aa) Begriffsbestimmung

Sowohl § 13 Abs. 2 RVG als auch Anm. Abs. 2 zu Nr. 2300 VV setzen ferner voraus, dass die Geschäftsgebühr durch eine außergerichtliche Inkassodienstleistung ausgelöst wird. Das RVG enthält keine Definition des Begriffs der Inkassodienstleistung. Deshalb wird die Legaldefinition in § 2 Abs. 2 S. 1 RDG heranzuziehen sein. Danach ist die Inkassodienstleistung eine Rechtsdienstleistung, wenn sie auf die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen gerichtet ist und diese Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Der Begriff der Inkassodienstleistung beschränkt sich dabei nicht auf die Einziehung unbestrittener Forderungen im Sinne einer kaufmännischen Hilfstätigkeit.[23] Ist die Forderung unbestritten, wirkt sich das lediglich auf die Höhe der Geschäftsgebühr aus, § 13 Abs. 2 RVG und Anm. Abs. 2 zu Nr. 2300 VV.

Erfasst vom Begriff der Inkassodienstleistung ist zunächst der Forderungseinzug im herkömmlichen, stark von Mahn- und Beitreibungsmaßnahmen geprägten Sinne.[24] Allerdings hat der BGH bspw. auch dann eine Inkassodienstleitung bejaht, wenn der Inkassodienstleister auf seiner Internetseite einen "Mietpreisrechner" zur – zunächst unentgeltlichen – Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete zur Verfügung stellt und im Anschluss hieran dem Mieter die Möglichkeit gibt, ihn durch Anklicken eines Buttons mit der außergerichtlichen Durchsetzung von – näher bezeichneten – Forderungen und etwaigen Feststellungsbegehren gegen den Vermieter im Zusammenhang mit der "Mietpreisbremse" zu beauftragen.[25] Der Begriff der Rechtsdienstleistung in Gestalt der Inkassodienstleistung nach § 2 Abs. 2 RDG ist nach der st. Rspr. des BGH nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen, sondern es ist eine eher großzügige Betrachtung geboten.[26] Es sind auch solche Tätigkeiten erfasst, die auf eine umfangreiche außergerichtliche Rechtsbesorgung und -beratung gerichtet sind und letztlich auf einen unter Beteiligung eines Rechtsanwalts zu führenden Rechtsstreits hinauslaufen. Es muss nicht die "eigentliche" Einziehungstätigkeit im Vordergrund stehen bzw. den Kern der Dienstleistung bilden; vielmehr sind die umfassende und vollwertige außergerichtliche Rechtsberatung und -besorgung in den Begriff der "Forderungseinziehung" einbezogen.[27] Deshalb kann insbesondere aus dem in der Vorschrift des § 2 Abs. 2 S. 1 RDG enthaltenen Begriff der Forderungseinziehung nicht grds. geschlossen werden, dass ein Inkasso nur das Beitreiben von Geldforderungen, nicht hingegen die Geltendmachung sonstiger Ansprüche zum Gegenstand haben kann. Vielmehr kann auch die Geltendmachung eines Hilfsanspruchs, der zur Verwirklichung der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche zwingend vorgeschaltet ist, eine Inkassodienstleistung darstellen, wenn dieser Hilfsanspruch der Vorbereitung des Zahlungsanspruchs dient. Der Begriff der Inkassodienstleistung ist damit nicht auf die reine Einziehung von Forderungen begrenzt, sondern umfasst auch Hilfsmaßnahmen, die der Forderungseinziehung dienen.[28]

Rechtsanwälte dürfen Inkassodienstleitungen erbringen, weil § 3 Abs. 1 BRAO eine umfassende Erlaubnis für Rechtsanwälte zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen enthält (Rechtsberatungsmonopol).[29]

bb) Beispielsfälle

 

Beispiel 1: Unfallschadenregulierung

Der Rechtsanwalt wird beauftragt, eine Forderung i.H.v. 5.000,00 EUR aus einem Verkehrsunfall gegen die gegnerische Versicherung geltend zu machen. Diese erstattet ohne Bestreiten den verlangten Betrag auf die erste Zahlungsaufforderung.

Wird davon ausgegangen, dass Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleitung ist, die eine unbestrittene Forderung betrifft, ist für die Bemessung der Geschäftsgebühr die neue Schwellengebühr in Anm. Abs. 2 zu Nr. 2300 VV zu beachten. Dadurch gilt anstelle einer Schwellengebühr i.H.v. 1,3 nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 2300 VV[30] die verminderte 0,9-Schwellengebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 2300 VV und wird die frühere 1,3-Schwellengebühr zur Höchstgebühr. Weil die Versicherung auf die erste Zahlungsaufforderung hin zahlt, dürfte sogar lediglich ein einfacher Fall vorliegen und nur eine 0,5-Gebühr verlangt werden können.

Werden im Anforderungsschreiben an die gegnerische Versicherung auch die hierdurch anfallenden Anwaltskosten geltend gemacht, wird häufig noch unklar sein, ob die Forderung bestritten wird. Die Versicherung wird daher im Rahmen der Schadensregulierung auch die aus dem Erledigungswert berechnete Geschäftsgebühr zahlen, die von der Versicherung bei einer unbestrittenen Forderung aus einer Inkassodienstleistung nach Anm. 2 zu Nr. 2300 VV bemessen wird (0,5 bis 1,3 Gebühr). Der Rechtsanwalt muss dann bei der Abrechnung im Innenverhältnis zum Mandanten bzw. zu dessen Rechtsschutzversicherung ggfs. die berechnete "normale" Geschäftsgebühr berichtigen, wenn es sich um eine unbestrittene Forderung aus einer Inkassodienstleistung handelt.

 

Beispiel 2: Unternehmer

Der Rechtsanwalt wird beauftragt, eine unbest...

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