Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsverhältnis der PGH-Mitglieder. Zu den Rechtsverhältnissen der Mitglieder von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der ehemaligen DDR vgl. Urteil des Senats vom 16. Februar 1995 (– 8 AZR 714/93 – AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VI, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

 

Leitsatz (amtlich)

  • In der ehemaligen DDR waren Mitglieder von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) nach § 1 der Verordnung über das Musterstatut des Handwerks vom 21. Februar 1973 (GBl. DDR I S. 121) in Verbindung mit § 10 Abs. 3 des Musterstatuts zur Arbeitsleistung verpflichtet. Sie waren keine Arbeitnehmer.
  • Diese Rechtslage ist durch den Einigungsvertrag nicht verändert worden.
  • Auch mit der Änderung der Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (§ 9a PGH-VO n.F.) durch Art. 8 Nr. 4 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl. I S. 766) sind neben den Mitgliedschaftsverhältnissen keine Arbeitsverhältnisse begründet worden.
 

Normenkette

Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl. I S. 766) Art. 8 Nr. 4; Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 8. März 1990 (GBl. DDR I S. 164) §§ 9a, 10 Abs. 2; Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. Februar 1973 (GBl. DDR I S. 121) §§ 1, 4 Abs. 2-3; Einführungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. DDR I S. 228) § 4; Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. DDR I S. 188) § 15; Einigungsvertrag Anlage II Kapitel V Sachgebiet A Abschn. III Nr. 4; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 25.10.1993; Aktenzeichen 7/3/2 Sa 148/92)

ArbG Eisenach (Urteil vom 18.02.1992; Aktenzeichen 2 Ca 2246/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 1) und 2) wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 1993 – 7/3/2 Sa 148/92 – aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach vom 18. Februar 1992 – 2 Ca 2246/91 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das nach Auffassung der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis durch die Erklärung der Beklagten zu 1) vom 24. Juni 1991 zum 30. Juni 1991 beendet wurde oder im Wege der Rechtsnachfolge auf die Beklagte zu 2) überging.

Die 1941 geborene Klägerin ist Friseuse. Sie wurde im Jahre 1974 Mitglied der Beklagten zu 1), einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH). Im Dezember 1982 wurde zwischen der Klägerin und der PGH rückwirkend zum 23. April 1974 eine “Arbeits-Vereinbarung” abgeschlossen. Aufgrund dieser Vereinbarung war die Klägerin unter Anerkennung des Statuts und der Betriebsordnung der PGH sowie auf der Grundlage der darin festgelegten Rechte und Pflichten der Mitglieder der PGH als Friseuse mit einer täglichen Arbeitszeit von 5,5 Stunden tätig. Nach Ziff. 5.3 der Arbeits-Vereinbarung konnte diese nur durch Beendigung der Mitgliedschaft gemäß dem Statut der PGH aufgelöst werden.

Die PGH wurde durch Beschluß der Mitgliederversammlung vom 19. März 1991 zum 30. Juni 1991 aufgelöst. Seit dem 1. Juli 1991 befindet sich die Beklagte zu 1) in Liquidation.

Mit Schreiben vom 24. Juni 1991 teilte die Beklagte zu 1) der Klägerin folgendes mit:

“Wie Ihnen bekannt ist, wird die PGH “Haarpflege” E… zum 30.06.91 aufgelöst. Damit endet die Mitgliedschaft sowie die mitgliedschaftlichen Arbeitsverpflichtungen aller bis zu diesem Zeitpunkt in unserer PGH Beschäftigten.

Ihre Ansprüche aus der Liquidation der PGH sind von der Beendigung der Mitgliedschaft unberührt. Bei Vorliegen des Zahlenwerkes übersenden wir Ihnen nähere Einzelheiten zu den Rückzahlungsmodalitäten.”

Parallel zur Auflösung der PGH gründeten einige wenige der ehemaligen PGH-Mitglieder die Beklagte zu 2). Diese übernahm mit Zustimmung der Mitgliederversammlung vom 19. März 1991 die Vermögenswerte der PGH mittels Kaufvertrages. Der Kaufpreis wurde der Beklagten zu 2) als Darlehen zur Verfügung gestellt.

