Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 02.12.1992; Aktenzeichen 5 Sa 294/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 2. Dezember 1992 – 5 Sa 294/92 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war als Werkstoffprüfer seit dem 1. Juni 1989 bei der Beklagten gegen eine Vergütung von zuletzt 3.900,– DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Metallindustrie Hamburgs und Umgebung sowie Schleswig-Holstein vom 18. Mai 1990 (MTV) kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit Anwendung. Alle Betriebe, die in den Geltungsbereich dieses MTV fallen, gehören dem produzierenden Gewerbe an; in ihnen werden überwiegend Arbeiter beschäftigt. Die Beklagte kündigte unter Berufung auf § 14 Ziff. 2.1 MTV das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. Januar 1992 zum 15. Februar 1992 auf. Die Bestimmung des § 14 MTV lautet auszugsweise wie folgt:

1. …

2. Kündigungsfristen

2.1 Gewerbliche Arbeitnehmer

Die Kündigungsfrist beträgt beiderseits nach einer Betriebszugehörigkeit bis zu 2 Monaten 1

1 Arbeitstag

Von mehr als 2 Monaten bis zu 6 Monaten

1 Woche zum Wochenschluß

Von mehr als 6 Monaten bis zu 5 Jahren einschl.

2 Wochen zum Wochenschluß

Von mehr als 5 Jahren

1 Monat zum Monatsschluß

Von mehr als 10 Jahren und nach Vollendung des 45. Lebensjahres

2 Monate zum Monatsschluß

2.2 Angestellte

2.2.1 Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits beendet werden mit einer Frist von 1 Monat zum Monatsende …

2.2.2 Danach kann das Arbeitsverhältnis von jedem Teil zum Schluß eines Kalendervierteljahres unter Einhaltung einer Frist von 6 Wochen gekündigt werden.

2.2.3 …

2.2.4 Die Kündigungsfrist für ältere Angestellte richtet sich nach dem Gesetz über die Frist für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926.

3. Kündigungsschutz

3.1 Einem Arbeitnehmer, der das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 5 Jahren hat, kann nur noch aus wichtigem Grunde (§ 626 BGB) gekündigt werden.

3.2 Für gewerbliche Arbeitnehmer

Änderungskündigungen ausschließlich zum Zwecke der betrieblichen Versetzung bleiben von Abs. 3.1 unberührt. Das gleiche gilt für Versetzungen im Rahmen des Unternehmens bzw. Konzerns, wenn damit keine Veränderung des Wohnsitzes erforderlich ist und der neue Arbeitsplatz ohne zusätzliche Erschwernisse zu erreichen ist.

3.3 Angestellte

3.3.1 Ausgenommen von Ziff. 3.1 sind Angestellte in Betrieben mit in der Regel weniger als 21 wahlberechtigten Arbeitnehmern im Sinne des BetrVG oder mit in der Regel weniger als 6 beschäftigten wahlberechtigten Angestellten. …

3.3.2 Ziff. 3.1 gilt nicht bei Änderungskündigungen ausschließlich zum Zwecke der innerbetrieblichen Versetzung, bei Versetzungen im Rahmen des Unternehmens bzw. Konzerns, wenn damit keine Änderung des Wohnsitzes erforderlich wird und der neue Arbeitsplatz ohne zusätzliche Erschwernis zu erreichen ist und bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 Ziff. 1 und 2 BetrVG, soweit der betroffene Angestellte Anspruch aus dem Sozialplan hat. In den Fällen des § 111 Ziff. 2 BetrVG entfällt Abs. 1 jedoch nur dann, wenn eine Wohnsitzverlegung erforderlich ist und der Angestellte diese ablehnt. …

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz den Rechtsstreit darauf beschränkt, die von der Beklagten gewählte Kündigungsfrist des § 14 Ziff. 2.1 MTV sei im Vergleich zu der für Angestellte geltenden Regelung verfassungswidrig. In der Metallindustrie sei kein besonderes Bedürfnis an erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität anzuerkennen. Auch eine Zuordnung der Arbeiter und Angestellten zu dem Produktions- bzw. Verwaltungssektor sei nicht möglich. Der Tarifvertrag decke ein breites Spektrum an kleinen, mittleren und großen Industriebetrieben ab, wobei auch eine Vielzahl technischer Angestellter tätig sei. Die Qualifizierung und Spezialisierung von Angestellten besage für unterschiedliche Kündigungsfristen nichts. Angesichts der Tatsache, daß zwei Drittel aller Kündigungen Verhaltens- oder personenbedingt seien, könne das Flexibilitätsargument nicht durchschlagen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Januar 1992 nicht aufgelöst sei, sondern bis zum 31. März 1992 fortbestanden habe,

hilfsweise das Verfahren bis zu einer Neuregelung der Kündigungsfristen auszusetzen.

Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag geltend gemacht, die Kündigungsfrist nach § 14 Ziff. 2.1 MTV sei rechtens, zumal es sich hierbei um eine eigenständige und konstitutive Regelung handele. Nach dem Tarifvertrag würden Arbeiter durch kürzere Probezeiten begünstigt. Im übrigen würden unterschiedliche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte durch gruppenspezifische Schwierigkeiten der Stellensuche von Angestellten, durch eine Sozialplanverteuerung für Arbeiter und durch ein Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität im Produktionsbereich bei Arbeitern gerechtfertigt. Im Geltungsbereich des Tarifvertrages seien nahezu alle Arbeiter im produktiven Bereich eingesetzt, während die Angestellten weitgehend nur in der Verwaltung tätig seien. Letztere verfügten über charakteristische Qualifikationen, die bei verantwortlicher Tätigkeit 41 % aller Angestellten und bei selbständiger Tätigkeit 42 % aller Angestellten umfasse, während einfache Tätigkeiten nur von 1 % der Angestellten ausgeübt würden. Bei der Hälfte der Arbeiter in der Metall- und Elektroindustrie handele es sich dagegen um angelernte oder Hilfsarbeiter.

Von Sozialplänen seien überwiegend Arbeiter betroffen, so daß sich daraus ein konkretes Interesse an der Festlegung kürzerer Kündigungsfristen ergebe. Das folge insbesondere auch daraus, daß ein Flexibilitätsbedürfnis im produktiven Bereich bestehe, und zwar wegen produktbedingter Auftragsschwankungen und plötzlicher Absatzschwierigkeiten selbst bei vollen Lagern. Um die Liquidität des Betriebes nicht insgesamt zu gefährden, müsse der Produktionssektor schnell verringert oder verändert werden können. Da sich in der Metallindustrie das Tätigkeitsbild des Arbeiters im wesentlichen mit dem Produktionssektor gleichsetzen lasse, rechtfertige dies unterschiedliche Kündigungsfristen zwischen Arbeitern und Angestellten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht, § 565 ZPO.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die vorliegende Regelung einer Grundkündigungsfrist im eigenständigen MTV Metallindustrie Hamburgs und Umgebung sowie Schleswig-Holstein sei trotz der unterschiedlichen, für Angestellte geltenden Kündigungsfristen nicht verfassungswidrig, weil hierfür sachliche Gründe vorlägen. Es bestehe ein branchen- und betriebsspezifisches Interesse im Bereich der Metall- und Elektroindustrie für kürzere Kündigungsfristen der Arbeiter, weil diese überwiegend im Produktionsbereich eingesetzt seien. Dort bestehe ein Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität, weil technische und wirtschaftliche Veränderungen, monetäre Einflüsse sowie plötzliche Absatzschwierigkeiten bei vollen Lagern eine unter Umständen schnelle Anpassung an die wirtschaftlichen Notwendigkeiten erforderten. Personelle Folgemaßnahmen wirkten sich nämlich in der Regel zuerst bei den im Produktionsbereich beschäftigten Arbeitern aus, während Anpassungserfordernisse im Verwaltungs- und Konstruktionsbereich im allgemeinen erst später aufträten. Die Angestellten seien aber weitgehend in der Administration tätig. Dem Einwand des Klägers könne nicht gefolgt werden, daß im Bereich der Metallindustrie eine eindeutige Zuordnung der Gruppen der Arbeiter und Angestellten zu dem Produktions- bzw. Verwaltungsbereich nicht möglich sei. Eine grundlegende Schlechterstellung der Arbeiter liege auch deshalb nicht vor, weil für sie nach § 2 Ziff. 5.1 MTV eine Probezeit von nur 8 Wochen gelte.

Ein sachlicher Grund für eine kürzere Kündigungsfrist liege auch darin, daß hierdurch die Verteuerung von Sozialplänen vermieden werden könne. Von Sozialplänen seien nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten überwiegend Arbeiter betroffen und Betriebsgrößen von mehr als 20 Arbeitnehmern seien in Hamburg und Schleswig-Holstein typisch, vgl. § 111 Satz 1 BetrVG.

Dagegen könne nicht festgestellt werden, daß längere Kündigungsfristen für Angestellte auch deshalb gerechtfertigt seien, weil der überwiegende Teil der Angestellten aufgrund höherer Qualifizierung und Spezialisierung längere Zeit für eine Stellensuche benötige. Eine schwere Vermittelbarkeit der Angestellten mit hohen Ausbildungserfordernissen bzw. Schwierigkeiten bei der Stellensuche stehe nicht fest, es fehle insofern an der empirischen Grundlage. Konkrete Zahlen auf der Angebots- und Nachfrageseite habe die Beklagte nicht vorgetragen. Jedenfalls könne aus der Existenz der Gehaltsgruppen nach dem Gehaltsrahmentarifvertrag für die Angestellten der Metallindustrie Schleswig-Holsteins vom 1. Juni 1988 nicht darauf geschlossen werden, wieviel Angestellte jeweils in den einzelnen Gehaltsgruppen eingruppiert seien.

II. Diesen Ausführungen des Berufungsgerichts kann aufgrund der vom Landesarbeitsgericht bisher getroffenen Feststellungen nicht gefolgt werden. Die Revision rügt vielmehr zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, wie hoch der Anteil von Arbeitern und Angestellten jeweils im Produktions- bzw. Verwaltungsbereich sei; es lägen keine Feststellungen dazu vor, wieviele (technische) Angestellte ebenfalls im Produktionsbereich tätig seien; bei dem MTV Metallindustrie Hamburgs und Umgebung sowie Schleswig-Holstein handele es sich um einen übergreifenden Manteltarifvertrag mit einer Vielzahl von Einzelbranchen, ohne daß Feststellungen zu der Beschäftigungslage dieser Branchen vorlägen.

1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, der kraft Organisationszugehörigkeit für das Arbeitsverhältnis geltende Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Metallindustrie Hamburgs und Umgebung sowie Schleswig-Holstein vom 18. Mai 1990 (MTV) enthalte in § 14 eine eigenständige Regelung der Grundkündigungsfristen für Arbeiter.

a) Eine eigenständige Regelung ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spricht hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich übernommen werden (Senatsbeschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB, zu II 2 c aa der Gründe; Senatsurteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 616/90 – AP Nr. 31, aaO, zu II 1 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).

b) Insoweit hat das Berufungsgericht § 14 Ziff. 2.1 MTV zutreffend als eigenständige Regelung angesehen, worüber unter den Parteien auch kein Streit herrscht; auch die Revision sieht dies nicht anders.

aa) Die Eigenständigkeit der Regelung über die hier einschlägige Kündigungsfrist für Arbeiter nach mehr als sechsmonatiger Tätigkeit bis zu fünf Jahren einschließlich folgt schon daraus, daß die Tarifpartner in § 14 Ziff. 2.1 in zulässiger Weise (§ 622 Abs. 3 BGB) von der gesetzlichen Regelung (zwei Wochen) insofern abgewichen sind, als nach dem Tarifvertrag mit dieser Frist nur zum Wochenschluß gekündigt werden kann. Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht auch darauf hin, der eigene Gestaltungswille der Tarifvertragsparteien zeige sich schon bei den verkürzten Fristen bei einer Betriebszugehörigkeit bis zu drei Monaten mit einem Arbeitstag und von mehr als zwei Monaten bis zu sechs Monaten mit der Frist von einer Woche zum Wochenschluß. Richtig ist auch, daß diese Fristenregelung beiderseits gilt, während die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nur bei einer Kündigung seitens des Arbeitgebers gelten (vgl. BAG Urteil vom 25. November 1971 – 2 AZR 62/71 – BAGE 24, 50 = AP Nr. 11, aaO).

Ohne daß entsprechend dem Anliegen der Revisionsbeklagten auf eine Gesamtsicht der einschlägigen Kündigungsfristen-Regelung eingegangen zu werden braucht, ist ergänzend darauf zu verweisen, daß sich die tarifliche Fristenregelung vom Gesetz schließlich dadurch unterscheidet, daß die Wartezeiten auf fünf und zehn Jahre in Verbindung mit der Festlegung des 45. Lebensjahres begrenzt sind. Bei den bisher vom Senat behandelten Tarifregelungen ließ sich dabei deutlich – wie bei § 622 Abs. 2 BGB – zwischen Grund- und verlängerten Fristen unterscheiden.

bb) Schließlich enthält § 14 Ziff. 3 MTV insoweit eine Sonderregelung, als einem Arbeitnehmer, der das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens fünf Jahren hat, nur noch aus wichtigem Grunde (§ 626 BGB) gekündigt werden kann. Diese Bestimmung gilt im übrigen unterschiedslos für Arbeiter und Angestellte.

2. Bei dieser Rechtslage hat das Berufungsgericht zutreffend in eigener Kompetenz geprüft, ob die Regelung des § 14 Ziff. 2.1 MTV für Arbeiter und Angestellte mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, an den auch die Tarifvertragsparteien uneingeschränkt gebunden sind (ständige Rechtssprechung, vgl. u. a. Senatsurteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – AP Nr. 37, aaO, zu II 2 a der Gründe).

