Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Kündigungsfristen. Tarifliche Kündigungsfrist und Kündigungsfristengesetz. Kündigungsrecht. Tarifvertragsrecht

 

Orientierungssatz

  • Die Tarifregelung des § 2 MTV-Angestellte südbay. Textilindustrie enthält keine konstitutive Regelung der Kündigungsfristen für ältere Angestellte.
  • Die im wesentlichen inhaltsgleiche Übernahme der verlängerten Kündigungsfristen nach § 2 Abs. 1 Angestelltenkündigungsschutzgesetz durch § 2 MTV-Angestellte südbay. Textilindustrie spricht gegen einen eigenen Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien.
  • Ein bloßes Beibehalten der bisherigen tariflichen Regelung der Kündigungsfristen nach dem Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes im Jahr 1993 führt nicht – ohne Bestätigung des Regelungswillens der Tarifvertragsparteien – automatisch zu einer konstitutiven Weitergeltung.
 

Normenkette

Angestelltenkündigungsschutzgesetz § 2; BGB § 622 Abs. 2 n.F., § 622 n.F.; Manteltarifvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der südbayerischen Textilindustrie i.d.F. vom 4. April 1996 § 2

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 12.07.2000; Aktenzeichen 9 Sa 1289/99)

ArbG Augsburg (Urteil vom 07.09.1999; Aktenzeichen 7d Ca 1650/99 D)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 12. Juli 2000 – 9 Sa 1289/99 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die anzuwendende Kündigungsfrist.

Die 47-jährige Klägerin war seit dem 1. April 1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als kaufmännische Mitarbeiterin im Einkauf beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden auf Grund einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der südbayerischen Textilindustrie (im folgenden: MTV-Angestellte) Anwendung.

In § 2 MTV-Angestellte in der Fassung vom 4. April 1996, gültig ab dem 1. Juni 1996, ist hinsichtlich der Kündigung von Arbeitsverhältnissen geregelt:

“B. Kündigung

  • Die gegenseitige Kündigungsfrist beträgt 6 Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres.

    Mit Angestellten der Gehaltsgruppe III, IIIa und IV können längere gegenseitige Kündigungsfristen vereinbart werden. Sie dürfen bei Angestellten der Gehaltsgruppe III 3 Monate und bei Angestellten der Gehaltsgruppen IIIa und IV 6 Monate jeweils zum Schluss eines Kalendervierteljahres nicht überschreiten.

    Für Kündigungen durch den Arbeitgeber verlängert sich die Kündigungsfrist wie folgt:

    • bei mindestens 5-jähriger Beschäftigungszeit 3 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres,
    • bei mindestens 8-jähriger Beschäftigungszeit 4 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres,
    • bei mindestens 10-jähriger Beschäftigungszeit 5 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres,
    • bei mindestens 12-jähriger Beschäftigungszeit 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres.

    Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Dienstjahre, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt.”

Diese Regelung ist seit der Tarifvereinbarung vom 12. Mai 1982 Bestandteil des MTV-Angestellte. Sie löste die damalige Regelung im Manteltarifvertrag für Angestellte der südbayerischen Textilindustrie vom 30. Juni 1970 ab, nach der

“die gegenseitige Kündigungsfrist 6 Wochen zum Quartalsende (beträgt)”.

Die Bestimmung des § 2 B Ziff. 1 des MTV-Angestellte ist seit ihrer Einführung unverändert geblieben und war nicht Gegenstand von späteren Tarifverhandlungen.

Mit Schreiben vom 27. April 1999 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen Schließung der Betriebsstätte zum 30. Juni 1999.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Arbeitsverhältnis sei auf Grund der tarifvertraglichen Kündigungsfrist erst zum 30. September 1999 beendet worden. Der MTV-Angestellte regele die Kündigungsfristen eigenständig. Die Tarifvertragsparteien hätten in Kenntnis der gesetzlichen Neuregelung der Kündigungsfristen im Jahr 1993 die Kündigungsfristenregelung des MTV-Angestellte beibehalten. Das lasse auf ihren abweichenden Regelungswillen schließen. Die Tarifunterworfenen könnten nicht erkennen, ob die tariflichen Bestimmungen regelnde, konstitutive oder nur deklaratorische Wirkungen hätten. Es müsse deshalb bei einer am Wortlaut orientierten Anwendung des Tarifvertrags bleiben.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 27. April 1999 zum 30. Juni 1999, sondern erst mit dem 30. September 1999 beendet worden ist.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 BGB nF finde Anwendung. § 2 B Ziff. 1 MTV-Angestellte enthalte lediglich eine deklaratorische Tarifregelung der Kündigungsfristen. Der MTV-Angestellte habe die damalige gesetzliche Regelung des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 (RGBl. I S 399) (im folgenden: Angestelltenkündigungsschutzgesetz) übernommen und keine vom Gesetz unabhängige selbständige Regelung geschaffen.

