Verfahrensgang

LG Hagen (Aktenzeichen 53 Ns 438 Js 398/10 (27/11))

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Jugendstrafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts Iserlohn vom 27. April 2011 unter Freisprechung im Übrigen wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils leidet der Angeklagte unter einer paranoid-halluzinatorischen Psychose mit Angst- und Panikattacken sowie einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Im Jahre 2008 kam es erstmals zum Ausbruch dieser Erkrankung, welche in der Folgezeit mehrere stationäre Aufenthalte in der X in I2 jeweils auf der Basis des PsychKG erforderlich machte. In dem amtsgerichtlichen Verfahren ist daher nach Anhörung des Sachverständigen Dr. E eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB festgestellt worden.

Dem Angeklagten ist mittlerweile auch eine Betreuerin bestellt worden und der Angeklagte lebt in einer betreuten Wohneinrichtung.

Im Termin zur Verhandlung über die Berufung des Angeklagten vor der 4. großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Hagen am 7. November 2011 ist der Angeklagte nicht erschienen. Im Hauptverhandlungsprotokoll wird hierzu ausgeführt, dass der Sachverständige Dr. E den Angeklagten bei Gericht gesehen habe. Dieser habe geäußert, dass er nicht wisse, warum er hier sei. Der Angeklagte habe unruhig und getrieben gewirkt. Der Sachverständige habe keine Aussage dazu machen können, ob der Angeklagte verhandlungsfähig sei oder nicht. Er sei jedenfalls nicht psychotisch gewesen. Der Angeklagte sei weggerannt und die Betreuerin sei hinter ihm hergelaufen. Von der gesetzlichen Betreuerin, welche bei ihm angerufen habe, wisse der Sachverständige, dass der Angeklagte in seinem Zimmer sei und sich dort eingeschlossen habe.

Mit dem angefochtenen Urteil hat die 4. große Jugendstrafkammer des Landgerichts Hagen die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO verworfen und hierzu in ihren Gründen u.a. ausgeführt, dass der Angeklagte zwar seit 2008 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leide. Am Verhandlungstag selbst habe er sich jedoch nicht in einer akuten Krankheitsphase befunden, die ihm eine Teilnahme am Hauptverhandlungstermin unzumutbar gemacht hätte. Nach Befragung des Sachverständigen hätten sich keine Anhaltspunkte für ein akutes psychotisches Erleben ergeben. Auch würden keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Grunderkrankung des Angeklagten dazu führe, dass seine psychische Belastbarkeit ständig so weit eingeschränkt sei, dass ihm aus diesem Grund eine Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar wäre.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. November 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt und zugleich gegen das Urteil Revision eingelegt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung ist mit Beschluss der 4. großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Hagen vom 21. Dezember 2011 als unbegründet verworfen worden. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 14. Februar 2012 als unbegründet verworfen.

Nach Zustellung des Urteils hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. Januar 2012 die Revision näher begründet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Revision hat Erfolg.

Die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügende Verfahrensrüge, die Kammer habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt, greift durch.

Die Begründung des angefochtenen Urteils ergibt, dass das Landgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verkannt und an ihn zu strenge Anforderungen gestellt hat.

Nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO kann die Berufung des Angeklagten nur verworfen werden, wenn dessen Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, nicht hingegen, wenn sich der Angeklagte nur nicht genügend entschuldigt hat. Es ist allgemein anerkannt, dass eine Erkrankung des Angeklagten einen Entschuldigungsgrund i.S.d.

§ 329 Abs. 1 S. 1 StPO darstellt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 329 Rand-

ziffer 26; Paul in KK, StPO, 6. Aufl., § 329 Randziffer 11 m.w.N.). Dies gilt schon dann, wenn dem Angeklagten das Erscheinen vor Gericht wegen der Erkrankung unzumutbar ist. Denn der Begriff der genügenden Entschuldigung darf nicht eng ausgelegt werden. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regelung, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werd...

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