3. Der Senat hat bereits in mehreren Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit von Kündigungsfristen für Arbeiter in Tarifverträgen befunden (vgl. zuletzt Urteile vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – AP Nr. 37, aaO; – 2 AZR 460/91 – AP Nr. 36, aaO; – 2 AZR 389/91 – AP Nr. 35, aaO, sämtlich zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung der Gerichts vorgesehen, vom 2. April 1992 – 2 AZR 516/91 – AP Nr. 38, aaO; vom 23. September 1992 – 2 AZR 231/92 –, nicht veröffentlicht und Urteil vom 4. März 1993 – 2 AZR 355/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Danach fehlt es an sachlichen Gründen für unterschiedliche Regelungen, wenn eine Schlechterstellung der Arbeiter nur auf einer pauschalen Differenzierung zwischen den Gruppen der Angestellten und der Arbeiter beruht. Sachlich gerechtfertigt sind dagegen hinreichend gruppenspezifisch ausgestaltete unterschiedliche Regelungen, die z. 3. nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe nicht intensiv benachteiligen, oder funktions-, branchen- oder betriebsspezifischen Interessen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages mit Hilfe verkürzter Kündigungsfristen für Arbeiter entsprechen (z. B. überwiegende Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion) wobei andere sachliche Differenzierungsgründe nicht ausgeschlossen sind. Dieser Prüfungsmaßstab gilt sowohl für unterschiedliche Grundfristen als auch für ungleich verlängerte Fristen für Arbeiter und Angestellte mit längerer Betriebszugehörigkeit und höherem Lebensalter. Zunächst vielleicht erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit oder eines betrieblichen Interesses an einer flexiblen Personalplanung und Anpassung verlieren bei längerer Betriebszugehörigkeit erheblich an Gewicht (Senatsurteil vom 29. August 1991 – 2 AZR 220/91 (A) – AP Nr. 32, aaO, zu II 4 c cc der Gründe).

a) Die Revision beanstandet zunächst, die Senatsrechtsprechung billige den Kündigungsregelungen in Tarifverträgen eine gewisse materielle Richtigkeitsgewähr zu Unrecht zu; demgegenüber liege es in der Logik der Sache, daß die gesetzliche Regelung gleichzeitig als Strukturvorgabe von den Tarifvertragsparteien übernommen werde, und zwar auch dann, wenn eine konstitutive Kündigungsregelung vorliege. Auch die Tarifpartner seien aber als Grundrechtsträger nach Art. 9 Abs. 3 GG besonders verpflichtet, die Grundrechte ihrer Mitglieder zu schützen und zu wahren.

b) Demgegenüber hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung fest. In seiner Entscheidung vom 22. März 1991 (– 2 AZR 616/90 – AP Nr. 31 zu § 622 BGB, zu II 2 c der Gründe) hat der Senat ausgeführt, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürften zwar die Tarifvertragsparteien den Grundrechten der Normunterworfenen einerseits keine engeren Grenzen ziehen, als dies dem Gesetzgeber erlaubt sei (seit BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAG Urteil vom 6. Februar 1985 – 4 AZR 370/83 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung, m. w. N.), und weitergehende Eingriffsbefugnisse könnten insbesondere nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet werden; andererseits müßte es den Tarifparteien wegen der durch die Verfassung garantierten Tarifautonomie überlassen bleiben, in eigener Verantwortung unter Umständen Zugeständnisse in einer Hinsicht mit Vorteilen in anderer Hinsicht auszugleichen (BAGE 28, 14, 18 f. = AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 2 der Gründe; BAGE 38, 118 = AP Nr. 47, aaO). Die Norm des Art. 9 Abs. 3 GG schütze die Koalitionen vor staatlichen Eingriffen und gegenüber Dritten. Es sei daher bereits im Ansatz verfehlt, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuwägen und etwa dem aus Art. 9 Abs. 3 GG das größere Gewicht zu verleihen. Zwar spreche bei allgemeinen tariflichen Regelungen die Vermutung für einen sachgerechten Interessenausgleich; das gelte aber für die Frage der sachgerechten Differenzierung von Kündigungsfristen der Arbeitnehmer, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß, vom 30. Mai 1990 ausgeführt hat (vgl. dazu BVerfGE 82, 126, 149 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB, zu C I 4 c der Gründe), nur eingeschränkt.