Der Frisör-Salon, in dem die Klägerin tätig war, wurde von der Beklagten zu 2) nach dem 1. Juli 1991 in den gleichen Räumlichkeiten und unter der Vornahme von Neueinstellungen in voller Stärke weiterbetrieben.

Der Klägerin wurde am 20. März 1991 der persönliche Genossenschaftsanteil in Höhe von 500,00 DM ausgezahlt. Die Auseinandersetzung und Auszahlung des PGH-Vermögens sollte später erfolgen.

Mit der am 6. September 1991 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt. Am 4. Dezember 1991 hat sie die Klage gegen die Beklagte zu 2) erweitert.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, Mitglieder einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks seien wegen der ausgeprägten fachlichen Weisungsgebundenheit und deren Eingliederung in die betriebliche Organisation persönlich abhängig und damit Arbeitnehmer. Das Arbeitsverhältnis stehe neben dem Mitgliedschaftsverhältnis. Aus der Änderung der Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgesellschaften des Handwerks vom 8. März 1990 (§ 9a Abs. 2 PGH-VO n.F.) durch Art. 8 Nr. 4 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl. I S. 766) ergebe sich, daß die Arbeit in der handwerklichen Produktionsgenossenschaft nicht mehr auf körperschaftlicher Grundlage, sondern auf Grundlage eines Arbeitsverhältnisses erbracht worden sei. Mit Schreiben vom 24. Juni 1991 habe die Beklagte zu 1) nur auf die Beendigung der Mitgliedschaftsverhältnisse zum 30. Juni 1991 hingewiesen, nicht aber das Arbeitsverhältnis gekündigt. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei wegen Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 BGB ohnehin unwirksam. Die Beklagte zu 2) habe den Frisör-Salon, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen sei, übernommen und fortgeführt. Dadurch sei das ursprünglich mit der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis auf die Beklagte zu 2) übergegangen.

Die Klägerin hat beantragt

  • festzustellen, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe und über den 30. Juni 1991 hinaus fortbestehe und nicht durch die Erklärung vom 24. Juni 1991 beendet worden sei;
  • hilfsweise festzustellen, daß zwischen den Parteien ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis bestehe und dieses über den 30. Juni 1991 hinaus fortbestehe und nicht durch die Erklärung vom 24. Juni 1991 beendet worden sei.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, die Arbeitsverpflichtung eines PGH-Mitglieds beruhe ausschließlich auf dem Mitgliedschaftsverhältnis. Ein Arbeitsverhältnis bestehe neben dem Mitgliedschaftsverhältnis nicht. Auch durch § 9a Abs. 2 PGH-VO sei ein neben dem Mitgliedschaftsverhältnis stehendes Arbeitsverhältnis nicht begründet worden. Durch diese Vorschrift sei lediglich klargestellt worden, daß für die PGH das bisher maßgebliche Statut weitergelte, soweit es sich nicht um obsolete Bestimmungen der sozialistischen Planwirtschaft oder Gesellschaftsordnung handele. Sollte doch ein Arbeitsverhältnis bestanden haben, sei dieses ebenso wie das Mitgliedschaftsverhältnis zum 30. Juni 1991 beendet worden. Das Schreiben vom 24. Juni 1991 stelle eine Kündigung dar. Die Kündigung verstoße nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, weil sie allein aus Rationalisierungsmaßnahmen habe erfolgen müssen. Im übrigen habe die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung des zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestehenden Arbeitsverhältnisses sei gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam. Das ungekündigte Arbeitsverhältnis sei auf die Beklagte zu 2) übergegangen.

Die Mitglieder einer PGH seien zwar nach DDR-Recht keine im Arbeitsrechtsverhältnis beschäftigten Werktätigen gewesen. Nach § 8 Abs. 1 des Musterstatuts der Produktionsgenossenschaften des Handwerks (GBl. DDR I 1973 S. 122) hätten nur Mitglieder und Lehrlinge in der PGH tätig sein können. Die Mitglieder einer PGH seien auch nach Inkrafttreten des AGB-DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. DDR I S. 188) keine Werktätigen gewesen. Die am 23. Dezember 1982 abgeschlossene Arbeits-Vereinbarung der Klägerin sei kein Arbeitsvertrag, sondern eine Konkretisierung der wesentlichen Regelungen des Mitgliedschaftsverhältnisses. An dieser Rechtslage habe sich durch die Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 8. März 1990 (im folgenden PGH-VO) nichts geändert. Erst durch die Einfügung von § 9a PGH-VO durch Art. 8 Nr. 4 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 sei eine neue Rechtslage entstanden. Neben dem Mitgliedschaftsverhältnis sei kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet worden.

Die Mitteilung vom 24. Juni 1991 habe auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin enthalten. Diese Kündigung sei jedoch gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam. Die Beklagte zu 2) habe zum 1. Juli 1991 einen Betriebsteil, nämlich den Frisör-Salon, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen sei, rechtsgeschäftlich durch Kaufvertrag übernommen und fortgeführt. Die Beklagte zu 1) habe die Kündigung wegen des Übergangs des Frisör-Salons auf die Beklagte zu 2) ausgesprochen. Die Behauptung der Beklagten, die Kündigung sei allein aus Rationalisierungsmaßnahmen aufgrund der unternehmerischen Entscheidung, Personal abzubauen, erfolgt, sei nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin habe ihr Klagerecht nicht verwirkt.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestand kein Arbeitsverhältnis, das auf die Beklagte zu 2) nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB hätte übergehen können.

I. Für die Frage der Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses kommt es darauf an, ob der Beschäftigte seine Arbeitsleistung aufgrund einer Verpflichtung aus dem Genossenschaftsmitgliedschaftsverhältnis erbringt oder nicht (vgl. KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 32; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 46). Ergibt sich die Pflicht zur Arbeitsleistung ausschließlich und unmittelbar aus der Mitgliedschaft, ist der Beschäftigte kein Arbeitnehmer. Dies gilt selbst dann, wenn er bei Erfüllung seiner Arbeitsleistung, ähnlich einem Arbeitnehmer, einem Weisungsrecht Folge zu leisten hat (vgl. Urteil des Senats vom 16. Februar 1995 – 8 AZR 714/93 – AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VI, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; BAG Urteil vom 8. Januar 1970 – 3 AZR 436/67 – BAGE 22, 236 = AP Nr. 14 zu § 528 ZPO; BSG Urteil vom 27. Juli 1972 – 2 RU 122/70 – AP Nr. 4 zu § 539 RVO; BAG Beschluß vom 3. Juni 1975 – 1 ABR 98/74 – BAGE 27, 163 = AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972 Rotes Kreuz).

II. Nach dem Recht der DDR stand die Klägerin nicht in einem Arbeitsrechtsverhältnis. Ihre Arbeitsleistung für die Beklagte zu 1) erbrachte die Klägerin aufgrund einer Verpflichtung aus dem Genossenschaftsverhältnis.

1. Die Grundsätze der Tätigkeit einer PGH sowie Ziele und Aufgaben waren in der Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. Februar 1973 (GBl. DDR I S. 121) geregelt. Gemäß § 1 der Verordnung über das Musterstatut wurde das in der Anlage zu dieser Verordnung veröffentlichte Musterstatut für verbindlich erklärt.

a) Nach § 1 Abs. 1 des Musterstatuts sind die Produktionsgenossenschaften des Handwerks sozialistische Genossenschaften, die sich durch freiwilligen Zusammenschluß von Handwerkern bilden und sich auf der Grundlage des genossenschaftlichen Eigentums werktätiger Kollektive und der genossenschaftlichen Arbeit entwickeln. Die Bildung von Produktionsgenossenschaften bzw. der Beitritt zu ihnen erfolgte mit dem Ziel, durch eine wirksamere Nutzung der Kapazitäten die dem Handwerk gestellten Aufgaben auf dem Gebiet der Dienst- und Reparaturleistungen für die Bevölkerung besser und mit einer höheren Effektivität zu erfüllen.