In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin eine Entscheidung nach ihrem Klageantrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die von der Beklagten anzuwendende Kündigungsfrist zutreffend nach § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB berechnet. Das Arbeitsverhältnis endete deshalb auf Grund der Kündigung vom 27. April 1999 zum 30. Juni 1999.

  • Das Landesarbeitsgericht hat eine Kündigungsfristberechnung nach § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte abgelehnt, weil die tarifliche Regelung deklaratorisch sei und mit den damals geltenden Bestimmungen des Angestelltenkündigungsschutzgesetzes wörtlich übereingestimmt habe.
  • Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Sie rügt zu Unrecht eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 2 B Ziff. 1 MTV-Angestellte.

    § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte enthält keine eigenständige tarifliche Regelung der verlängerten Kündigungsfristen für Angestellte, sondern eine sog. deklaratorische Tarifnorm. Deshalb gelten bis zu einer eigenständigen tariflichen Regelung die jeweils gültigen gesetzlichen Bestimmungen. Die Kündigungsfristenregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches finden unmittelbar Anwendung (Senat 14. Februar 1996 – 2 AZR 201/95 – AP BGB § 622 Nr. 50 = EzA BGB § 622 nF Nr. 53; 18. November 1999 – 2 AZR 104/99 – nv.). Betroffen hiervon sind auch alle Arbeitsverhältnisse, die – wie hier – individualrechtlich auf die Tarifverträge verweisen (ua. Preis FS Schaub S 571, 575).

    • Durch die in ihrem Arbeitsvertrag erfolgte Inbezugnahme des einschlägigen MTV-Angestellte haben die Parteien die Geltung dieses Tarifvertrags in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart (BAG 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330; 18. November 1999 aaO).
    • Auf Grund des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz) vom 7. Oktober 1993 (BGBl. 1993 S 1668) blieben abweichende eigenständige tarifliche Regelungen der Kündigungsfristen unberührt. Die Tariföffnungsklausel des § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB nF ist nicht so zu verstehen, daß lediglich in künftigen Tarifverträgen von den gesetzlichen Kündigungsfristen abgewichen werden kann (Senat 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1028/94 – BAGE 81, 76; 14. Februar 1996 – 2 AZR 201/95 – aaO; 29. Januar 1997 – 2 AZR 370/96 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 22 = EzA TVG § 4 Textilindustrie Nr. 9).
    • Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Auslegung der Tarifnorm des § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte zutreffend von der Rechtsprechung des Senats zur Unterscheidung von deklaratorischen und konstitutiven Kündigungsfristenregelungen ausgegangen.

      • Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (grundlegend 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP BGB § 622 Nr. 24 = EzA ZPO § 148 Nr. 15 sowie die weiteren Urteile 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1028/94 – BAGE 81, 76; 14. Februar 1996 – 2 AZR 201/95 – aaO; 14. Februar 1996 – 2 AZR 166/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 21 = EzA BGB § 622 nF Nr. 54; 18. September 1997 – 2 AZR 614/96 – RzK I 3c Nr. 67; 18. September 1997 – 2 AZR 767/96 – nv.; 18. November 1999 – 2 AZR 104/99 – nv.) ist bei tariflichen Bestimmungen, die inhaltlich mit gesetzlichen Normen übereinstimmen oder auf sie verweisen, jeweils durch Auslegung zu ermitteln, inwieweit die Tarifvertragsparteien eine selbständige, dh. in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung treffen wollten. Dieser Wille muß im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden haben. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme und gegen einen eigenen Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien spricht hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen werden. In einem derartigen Fall ist bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß es den Tarifvertragsparteien bei der Übernahme des Gesetzestextes darum gegangen ist, im Tarifvertrag eine unvollständige Darstellung der Rechtslage zu vermeiden. Sie haben dann die unveränderte gesetzliche Regelung im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit deklaratorisch in den Tarifvertrag aufgenommen, um die Tarifgebundenen möglichst umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu unterrichten. Es kann von den Tarifvertragsparteien – jedenfalls bei neueren Tarifverträgen – erwartet werden, daß sie ihren Normsetzungswillen verdeutlichen, wenn sie mit der Übernahme von Gesetzesrecht eine eigenständige Tarifregelung beabsichtigen.
      • Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Tarifvertragsparteien die im Tarifgebiet damals geltenden gesetzlichen Regelungen des § 2 Abs. 1 Angestelltenkündigungsschutzgesetz für die verlängerten Kündigungsfristen im wesentlichen inhaltlich übernommen.

