollten Rechtsgeschäfts entweder mit dem Eintritt der Bedingung erst eintreten oder später wieder wegfallen. Auch in ersterem Falle bedarf es zwar zum Wirksamwerden des Zeitablaufs, zur Verhinderung des Eintritts der materiellen und prozessualen Wirkung außerdem der Ausübung des Widerrufsrechts. Auch bei einem aufschiebend bedingten Widerrufsvergleich hat der ausgeübte Widerruf dagegen auch prozessuale Wirkungen. Eine solche zeigt sich auch darin, daß die Vollstreckbarkeit des Vergleichs verhindert wird. Das übersieht die Revision.

3. Im übrigen ist die Auslegung des Vergleichsinhalts durch das Berufungsgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Vereinbarungen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen; dabei ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille der Vertragschließenden unter Beachtung der Begleitumstände zu erforschen. Der systematische Zusammenhang der Regelungen im Vergleich spricht für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts: Ziff. 4 der Vergleichsregelung sagt zwar zunächst nur etwas über das Erfordernis der Schriftform aus, während von Unterschriftserfordernis nicht ausdrücklich die Rede ist. Hier greift aber, worauf das Landesarbeitsgericht zu Recht hinweist, hinsichtlich der materiellrechtlichen Seite des Widerrufs (die Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 132, S. 818, allein für bedeutsam halten) die Auslegungsregel des § 127 BGB ein. Danach gelten die Vorschriften des § 126 BGB im Zweifel auch für die durch Rechtsgeschäft, nämlich den Vergleich vom 13. Januar 1988, bestimmte schriftliche Form. In § 126 wird aber für die gesetzliche Schriftform gefordert, daß die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden muß; folglich hätte das Widerrufsschreiben eigenhändig durch namentliche Unterschrift unterzeichnet werden müssen, wozu der maschinenschriftliche Zusatz des Namens des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten (S…), der von jedermann gefertigt werden kann, nicht ausreicht. Hierbei handelt es sich nicht um eine Unterzeichnung.

Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, es sei nichts dafür vorgetragen, daß die Parteien von der Auslegungsregel des § 127 Satz 1 BGB abweichen wollten. Da ausdrücklich ein Widerruf mit Schriftsatz zum Arbeitsgericht vereinbart und überdies der Prozeßvergleich für beide Parteien durch Rechtsanwälte abgeschlossen wurde, ist anzunehmen, daß dann auch die für die gewillkürte Schriftform geltenden gesetzlichen Regeln Anwendung finden sollten. Das führt – jedenfalls für die materiellrechtliche Seite des Vergleichs – zu folgendem Ergebnis. Entweder war wegen der Verweisung auf § 126 BGB die schriftliche Widerrufserklärung eigenhändig zu unterzeichnen oder allenfalls sollte nach § 127 Satz 2 BGB die – hier nicht vorliegende – telegrafische Übermittlung zur Wahrung der Form genügen. Insofern ist es rechtlich unzutreffend, wenn die Revision darauf abstellen will, für den Vergleichswiderruf bedürfe es ebensowenig wie im Falle eines Telegramms, Telex usw. der Unterschrift. Wie gerade die Gegenüberstellung in § 127 Satz 1 und Satz 2 zeigt, wollte der Gesetzgeber, abgesehen von dem Fall der telegrafischen Übermittlung, für die durch Rechtsgeschäft bestimmte schriftliche Form an dem Unterschriftserfordernis “im Zweifel” festhalten. Deshalb kommt es auf die weiteren Überlegungen des Landesarbeitsgerichts, bei Formfreiheit könne eine schriftliche, nicht unterschriebene Erklärung rechtswirksam sein, nicht mehr an.

4. Nicht anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn darauf abgestellt wird, wenn das Gericht als Adressat des Widerrufs bestimmt sei, gelte die Erklärungsform des Prozeßrechtes (Stein/Jonas/Münzberg, aaO).

a) Auch für die prozessual gestaltende Seite der Widerrufserklärung ist an dem Unterschrifterfordernis festzuhalten. Es soll bei einer schriftlichen prozessualen Erklärung gewährleisten, daß dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muß feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (so schon RGZ 151, 82, 84 sowie BGHZ 75, 340, 349). Diese Gründe greifen auch vorliegend ein. Wählt – auch außerhalb des Anwaltsprozesses – ein Anwalt für eine prozeßgestaltende Erklärung nicht die von der Rechtsprechung als unabweislich zugelassene Form der Verwendung eines Telegrammes, eines Telebriefes oder eines Fernschreibens, dann kann und darf er eine Unterschrift nicht für entbehrlich halten. Fehlt die Unterschrift des Anwalts, so kann das darauf beruhen, daß er entweder versehentlich nicht unterschrieben hat oder daß der Schriftsatz – zumindest vorläufig – nur einen Entwurf darstellen und noch nicht an das Gericht herausgegeben werden sollte. Gerade diese zweite Möglichkeit ist – wie auch der vorliegende Fall zeigt – nach aller Erfahrung nicht selten. Denn häufig will der Anwalt noch die Entscheidung seines Mandanten abwarten, ob eine Klage erhoben, das Rechtsmittel begründet oder der Widerruf eines Vergleichs tatsächlich ausgesprochen werden soll. So hatte unstreitig der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten zunächst einen Widerrufsschriftsatz gefertigt, dann aber erneut mit der Beklagten Kontakt aufgenommen, um diese doch noch dazu zu bewegen, den Vergleich bestehen zu lassen; erst auf erneute Anweisung sollte dann der Vergleich doch endgültig widerrufen werden. Auch hier lag also zunächst der Entwurf eines Widerrufsschreibens vor. Es bestand demgemäß durchaus eine Ungewißheit, ob der Widerrufsschriftsatz mit Wissen und Wollen des Prozeßbevollmächtigten in den Rechtsverkehr gelangen sollte.

b) Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner an §§ 133, 157 BGB orientierten Auslegung der prozessualen Seite der Widerrufserklärung auch zutreffend die bei gerichtlichen Vergleichen üblichen Gepflogenheiten berücksichtigt: Es entspreche der bei den Gerichten geübten Praxis, daß ein anwaltlicher Widerrufsschriftsatz eigenhändig unterschrieben sein müsse; eine entgegenstehende Praxis gebe es nicht. Wenn die Revision demgegenüber ohne Rücksicht darauf, wie Gericht und Anwälte die in Rede stehende Klausel verstünden, allein darauf abstellen will, was die Parteien subjektiv gewollt hätten, so steht dies mit § 133 BGB nicht in Einklang. Gerade bei einer an § 133 BGB orientierten Auslegung sind das Gesamtverhalten der Parteien und eine etwaige, in den in Betracht kommenden Berufskreisen herrschende Übung zu berücksichtigen (so auch BAG Urteil vom 29. Januar 1958 – 4 AZR 105/55 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; ferner BAG Urteile vom 17. Februar 1966 – 2 AZR 162/65 – und vom 17. April 1970 – 1 AZR 302/69 – AP Nr. 30 und 32 zu § 133 BGB). Gerade in diesem Sinne hat das Landesarbeitsgericht die Parteierklärungen ausgelegt: Da es sich um Erklärungen in einem gerichtlichen Vergleich, protokolliert durch eine Richterin und akzeptiert von Anwälten, handelt, war richtigerweise darauf abzustellen, wie in diesen Kreisen die Erklärung auszulegen war, daß der Vergleich mit Schriftsatz zum Arbeitsgericht München widerrufen werden könne. Das konnte nur durch einen eigenhändig unterzeichneten Schriftsatz geschehen. Für den Anwalts- wie für den Parteiprozeß, in dem ein Anwalt auftritt, muß daher gleichermaßen gelten, daß die dem Gericht gegenüber abzugebende Widerrufserklärung unwirksam ist, wenn der sich darauf beziehende Schriftsatz nicht von dem als Vertreter der Partei ausgewiesenen Anwalt unterzeichnet ist (vgl. für bestimmende Schriftsätze BAGE 23, 361 = AP Nr. 1 zu § 129 ZPO; BAGE 43, 46, 49 = AP Nr. 54 zu § 1 LohnFG und für den Vergleichswiderruf das Senatsurteil vom 4. August 1983, aaO). Die vorstehenden Überlegungen bestätigen im übrigen auch, daß hinsichtlich der materiellrechtlichen Natur des Widerrufs vorliegend kein Anlaß besteht, die Auslegungsregel des § 127 BGB nicht anzuwenden.

5. Soweit die Revision auf die durch die Rechtsprechung erleichterten Formvorschriften bei Telegramm, Telex und Telekopie hinweist, ist eine Vergleichbarkeit nicht gegeben. Abgesehen davon, daß die Rechtsprechung auch in diesen Fällen – soweit technisch möglich – am Unterschriftserfordernis festgehalten hat (so für die Telekopie BAGE 53, 105 = AP Nr. 12 zu § 72 ArbGG 1979; BSG Bechluß vom 28. Juni 1985 – 7 BAr 36/85 – NJW 1986, 1778 und neuerdings BAG Beschluß vom 14. März 1989 – 1 AZB 26/88 – zur Veröffentlichung vorgesehen), vertauscht sie Ausnahme und Regeltatbestand. Schon das Reichsgericht (RGZ – GS –, aaO) hat dargelegt, daß der ZPO-Gesetzgeber im Unterschied zu lediglich vorbereitenden Schriftsätzen (§ 130 Nr. 6 ZPO) für prozeßgestaltende Erklärungen als selbstverständlich vom Unterschriftserfordernis ausging. Mithin besteht die Rechtsfortbildung darin, daß in den genannten Fällen (Telegramm, Telex usw.) Ausnahmen von der Regel des Unterschriftserfordernisses gemacht werden; für den Vergleichswiderruf ist aber am Regelfall festzuhalten.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Bitter, Ascheid, Dr. Bensinger, Walter

 

Fundstellen

Haufe-Index 872060

NJW 1989, 3035

RdA 1989, 379

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