b) Nach § 8 Abs. 1 des Musterstatuts durften nur Mitglieder und Lehrlinge in den Produktionsgenossenschaften tätig sein. Nach § 8 Abs. 2 des Musterstatuts konnten der PGH nur Handwerker und Gewerbetreibende, die in der Handwerks- oder Gewerberolle eingetragen waren, sowie deren mithelfende Ehegatten und im Arbeitsrechtsverhältnis stehende Beschäftigte einschließlich Lehrlinge dieser Betriebe sowie Lehrlinge, mit denen die PGH einen Lehrvertrag abgeschlossen hat, beitreten.

c) Nach § 4 Abs. 2 der Verordnung über das Musterstatut wurden Produktionsgenossenschaften, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Werktätige im Arbeitsrechtsverhältnis beschäftigten, verpflichtet, unverzüglich Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen, die die Einhaltung des § 8 Abs. 1 des Musterstatuts gewährleisteten. Der zuständige Rat des Kreises konnte solchen Produktionsgenossenschaften nach § 4 Abs. 3 der Verordnung über das Musterstatut genehmigen, daß bisher im Arbeitsrechtsverhältnis beschäftigte Werktätige als Mitglieder in die PGH aufgenommen wurden oder bis zum 31. Dezember 1973 weiter im Arbeitsrechtsverhältnis beschäftigt wurden. Aus dieser Regelung ergibt sich, daß ab 1. Januar 1974 ein Arbeitsrechtsverhältnis mit einer PGH nicht mehr möglich war. Die Pflicht zur Arbeitsleistung, die sich aus § 1 der Verordnung über das Musterstatut i.V.m. § 10 Abs. 3 des Musterstatuts ergab, konnte nur noch aufgrund des Mitgliedschaftsverhältnisses erbracht werden.

2. Das am 1. Januar 1978 in Kraft getretene AGB-DDR (GBl. DDR I S. 185) war auf genossenschaftliche Beschäftigungsverhältnisse nicht anwendbar (vgl. Urteil des Senats vom 16. Februar 1995 – 8 AZR 714/93 –, aaO; Kunz/Thiel, Arbeitsrecht, 1986, S. 46). Gemäß § 4 EGAGB-DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. DDR I S. 228) bedurfte es einer Festlegung des Ministerrats der ehemaligen DDR in Rechtsvorschriften, damit die für die Arbeiter und Angestellten geltenden Bestimmungen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen betreffend, auch für die Mitglieder von Produktionsgenossenschaften Anwendung finden konnten. Daraus ergibt sich, daß die Mitglieder einer PGH auch nach Inkrafttreten des AGB-DDR keine “Werktätigen” waren. Die Mitglieder sozialistischer Produktionsgenossenschaften konnten den Werktätigen im Sinne des § 15 AGB-DDR lediglich gleichgestellt werden.

3. Die Umsetzung des § 4 EGAGB-DDR erfolgte durch die Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 30. Dezember 1977 (GBl. DDR Sonderdruck Nr. 948). Es wurden neue Grundsätze für die Ausarbeitung der Betriebsordnungen in den Produktionsgenossenschaften des Handwerks festgelegt. Dies führte aber nicht dazu, daß neben dem Mitgliedschaftsverhältnis ein Arbeitsrechtsverhältnis begründet wurde. Gestaltungsgrundlage war die gemäß § 10 des Musterstatuts von der Mitgliederversammlung zu beschließende Betriebsordnung. Unter Ziff. 1 der Anlage zur Zweiten Durchführungsbestimmung wurde für die Betriebsordnungen der Grundsatz festgelegt, daß die PGH-Mitglieder gegenüber der PGH die gleichen Rechte und Pflichten haben wie sie den Werktätigen der VEB nach dem AGB-DDR zustehen, soweit sich nicht aus dem Musterstatut bzw. aus den Grundsätzen für die Ausarbeitung der Betriebsordnungen in den Produktionsgenossenschaften des Handwerks etwas anderes ergab. Unter Ziff. 3.2. der Anlage wurde festgelegt, daß die Mitglieder der PGH nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages, sondern auf der Grundlage ihrer Mitgliedschaft tätig waren. Es wurde bestimmt, daß mit jedem Mitglied eine schriftliche Vereinbarung über seine Arbeitsaufgabe, seinen Arbeitsort, die ihm übertragene Verantwortung und über andere wesentliche Regelungen des Mitgliedschaftsverhältnisses abzuschließen war.

4. Eine solche Vereinbarung enthält die Arbeits-Vereinbarung der Parteien vom 23. Dezember 1982. Eine arbeitsrechtliche Pflicht zur Arbeitsleistung wurde dadurch nicht begründet. Zweck dieser Vereinbarung war es lediglich, die Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft, inbesondere die Arbeitspflicht des Genossenschaftsmitglieds, zu konkretisieren (vgl. Urteil des Senats vom 16. Februar 1995, aaO, m.w.N.).

5. Die Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 15. Dezember 1983 (GBl. DDR Sonderdruck Nr. 1150) und die Vierte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 14. September 1984 (GBl. DDR I Sonderdruck Nr. 1150/1) haben an der rechtlichen Stellung der PGH-Mitglieder nichts geändert. Nach der Fünften Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 14. September 1984 (GBl. DDR I S. 318) konnte eine Beschäftigung im Arbeitsrechtsverhältnis von den Räten der Kreise “beauflagt” werden. Diese Regelung zeigt, daß im Einzelfall Arbeitsrechtsverhältnisse mit der PGH begründet werden konnten. Ohne eine solche “Beauflagung” waren die PGH-Mitglieder weiterhin nur aufgrund ihrer Stellung als Genossenschaftsmitglied zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet. Hieran hat auch die Sechste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 15. Januar 1987 (GBl. DDR Sonderdruck Nr. 1282) nichts geändert.

6. Auch durch die am 19. März 1990 in Kraft getretene Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 8. März 1990 (GBl. DDR I S. 164) hat sich an der Rechtsstellung der Klägerin nichts geändert.

a) Gemäß § 10 Abs. 2 PGH-VO traten sowohl die Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. Februar 1973 als auch die dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen außer Kraft. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß durch den Wegfall der Rechtsgrundlage des Statuts das Statut selbst nicht aufgehoben bzw. geändert wurde. Die Pflicht zur Arbeitsleistung ergab sich für das PGH-Mitglied deshalb weiterhin aus seinem Mitgliedschaftsverhältnis. Die PGH-Mitglieder standen nach wie vor in keinem Arbeitsrechtsverhältnis.

b) Durch die PGH-VO konnte sich die PGH ein neues Statut geben. In diesem Statut konnte geregelt werden, daß die Arbeitsleistung der Genossen auf der Grundlage eines neben ihrer Mitgliedschaft bestehenden Arbeitsverhältnisses erbracht werden soll. Gleichzeitig war möglich, daß durch Vertrag Arbeitsrechtsverhältnisse begründet werden konnten. Die Klägerin hat aber nicht behauptet, daß die PGH ein Statut beschlossen habe, wonach die bisher rein genossenschaftliche Grundlage der von allen Genossen geschuldeten Arbeitsleistung beseitigt worden sei. Ferner hat sie nicht behauptet, daß sie nach dem Inkrafttreten der PGH-VO einen Arbeitsvertrag mit der PGH abgeschlossen habe.

III. Auch nach dem 3. Oktober 1990 ist für die Klägerin neben dem Mitgliedschaftsverhältnis kein Arbeitsverhältnis begründet worden.