        • Die Fassung des § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 Buchst. a) bis d) MTV-Angestellte spricht für eine deklaratorische Übernahme der verlängerten Kündigungsfristen des § 2 Abs. 1 Angestelltenkündigungsschutzgesetz. Die Tarifvertragsparteien haben die frühere gesetzliche Regelung im wesentlichen wörtlich in § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte übernommen. Die Tarifnorm führt inhaltsgleich dieselben verlängerten Kündigungsfristen unter Beachtung des Bestands des Arbeitsverhältnisses nach dem 25. Lebensjahr wie das Gesetz auf.
        • Neben der inhaltsgleichen Übernahme der gesetzlichen Regelung spricht für eine deklaratorische Geltung der Tarifnorm vor allem der Umstand, daß das Angestelltenkündigungsschutzgesetz nicht tarifdispositiv ausgestaltet war (vgl. die Hinweise in den Entscheidungen vom 18. September 1997 und vom 18. November 1999 aaO sowie schon die Ausführungen in den Entscheidungen des RAG 26. Oktober 1927 – RAG 1/27 – ARS 1, 14, 17; 27. November 1929 – RAG 289/29 – ARS 7, 395, 396; Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts 7. Aufl. 1. Bd. § 58 IV 1; Soergel/Kraft BGB 11. Aufl. § 622 Rn. 19; Staudinger/Neumann BGB 12. Aufl. Vorbem. zu § 620 Rn. 118; KR-Etzel 3. Aufl. §§ 1, 2 Angestelltenkündigungsschutzgesetz Rn. 33). Die Tariföffnungsklausel des § 622 Abs. 3 BGB aF erfaßte also nicht die Fristen des Angestelltenkündigungsschutzgesetzes (Soergel/Kraft aaO § 622 Rn. 19). Bereits dies spricht dafür, daß nach dem Sinn und Zweck der Tarifnorm die Tarifvertragsparteien im Jahre 1982 keine eigenständige Regelung der Kündigungsfristen vereinbaren wollten, sondern den ohnehin zwingenden Gesetzeswortlaut nur aus Gründen der Vollständigkeit und der umfassenden Darstellung der Rechtslage in ihren Tarifvertrag übernommen haben (vgl. auch Senat 18. September 1997 aaO).
      • Es liegen auch keine anderen gegenteiligen Anhaltspunkte dafür vor, daß die Tarifvertragsparteien bei der Übernahme des Gesetzestextes für die verlängerten Kündigungsfristen eine bestimmte Fassung dieser Fristen tariflich festschreiben wollten. Ein solcher Regelungswille hat jedenfalls keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß es den Tarifvertragsparteien bei der Übernahme des Gesetzestextes für die verlängerten Kündigungsfristen darum gegangen ist, eine unvollständige Darstellung der damaligen Rechtslage im Tarifvertrag zu vermeiden.