Der Senat hat damit bereits dem Anliegen der Revision entsprochen, nicht undifferenziert und pauschal eine Richtigkeitsgewähr für die Sachgerechtheit von tariflichen Kündigungsfristenregelungen anzunehmen. Der Senat hat aber ergänzend darauf hingewiesen – und auch daran ist festzuhalten –, daß es einen Unterschied mache, ob der Gesetzgeber für die Großgruppen aller Arbeiter und Angestellten oder die Tarifparteien nur für die Arbeitnehmer einer bestimmten Branche Regelungen träfen (BVerfGE 82, 126, 154 = AP, aaO); wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifparteien sei jedenfalls dann, wenn sich dafür konkrete Anhaltspunkte ergäben, davon auszugehen, daß bei einer Gesamtbetrachtung der Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt würden; insoweit bestehe eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen, in dem sie die Vermutung für sich hätten, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht würden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermittelten (Senatsurteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 389/91 – AP Nr. 35, aaO, zu II 5 a der Gründe). Die Revisionsbeklagte weist im übrigen mit einigem Recht darauf hin, daß angesichts der mitgliedschaftlichen Legitimation der Tarifvertragsparteien anders als beim Gesetzgeber eine zusätzliche systembedingte Richtigkeitskontrolle vorliege. Allerdings vermag der Senat der Beklagten nicht dahin zu folgen, daß bei tariflichen Regelungen lediglich eine Willkürkontrolle zu erfolgen habe. Damit soll letztlich doch wieder dem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG eine Präferenz vor dem aus Art. 3 Abs. 1 GG eingeräumt werden, was angesichts der Gleichgewichtigkeit dieser Grundrechte abzulehnen ist (vgl. BAGE 1, 258, 268 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG).

c) In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Tarifpartner des vorliegenden Manteltarifvertrages teilweise, nämlich bei geringerer Betriebszugehörigkeit, eine Verkürzung der gesetzlichen Frist, teilweise aber auch eine Verlängerung mit der Einführung der Terminsregelung bei der Grundfrist von zwei Wochen zum Wochenschluß vorgenommen haben. Damit liegt eine für den Regelfall der Grundkündigungsfrist gegenüber dem Gesetz verbesserte Regelung vor, wenn dies auch nur ein kleiner Schritt in Richtung auf eine Angleichung der Fristen von Arbeitern und Angestellten ist. Vor allem, aber haben die Tarifpartner insoweit eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten vereinbart, als die Regelung über die sogenannte Unkündbarkeit, nämlich nach vollendetem 55. Lebensjahr und einer Betriebszugehörigkeit von mindestens fünf Jahren für beide Arbeitnehmergruppen unterschiedslos gilt (§ 14 Ziff. 3.1 MTV). Eine Verbesserung zu Gunsten der Arbeiter ist bei dieser Regelung im übrigen insoweit erfolgt, als diese Regelung für Arbeiter auch im Kleinbetrieb gilt, während sie für Angestellte nach § 15 Ziff. 3.3.1 dort nicht gelten soll. Zutreffend hat schließlich das Landesarbeitsgericht auch darauf hingewiesen, ungünstigere Regelungen für Arbeiter könnten durch günstigere Vorschriften in Tarifverträgen wieder relativiert werden; so sei für den Bereich der Metallindustrie vorliegend zu berücksichtigen, daß für einen Arbeiter eine Probezeit nur von acht Wochen vereinbart werden könne, bei Angestellten dagegen von drei Monaten (§ 2 Ziff. 5.1 MTV).

4. Allerdings ist der Revision insoweit Recht zu geben, als der vom Landesarbeitsgericht ins Feld geführte sachliche Grund zur Differenzierung der Kündigungsfristenregelung in Gestalt einer überwiegenden Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion und einem dafür bestehenden Flexibilitätsbedürfnis durch tatsächliche Feststellungen (noch) nicht ausreichend belegt ist.

a) Zwar geht das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats davon aus, daß eine überwiegende Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion ein besonderes Interesse der Beklagten begründen könnte, auf Konjunktureinbrüche und Auftragsrückgänge unmittelbar und ohne erhebliche Zeitverzögerung reagieren zu können. Die „überwiegende” Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion setzt aber denknotwendig Feststellungen dazu voraus, wieviele Angestellte ihrerseits in der Produktion bzw. im Verwaltungsbereich tätig sind, wozu aber keine Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vorliegen. Eine Zuordnung der Arbeitnehmergruppen jeweils zum Produktions- bzw. Verwaltungsbereich erfolgt hinsichtlich der unter den MTV fallenden Betriebe nicht. Die Revision rügt zu Recht, bisher fehle eine tatsächliche und empirische Grundlage dafür, daß in der Produktion keinerlei oder wenig Angestellte tätig seien; es sei sogar das Gegenteil evident, weil gerade in der Metallindustrie teilweise ein Überwiegen der Angestellten in der Produktion festzustellen sei; an vielen Produktionsstellen, die früher traditionell mit Arbeitern besetzt gewesen seien, seien nunmehr Angestellte tätig, z. B. beim Bedienen von Terminals, beim Schreiben und Steuern von Programmen, beim Überwachen von Arbeitsvorgängen usw. Nur wenn ganz überwiegend die Angestellten im Verwaltungsbereich tätig wären und nur eine relativ kleine Anzahl von Arbeitern dort tätig wäre, könnte dies aus Gründen zulässiger Pauschalierung vernachlässigt werden.