1. Die Rechtslage ist durch den Einigungsvertrag nicht verändert worden. Nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland galt die PGH-VO nach Anlage II Kapitel V Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 4 zum Einigungsvertrag (BGBl. II S. 1201) mit der Maßgabe fort, daß Produktionsgenossenschaften des Handwerks mit Wirkung vom 31. Dezember 1992 aufgelöst sind, sofern ihre Umwandlung nach den Vorschriften dieser Verordnung in eine der in § 4 Abs. 1 genannten Rechtsformen oder in eine eingetragene Genossenschaft nicht bis zu diesem Zeitpunkt vollzogen ist. Die Klägerin erbrachte ihre Arbeitsleistung nach wie vor aufgrund ihres Mitgliedschaftsverhältnisses und nicht aufgrund eines Arbeitsverhältnisses.

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wurden mit der Änderung der PGH-VO durch Art. 8 Nr. 4 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl. I S. 766) die bestehenden Genossenschaftsverhältnisse nicht kraft Gesetzes in Mitgliedschaftsverhältnisse und daneben bestehende Arbeitsverhältnisse aufgespalten.

a) In die PGH-VO vom 8. März 1990 wurde § 9a eingefügt. Die Vorschrift lautet:

  • PGH und Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks sind mit Wirkung vom 31. Dezember 1992 aufgelöst, sofern ihre Umwandlung nach den Vorschriften dieser Verordnung in eine der in § 4 Abs. 1 genannten Rechtsformen oder in eine eingetragene Genossenschaft nicht bis zu diesem Zeitpunkt vollzogen ist. Die Frist ist gewahrt, wenn die Gesellschaft oder Genossenschaft spätestens zum 31. Dezember 1992 ordnungsgemäß zur Eintragung in das Handels- oder Genossenschaftsregister angemeldet ist.
  • Bei PGH und Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung gegründet worden sind, bestimmt sich das Rechtsverhältnis der PGH und Einkaufs- und Liefergenossenschaften und ihrer Mitglieder mit Ausnahme des Arbeitsrechtsverhältnisses nach ihrem bei Inkrafttreten dieser Verordnung geltenden Statut und seinen Änderungen, soweit die §§ 4 bis 8 keine abweichenden Regelungen enthalten.

Nach dem Wortlaut des § 9a Abs. 2 PGH-VO bestimmte sich das Rechtsverhältnis der vor dem 19. März 1990 gegründeten Produktionsgenossenschaften des Handwerks und ihrer Mitglieder nach ihrem am 19. März 1990 geltenden Statut und seinen Änderungen, soweit die §§ 4 bis 8 keine abweichenden Regelungen enthielten. Eine Ausnahme bestand für Arbeitsrechtsverhältnisse.

b) Der Begriff des “Arbeitsrechtsverhältnisses” ist dem geltenden Arbeitsrecht fremd. Das Arbeitsrecht der DDR verstand unter dem Begriff “Arbeitsrechtsverhältnis” die auf Grundlage des sozialistischen Arbeitsrechts zwischen den Werktätigen und den sozialistischen Betrieben durch Arbeitsvertrag, Wahl oder Berufung begründeten Rechtsbeziehungen (§ 15 Abs. 1 AGB-DDR). Werktätige im arbeitsrechtlichen Sinne waren die Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz, die in einem durch Arbeits- oder Lehrvertrag, Berufung oder Wahl begründeten Arbeitsrechtsverhältnis standen (Kunz/Baumgart/Kobert/Püschel u. a., Arbeitsrecht in Stichworten, 2. Aufl., Berlin 1987). Erst durch die Novellierung des AGB-DDR vom 22. Juni 1990 (GBl. DDR I S. 371), in Kraft getreten am 1. Juli 1990, wurde der Begriff des “Arbeitsrechtsverhältnisses” durch den des “Arbeitsverhältnisses” abgelöst.

c) Durch die Verwendung des Begriffs “Arbeitsrechtsverhältnisse” hat der Bundesgesetzgeber auf die Rechtsbeziehungen der PGH-Mitglieder verwiesen, die vor dem 1. Juli 1990 begründet wurden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann hieraus nicht geschlossen werden, daß die bestehenden Genossenschaftsverhältnisse nach § 9a Abs. 2 PGH-VO kraft Gesetzes in Mitgliedschaftsverhältnisse und daneben bestehende Arbeitsverhältnisse aufgespalten worden seien. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß nach dem DDR-Recht vor dem 1. Juli 1990 neben dem Mitgliedschaftsverhältnis kein Arbeitsrechtsverhältnis begründet werden konnte. Nach dem Inkrafttreten der PGH-VO war es möglich, ein Statut zu beschließen, das die Arbeitsleistung der Genossen auf der Grundlage eines neben ihrer Mitgliedschaft bestehenden Arbeitsverhältnisses erbracht werden soll. Ebenso war es möglich, durch Vertrag Arbeitsrechtsverhältnisse mit der PGH zu begründen. Diese Arbeitsrechtsverhältnisse sollten durch § 9a PGH-VO unberührt bleiben. Eine Herauslösung der Arbeitspflicht der PGH-Mitglieder aus dem mitgliedschaftlichen Pflichtengefüge war damit nicht verbunden. Solange kein Arbeitsrechtsverhältnis zwischen dem PGH-Mitglied und der PGH bestand, wurde dieses nicht kraft Gesetzes begründet.

3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 16. Februar 1995 (– 8 AZR 714/93 –, aaO). In dieser Entscheidung hat der Senat angenommen, daß mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 3. Juli 1991 (BGBl. I S. 1410) am 7. Juli 1991 die bestehenden Genossenschaftsverhältnisse nach dem LPG-Gesetz kraft Gesetzes mit ex-nunc-Wirkung in Mitgliedschaftsverhältnisse nach dem LPG-Gesetz n.F. und daneben bestehende Arbeitsverhältnisse aufgespalten worden seien. Diese “Aufspaltung” beruht auf einer besonderen Regelung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes wird ein zwischen der LPG und dem Mitglied bestehendes Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Mitgliedschaft nicht berührt, es sei denn, das Mitglied erklärt ausdrücklich auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Im Gegensatz dazu verwendet der Gesetzgeber in § 9a PGH-VO den Begriff “Arbeitsrechtsverhältnis”. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Bundesgesetzgeber 1991 noch die Rechtsterminologie der ehemaligen DDR verwenden wollte, zumal diese Terminologie durch die DDR selbst zum 1. Juli 1990 aufgegeben wurde. Wenn der Gesetzgeber in § 9a PGH-VO dennoch vom “Arbeitsrechtsverhältnis” spricht, knüpft er an eine zu DDR-Zeiten begründete Rechtsbeziehung an, die ausnahmsweise neben dem Mitgliedschaftsverhältnis bestand.

IV. Demnach ist die Klage unbegründet.

1. Der Hauptantrag der Klägerin hat keinen Erfolg, weil zwischen ihr und der Beklagten zu 1) kein Arbeitsverhältnis bestand und deshalb auch kein Arbeitsverhältnis von der Beklagten zu 2) gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übernommen wurde. Ob das Mitgliedschaftsverhältnis der Klägerin zur PGH ordnungsgemäß beendet wurde, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

2. Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg, weil zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) auch kein arbeitnehmerähnliches Verhältnis bestand.

Arbeitnehmerähnliche Person ist, wer, ohne Arbeitnehmer zu sein, aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages oder eines ähnlichen Rechtsverhältnisses in wirtschaftlicher Abhängigkeit Dienst- oder Werkleistungen persönlich und im wesentlichen ohne Mitarbeit von Arbeitnehmern erbringt und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig ist (vgl. KR-Rost, 4. Aufl., Arbeitnehmerähnliche Person Rz 9).

Die Klägerin hat ihre Arbeitsleistungen ausschließlich aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der PGH erbracht. Trotz wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit ist sie daher keine arbeitnehmerähnliche Person.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, Hennecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 884842

JR 1997, 220

NZA 1997, 542

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