        • In § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte fehlt zwar die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Angestelltenkündigungsschutzgesetz normierte Einschränkung für Kleinbetriebe (mehr als zwei Angestellte). Das rechtfertigt aber noch nicht den Schluß auf eine konstitutive Tarifregelung für die verlängerten Kündigungsfristen. Diese tarifliche Abweichung ist nicht wesentlich, zumal es sich um einen Tarifvertrag für Industriebetriebe handelt (siehe auch BAG 28. Januar 1989 – 2 AZR 296/87 – AP BGB § 622 Nr. 24 = EzA ZPO § 148 Nr. 15; Kramer ZIP 1994, 929, 931). Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien die gesetzliche Kündigungsfristenregelung des § 2 Angestelltenkündigungsschutzgesetz in ihrem wesentlichen Kernbereich sachlich voll übernommen.
        • Es kann weiter dahingestellt bleiben, ob § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 2 MTV-Angestellte eine eigenständige tarifliche Regelung enthält. Denn diese bezieht sich nicht auf den hier maßgeblichen Regelungsbereich der verlängerten Kündigungsfristen des § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte, sondern ggf. nur auf die Grundkündigungsfrist des § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 1 MTV-Angestellte. Selbst für den Fall, daß damit der MTV-Angestellte für seine Grundkündigungsfrist eine konstitutive Tarifregelung enthielte, bliebe es dabei, daß die Tarifvertragsparteien für den Teilbereich der verlängerten Kündigungsfristen ab dem 25. Lebensjahr keine vom Gesetzestext abweichende konstitutive Regelung geschaffen haben. Die Aufspaltung einer solchen tariflichen Kündigungsfristenregelung in einen konstitutiven und in einen deklaratorischen Teil wird allgemein als zulässig angesehen (Senat 14. Februar 1996, 29. Januar 1997 und 18. September 1997 aaO; Kramer ZIP 1994, 929, 931; KR-Spilger 6. Aufl. § 622 BGB Rn. 284; APS/Linck § 622 BGB Rn. 119).
      • Schließlich kommt der tariflichen Regelung der Kündigungsfristen noch nicht deshalb eine eigenständige, konstitutive Wirkung zu, weil die Tarifvertragsparteien nach Änderung der Kündigungsfristen für die Kündigung von Angestellten durch das Kündigungsfristengesetz im Jahr 1993 an der bisherigen Fassung des § 2 B Ziff. 1 Unterabs. 3 MTV-Angestellte unverändert festgehalten haben. Die verlängerten Kündigungsfristen des MTV-Angestellten gelten deshalb nicht gleichsam automatisch als konstitutive Regelungen weiter. Ging der frühere Regelungswille der Tarifvertragsparteien lediglich dahin, die gesetzlichen Kündigungsfristen abzubilden und in den MTV-Angestellten zu übernehmen, so tritt durch den bloßen Wegfall der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung nicht ohne weiteres eine Wandlung in ihrem Rechtsetzungswillen ein (Senat 18. September 1997 aaO; ErfK/Müller-Glöge 2. Aufl. § 622 BGB Rn. 57; Wank NZA 1993, 961, 966). Ein solcher muß vielmehr betätigt werden. Angesichts der Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wäre deshalb zu erwarten gewesen, daß die Tarifvertragsparteien des MTV-Angestellte, insbesondere anläßlich des Tarifabschlusses vom 4. April 1996, auch die Kündigungsfristen neu geregelt bzw. gefaßt hätten, wenn sie ihnen hätten konstitutive Bedeutung beilegen wollen. Unstreitig sind jedoch die tariflichen Bestimmungen über die Kündigungsfristen weder geändert noch zum Gegenstand von Tarifverhandlungen gemacht worden.
    • Den Einwand der Revision, die Rechtsprechung des Senats verstoße gegen den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz des Vertrauensschutzes, weil ein einfacher Arbeitnehmer nicht in der Lage sei zu erkennen, ob die Tarifnorm nur deklaratorischen Charakter habe, hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1995 (– 2 AZR 1028/94 – BAGE 81, 76) als unerheblich zurückgewiesen. Es sei nämlich zunächst der Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien zu ermitteln. Im Falle einer inhaltlichen Übernahme der gesetzlichen Regelung fehle er. Aus Gründen der Tarifautonomie sei dies zu respektieren. Der Normsetzungswille fehle auch dann, wenn für den Tarifunterworfenen aus der Fassung des Tarifvertrags ein Verständnisproblem entstehe. Hat die tarifliche Bestimmung keinen eigenständigen, konstitutiven Regelungsgehalt, so erwachse dieser nicht allein daraus, daß sich vom Empfängerhorizont der Tarifunterworfenen ein solcher zu ergeben erscheint. Tarifverträge sind nämlich nicht wie Willenserklärungen oder andere Verträge, sondern wie Gesetze auszulegen, so daß es nicht auf den Empfängerhorizont ankommen kann.
  • Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Eylert, Beckerle, Baerbaum

 

Fundstellen

Haufe-Index 838707

DB 2003, 51

NZA 2003, 64

EzA-SD 2002, 16

PERSONAL 2003, 59

NJOZ 2003, 1950

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