Die Revisionsbeklagte ist dem – auch mit ihrem Vorbringen in der Revisionsinstanz – entgegengetreten.

b) Der Senat hat im Urteil vom 4. März 1993 (– 2 AZR 355/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) entschieden, werde die Verfassungswidrigkeit tariflicher Kündigungsfristen von einer Partei angesprochen oder vom Gericht bezweifelt, so hätten die Arbeitsgerichte nach den Grundsätzen des § 293 ZPO von Amts wegen die näheren für die unterschiedlichen Kündigungsfristen maßgeblichen Umstände, die für und gegen eine Verfassungswidrigkeit sprechen, zu ermitteln. Der Senat hat dies damit begründet, bei dem Tarifrecht handle es sich kraft des Tarifvertragsgesetzes um von den Tarifvertragsparteien gesetztes autonomes Recht, das als statutarisches Recht nach den Grundsätzen des § 293 ZPO zu behandeln sei; dies bedeute, daß die Beurteilung der tariflichen Kündigungsfrist nicht von der Frage der Darlegungs- und Beweislast abhänge.

Im Hinblick auf diese Senatsrechtsprechung liegt der Fehler des Berufungsgerichts darin, nicht von Amts wegen die für und gegen die Verfassungswidrigkeit sprechenden Umstände vollständig aufgeklärt zu haben. Die Schlußfolgerung des Berufungsgerichts, § 14 Ziff. 2.1 MTV sei verfassungsgemäß, beruht daher auf einer unzureichenden Tatsachen- und Rechtsgrundlage, und zwar insofern, als es bei der Auswertung des statistischen Materials davon ausgeht, die Parteien hätten durch ihren Sachvortrag zu bestimmen, welche anspruchsbegründenden oder -vernichtenden Tatsachen der Entscheidung des Gerichts zugrunde zu legen seien. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß das Landesarbeitsgericht sich insofern bei der Auswertung der Statistiken zu Unrecht an den Beibringungsgrundsatz gebunden fühlte, obwohl in Anwendung der Senatsrechtsprechung vom 4. März 1993 (– 2 AZR 355/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) es Sache des Landesarbeitsgerichts gewesen wäre, nachdem die Verfassungswidrigkeit der tariflichen Kündigungsfrist im Streit stand, von sich aus die näheren für die unterschiedlichen Kündigungsfristen maßgeblichen Umstände zu ermitteln.

c) Die Beklagte hat vorgetragen, der Geltungsbereich des MTV umfasse ausschließlich Betriebe des produzierenden Gewerbes; in ihnen würden überwiegend Arbeiter beschäftigt, was das Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellt hat, woran der Senat nach § 561 ZPO gebunden ist.

