Rdn 636

 

Literaturhinweise:

Dencker, Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht und Vernehmung zur Person, MDR 1975, 359

Geppert, Die "qualifizierte" Belehrung, in: Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990, S. 93

Gillmeister, Die Hinweispflicht des Tatrichters, StraFo 1998, 8

Schünemann, Die Belehrungspflichten der §§ 243 Abs. 4, 136 n.F. StPO und der BGH, MDR 1969, 101

s.a. die Hinw. bei → Vernehmung des Angeklagten zur Person, Teil V Rdn 3645.

 

Rdn 637

1. Nach der → Verlesung des Anklagesatzes, Teil V Rdn 3426, muss der Vorsitzende gem. § 243 Abs. 5 S. 1 den Angeklagten über sein Recht, die Aussage zu verweigern, belehren. Die Belehrung ist in der HV unabhängig davon erforderlich, dass der Angeklagte zuvor bereits im EV bei der Polizei und/oder der StA (ggf. mehrfach) belehrt worden ist. Die Belehrung ist auch dann notwendig, wenn die HV ausgesetzt war (vgl. aber BGH NStZ 1983, 210 [Pf/M; für ein Verfahren, in dem zum dritten Mal vor dem Schwurgericht verhandelt wurde]). Eine "qualifizierte Belehrung" des Angeklagten über die prozessualen Folgen der Zustimmung zu einer Verteidigererklärung, die der Verteidiger mit einer Einlassung zur Sache verliest und von der der Angeklagte auf Befragen des Gerichts ausdrücklich bestätigt, dass es sich bei der verlesenen Erklärung um seine eigene Einlassung zur Sache handele, ist nicht erforderlich (BVerfG StRR 2009, 122 [Ls.]; zum Inhalt der Belehrung in der Berufungsinstanz, wenn der Einspruch des Angeklagten gem. §§ 412, 329 verworfen worden ist, OLG Hamm, Beschl. v. 16.2.2021 – 4 RVs 118/20).

 

☆ Bei der richterlichen Belehrung über das Recht zur Äußerung oder zum Schweigen muss der Verteidiger darauf achten, ob der Angeklagte den Hinweis verstanden hat. Es empfiehlt sich, dem Mandanten den Hinweis bereits bei der →  Vorbereitung der Hauptverhandlung , Teil V Rdn  3944 , zu erläutern . Will der Mandant nicht zur Sache aussagen, muss der Verteidiger darauf achten, dass der Angeklagte durch Hinweise des Gerichts über Nachteile oder Unzweckmäßigkeit des Schweigens nicht verwirrt wird. Solchen Hinweisen muss er entgegentreten, da es allein die Entscheidung des Angeklagten ist, ob er sich zur Sache einlässt oder nicht.Hinweis verstanden hat. Es empfiehlt sich, dem Mandanten den Hinweis bereits bei der → Vorbereitung der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3944, zu erläutern. Will der Mandant nicht zur Sache aussagen, muss der Verteidiger darauf achten, dass der Angeklagte durch Hinweise des Gerichts über Nachteile oder Unzweckmäßigkeit des Schweigens nicht verwirrt wird. Solchen Hinweisen muss er entgegentreten, da es allein die Entscheidung des Angeklagten ist, ob er sich zur Sache einlässt oder nicht.

 

Rdn 638

Häufig wird vom Vorsitzenden in die Belehrung des Angeklagten mit aufgenommen, dass das Schweigen des Angeklagten nicht zu seinem Nachteil verwertet werden dürfe (vgl. z.B. BGHSt 34, 324; → Vorbereitung der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3944; Burhoff, EV, Rn 2017 ff.). M.E. sollte, wenn der Angeklagte schon über die Belehrungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 hinaus belehrt wird, er dann aber auch darüber belehrt werden, dass aus (nur) teilweisem Schweigen nachteilige Schlüsse gezogen werden können (dazu BGHSt 20, 298; 32, 140, 145 m.w.N.; BGH NStZ 2011, 357; Gillmeister StraFo 1997, 11). Unterlässt der Vorsitzende das, sollte der Verteidiger seinen Mandanten darauf (nochmals) hinweisen.

 

☆ Wurde der Hinweis/die Belehrung des Angeklagten in der HV (zunächst) vergessen, kann er/sie nachgeholt werden. Allerdings wird dann eine qualifizierte Belehrung dahin erforderlich sein, dass bislang gemachte Angaben des Angeklagten nicht verwertet werden dürfen, wenn er nunmehr schweigt (s. BGHSt 53, 112 [für Übergang von der Zeugen – zur Beschuldigtenvernehmung]; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 283; schon Geppert , S. 93, 103; →  Widerspruchslösung , Teil W Rdn  4012 ).nachgeholt werden. Allerdings wird dann eine qualifizierte Belehrung dahin erforderlich sein, dass bislang gemachte Angaben des Angeklagten nicht verwertet werden dürfen, wenn er nunmehr schweigt (s. BGHSt 53, 112 [für Übergang von der Zeugen – zur Beschuldigtenvernehmung]; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 283; schon Geppert, S. 93, 103; → Widerspruchslösung, Teil W Rdn 4012).

 

Rdn 639

2. Für die Revision gilt: Bei der Pflicht zur Belehrung handelt es sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift, sodass auf das Unterlassen des Hinweises die Revision gestützt werden kann (zur Lehre von den erfolglos verletzbaren Ordnungsvorschriften und der daran geübten Kritik s. Meyer-Goßner/Schmitt, § 337 Rn 4 m.w.N. und § 243 Rn 39). Das Urteil beruht aber nicht auf dem Verstoß, wenn der Angeklagten sein Schweigerecht gekannt hat (BGH NStZ-RR 2000, 290 [K]; i.E. ebenso BGHSt 25, 325, 331; zum erforderlichen Umfang der Darlegungen in der Revision Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. m.w.N.; → Revision, Begründung, Verfahrensrüge, Teil R Rdn 2753).

Siehe auch: → Vernehmung des Angeklagten zur Sache, Teil V Rdn 3650.

[Autor] Burhoff

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge