Das Wichtigste in Kürze:

1. Für ein Verwerfungsurteil ist erforderlich, dass eine "genügende Entschuldigung" des Angeklagten fehlt.
2. Entscheidend für die Frage, ob der Angeklagte "genügend entschuldigt" ist, ist nicht, ob sich der Angeklagte entschuldigt hat, sondern, ob er tatsächlich entschuldigt ist.
3. Das Gericht hat nach allg. Meinung hinsichtlich der "genügenden" Entschuldigung eine im Freibeweisverfahren zu erfüllende Aufklärungspflicht.
4. Zu allgemeinen Gründen, bei deren Vorliegen ein Vorwurf/Verschulden hinsichtlich des Ausbleibens in der HV zu verneinen ist, gibt es umfangreiche Rechtsprechungsbeispiele.
5. Große Bedeutung haben in der Praxis die mit dem Entschuldigungsgrund "Krankheit" zusammenhängenden Fragen.
6. Auch die Regelung privater oder beruflicher Angelegenheiten kann das Ausbleiben in der Berufungs-HV genügend entschuldigen.
7. Schließlich können auch Verkehrsprobleme und – störungen (bei der Anreise) zum Termin das Ausbleiben entschuldigen.
 

Rdn 810

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → Berufung, Allgemeines, Teil B Rdn 640, und bei → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil B Rdn 785.

 

Rdn 811

1.a) Für ein Verwerfungsurteil ist außer dem Umstand, dass, wenn für den ausgebliebenen, aber ordnungsgemäß geladenen Angeklagten (→ Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, ordnungsgemäße Ladung, Teil B Rdn 823 ff.) auch ein Verteidiger mit Vertretungsvollmacht (Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Vertretung des Angeklagten, Teil B Rdn 835 ff.) nicht erschienen ist, außerdem erforderlich, dass eine "genügende Entschuldigung" des Angeklagten fehlt.

 

☆ Die Rspr . der Obergerichte zum Begriff der genügenden Entschuldigung i.S. des § 329 a.F. ist auch nach Neuregelung weiter anwendbar . Insoweit haben sich keine Änderungen in der StPO ergeben.Rspr. der Obergerichte zum Begriff der "genügenden Entschuldigung" i.S. des § 329 a.F. ist auch nach Neuregelung weiter anwendbar. Insoweit haben sich keine Änderungen in der StPO ergeben.

 

Rdn 812

b) Zur Verschuldensfrage lassen sich folgende Grundsätze aufstellen (wegen der Einzelh. s. Meyer-­Goßner/Schmitt, § 329 Rn 21 ff.; → Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung, Teil A Rdn 449):

Maßgebend ist, ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens nach den Umständen des Einzelfalls billigerweise ein Vorwurf zu machen ist (st.Rspr.; vgl. u.a. BayObLG NJW 1999, 3424; StRR 2013, 386; KG VRS 108, 110; VRR 2009, 433; OLG Brandenburg NJW 1998, 842 m.w.N.; Beschl. v. 28.6.2018 – (2) 53 Ss 61/18 (26/18), StraFo 2018, 481; OLG Dresden StV 2018, 152 [Ls.]; OLG Hamburg, Beschl. v. 2.9.2020 – 5 Rev 3/20, StV 2020, 858 [Ls.]; OLG München StraFo 2013, 208 und die übrigen nachfolgend zitierte Rspr.; wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 21 ff.). Es muss vor allem auch in subjektiver Hinsicht eine Pflichtverletzung gegeben sein (OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Dresden, a.a.O.). Das hat der VerfGH Sachsen verneint, wenn das Gericht selbst den Zugang des Gerichts zum Gerichtsgebäude und damit auch die Teilnahme des Angeklagten/Betroffenen an der Hauptverhandlung in rechtswidriger Weise (Verstoß gegen die DSGVO) von der Preisgabe personenbezogener Daten abhängig gemacht hat (VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.4.2021 – Vf. 137-IV-20, zfs 2021, 173; vgl. aber zur Kontaktdatenerfassung wegen der Coronapandemie auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.5.2020 – OVG 11 S 43/20; OVG Lüneburg, Beschl. v. 5.11.2020 – 9 LA 115/20, NJW 2021, 650).
Bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, liegen die Voraussetzungen für die Berufungsverwerfung nicht vor (KG VRS 108, 110; OLG Bamberg StRR 2008, 305; OLG Hamburg, Beschl. v. 7.1.2016 – 2 Rev 87/15; OLG Hamm StraFo 2012, 193; OLG Köln StraFo 2006, 205 m.w.N.; OLG München, a.a.O.; OLG Schleswig NStZ-RR 2008, 252).
 

☆ Der Angeklagte ist im Wiedereinsetzungsverfahren mit bereits bekannten Entschuldigungsgründen präkludiert (→  Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Rechtsmittel , Teil B Rdn  828 ). Der Verteidiger muss sich daher in der HV, wenn er nicht sichere Kenntnis von den Gründen für das Ausbleiben seines Mandanten hat, gut überlegen , ob er Halbwissen vorträgt . Denn setzt sich das Gericht dann damit auseinander, kann später im Wiedereinsetzungsverfahren dazu nichts mehr (neu) vorgetragen werden.bekannten Entschuldigungsgründen präkludiert (→ Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Rechtsmittel, Teil B Rdn 828). Der Verteidiger muss sich daher in der HV, wenn er nicht sichere Kenntnis von den Gründen für das Ausbleiben seines Mandanten hat, gut überlegen, ob er "Halbwissen" vorträgt. Denn setzt sich das Gericht dann damit auseinander, kann später im Wiedereinsetzungsverfahren dazu nichts mehr (neu) vorgetragen werden.

 

Rdn 813

2. Entscheidend für die Frage, ob der Angeklagte "genügend entschuldigt" ist, ist nicht, ob sich der Angeklagte entschuldigt hat, sondern, ob er entschuldigt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 18 m.w.N. au...

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