Der Senat hat auch im Urteil vom 23. Januar 1992 (– 2 AZR 470/91 – AP Nr. 37, aaO) für den Bereich der Textilindustrie Nordrhein bei einem Arbeiteranteil von 65 % und einem Angestelltenanteil von ca. 35 % der Beschäftigten sowie ganz überwiegender Beschäftigung der Arbeiter in der Produktion die erhöhte personalwirtschaftliche Flexibilität als Sachgrund für die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte in jenem Bereich anerkannt. Ein Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität als Sachgrund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten hinsichtlich der Grundkündigungsfrist besteht jedoch nicht generell schon im Hinblick auf den Umfang des Einsatzes von Arbeitern in jeder Produktion ohne Rücksicht auf die Verhältnisse in der jeweiligen Branche. Die Senatsurteile vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – und 2 AZR 460/91 – (Textilindustrie), – 2 AZR 389/91 – (Gartenbau), sowie vom 2. April 1990 – 2 AZR 516/91 – (Bauhauptgewerbe), jeweils AP, aaO, betrafen Tarifverträge für Bereiche, deren Betriebe aus branchenspezifischen Gründen (produkt-, mode-, witterungs- oder saisonbedingten) Auftragsschwankungen ausgesetzt sind. Einige der einschlägigen Tarifverträge sehen als gewissen Ausgleich für den geringeren Bestandsschutz der von den kurzen Grundkündigungsfristen betroffenen Arbeiter nach betriebsbedingter Entlassung im Fall der Wiedereinstellung innerhalb eines bestimmten Zeitraums die Anrechnung der früheren Betriebs Zugehörigkeit (Textilindustrie Nordrhein) oder sogar die Wiedereinstellung (Gartenbau, Bauhauptgewerbe) vor. Der Senat hat jedoch solche Regelungen nicht als zwingende Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung angesehen und deshalb auch die kurzen Grundkündigungsfristen im Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Textilindustrie in Baden-Württemberg gebilligt, der, wie auch vorliegend der MTV, solche Regelungen nicht vorsieht (Urteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – AP, aaO). Jedoch dürfen die Besonderheiten, die sich aus der Produktion in Bereichen wie den vorstehend erwähnten ergeben, nicht pauschal auf alle Produktionsbereiche erweitert werden, wovon offensichtlich das Berufungsgericht ausgegangen ist. Es bedarf deshalb noch der weiteren Aufklärung, ob die Verhältnisse im gesamten Geltungsbereich des vorliegenden MTV, der Betriebe verschiedener (Unter-)Branchen umfaßt, aus gleichen oder ähnlichen Gründen wie in den vorstehend erwähnten Branchen ein Bedürfnis an erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität tatsächlich besteht (vgl. dazu für den MTV Metallindustrie Nordrhein-Westfalen: Senatsurteil vom 23. September 1992 – 2 AZR 231/92 –, nicht veröffentlicht). Insofern könnte einiges dafür sprechen, daß selbst bei unterschiedlichen Verhältnissen in den (Unter-)Branchen historisch gewachsenen Strukturen in den Koalitionen nach dem Industrieverbandsprinzip aufgrund der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) Rechnung zu tragen ist.

d) Zu Unrecht meint die Revision, der Sachgrund der personalwirtschaftlichen Flexibilität könne nur für betriebsbedingte Kündigungen anerkannt werden; insoweit hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom 30. Mai 1990 (BVerfGE 82, 126, 148 = AP, aaO, zu C I 4 g der Gründe) ausgeführt, das Flexibilitätsargument decke die Ungleichbehandlung nicht nur im Hinblick auf die Normadressaten – Großgruppen der Arbeiter und Angestellten –, sondern auch in sachlicher Hinsicht nur teilweise ab. Es treffe allein für betriebsbedingte Kündigungen zu. Bei normaler Konjunkturlage seien jedoch fast 2/3 aller Kündigungen Verhaltens- oder personenbedingt. Auch in Zeiten schlechter Konjunktur seien weniger als die Hälfte aller Kündigungen betriebsbedingt. Der Senat hat in den vorstehend zitierten, die Tarifverträge mit Wiedereinstellungs- oder Anrechnungsklauseln betreffenden Urteilen (vgl. Urteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – AP, aaO, betreffend Textilindustrie Nordrhein) ausgeführt, die betreffende Klausel sei zwar nur für betriebsbedingte Entlassungen vorgesehen; dies bestätige aber zumindest indirekt, daß auch die Tarifpartner ein Bedürfnis nach flexibler Personalwirtschaft grundsätzlich berücksichtigt hätten. Wenn sie dem durch die Grundkündigungsfrist generell, also nicht nur für betriebsbedingte Kündigungen, Rechnung getragen hätten, so spreche dies dafür, daß sie den Anteil der betriebsbedingten im Vergleich zu den Verhaltens- und personenbedingten Kündigungen für die Textilindustrie besonders hoch veranschlagt oder jedenfalls für ausschlaggebend angesehen hätten. Den Tarifpartnern sei insoweit im Rahmen der ihnen gewährten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) eine sachverständige Beurteilungskompetenz einzuräumen. Dies gilt allgemein für Tarifverträge, die die Kündigungsfristen unabhängig vom Kündigungsgrund einheitlich regeln, wie der Senat im Urteil vom 23. September 1992 (– 2 AZR 231/92 – nicht veröffentlicht) ausgeführt hat. Daran hält der Senat fest. Jedenfalls gilt dies für den vorliegenden MTV, dessen Regelung in § 14 Ziff. 3.2.1 zeigt, daß die Tarifpartner Änderungskündigungen und Versetzungen bei sogenannter Unkündbarkeit, also betriebsbedingte Gesichtspunkte, innerhalb der tariflichen Regelung berücksichtigt haben.

5. Der Revision ist auch insoweit Recht zu geben, als sie hinsichtlich der Zweit- oder Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts zum Vorliegen eines sachlichen Grundes für differenzierende Kündigungsregelungen, nämlich des Gesichtspunkts der Verteuerung von Sozialplänen, rügt, es fehle zunächst einmal an einem Beleg dafür, es seien regelmäßig über 20 Arbeitnehmer in den Betrieben, die dem in Rede stehenden MTV unterfielen, beschäftigt. Die Bezugnahme des Landesarbeitsgerichts auf die Mindestzahl von 20 Arbeitnehmern in § 111 BetrVG besagt natürlich nichts dazu, ob der in Rede stehende Gesichtspunkt aufgrund tatsächlich vorliegender Umstände überhaupt für eine repräsentative Zahl von Betrieben Geltung und Beachtung verdient.

Die Revision weist ferner mit einigem Recht darauf hin, die Frage der Kündigungsfrist spiele dann keine Rolle, wenn der Sozialplan so früh getroffen werde, daß eine unmittelbare schnelle Entlassung unter Einhaltung kurzer Kündigungsfristen nicht erforderlich sei. Dazu hatte der Senat bereits früher im Urteil vom 23. Januar 1992 (– 2 AZR 470/92 – AP, aaO, zu II 2 c bb der Gründe) angemerkt, Zeitpunkt und Termin der Kündigungen gewerblicher Arbeitnehmer sei tatsächlich Sache des Interessenausgleichs und nicht des Sozialplans im engeren Sinne; da der Interessenausgleich nicht gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzbar sei, erschienen die Zweifel begründet, kürzere Kündigungsfristen dienten auch einer Vermeidung der Verteuerung von Sozialplänen. Der Senat hat allerdings dazu ausgeführt, in der Praxis dürfte schon das vorgeschaltete Einigungsverfahren nach § 112 Abs. 2 und 3, §112 a BetrVG, wolle sich der Arbeitgeber nicht einem Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG aussetzen, zu einer Verzögerung der Kündigungsmaßnahme führen, was mit und ohne längere Kündigungsfrist mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre. Der Senat hat in dieser Hinsicht auch seinerzeit bereits Aufklärungsbedarf gesehen, und zwar nicht zuletzt zu der Frage, ob in der betreffenden Branche für die arbeitgeberseitig veranlaßte Beendigung von Arbeitsverhältnissen die sozialplanpflichtige Entlassung von Arbeitern überhaupt typisch sei oder z. B. angesichts der Betriebsgröße von unter 21 Arbeitnehmern (§ 111 Satz 1 BetrVG) weniger vorkomme. In dieser Hinsicht reichen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch im vorliegenden Fall nicht aus, um die Frage der sachlichen Rechtfertigung der Kündigungsfristenregelung zu beurteilen.

6. Soweit das Landesarbeitsgericht die Qualifizierung und Spezialisierung eines überwiegenden Teils der Angestellten und eine damit verbundene verlängerte Stellensuche nicht als sachlichen Grund für die unterschiedlichen Kündigungsfristen gelten läßt, sind diese Ausführungen mit einer Gegenrüge der Beklagten angegriffen worden. Das Landesarbeitsgericht hat insofern unter anderem angemerkt, es fehle an einer empirischen Grundlage für eine schwere Vermittelbarkeit der Angestellten mit hohen Ausbildungserfordernissen bzw. Schwierigkeiten dieses Personenkreises bei der Stellensuche. Die Beklagte rügt insofern eine Nichtberücksichtigung ihrer Sachdarstellung in den Schriftssätzen vom 17. November 1992 und 1. Dezember 1992. Es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des zu beachtenden Prinzips der Amtsermittlung gemäß § 293 ZPO zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Dem kann und will der Senat nicht vorgreifen. Auch angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, von sich aus erst Tatsachenmaterial zu Tage zu fördern, um dieses dann einer erstmaligen und abschließenden Würdigung zu unterziehen. Das sieht wohl auch die Revision nicht anders, wenn sie ausführt, das Revisionsgericht sei nicht das Gericht – besser: die richtige Stelle –, um dort einen Tatsachenstreit auszutragen. Insofern liegt der Sachverhalt anders, als in dem dem Rechtsstreit 2 AZR 355/92 zugrundeliegenden Fall, in dem das Tatsachenmaterial vollständig vorgetragen war und nach Auffassung des Senats lediglich eine abschließende Auskunft der Tarifpartner einzuholen war. Den Parteien ist deshalb auch Gelegenheit zugeben, ihrerseits ergänzend Tatsachenmaterial vorzutragen, dies auszuwerten und eine neue Entscheidung des Berufungsgerichts herbeizuführen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Bitter, Bröhl, Brocksiepe, Walter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI917766

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