Legal Tech: BGH baut liberale Legal-Tech-Rechtsprechung aus

In einem weiteren Urteil hat der BGH seine Legal-Tech-freundliche Rechtsprechung fortgeführt und das Feld für die rechtlich zulässigen Dienstleistungen der Inkassoplattform „Wenigermiete.de“ großzügig bemessen.

Mit einem erst jetzt veröffentlichten Urteil von Ende März 2022 hat der BGH erneut ein Machtwort in der seit längerem schwelenden Auseinandersetzung mit der grundsätzlich anderen Rechtsauslegung des RDG durch das LG Berlin gesprochen. Die Legal-Tech-Branche dürfte das Urteil im Gegensatz zu Teilen der Anwaltschaft freuen.

„Conny“ bietet Hilfe bei diversen Rechtsproblemen

Gegenstand des Rechtsstreits war die Internetplattform „wenigermiete.de“, ein Angebot des Berliner Unternehmens „Lexfox“, das inzwischen unter dem Dach „Conny“ mit weiteren Onlineangeboten zusammengefasst ist. „Conny“ wirbt im Netz mit der Übernahme von Streitigkeiten über Kontogebühren, bei arbeitsrechtlichen Kündigungen und bei Streitigkeiten über die Höhe von Mieten.

„wenigermiete.de“ verspricht Mietern Hilfe gegen überhöhte Mietforderungen

Unter der Onlineadresse „wenigermiete.de“ kalkuliert die Plattform mithilfe von Algorithmen sowie einem Mietpreisrechner die Chancen bei der Durchsetzung von (Rück-) Zahlungsansprüchen im Rahmen von Mietverhältnissen und

  • fordert Mietrückzahlungen nach einer durch einfachen Mausklick vorzunehmenden Abtretung durch die Kunden beim Vermieter ein.
  • Das Unternehmen bemüht sich auch um eine einvernehmliche Streitbeilegung mit dem Vermieter und
  • erhebt bei deren Scheitern im eigenen Namen gerichtliche Klage.
  • Klickt der Kunde den Button „Mietsenkung beauftragen“, macht die Plattform den Anspruch des Mieters auf Vereinbarung der rechtlich zulässigen Miethöhe für die Zukunft gegenüber dem Vermieter geltend.

Vergütung nur teilweise als Erfolgsprovision

Kosten entstehen dem Kunden zunächst nicht. Das Unternehmen behält lediglich im Erfolgsfall eine Provision, berechnet nach der Höhe der Rückforderung, ein. Daneben erhebt das Unternehmen für den Fall der Beauftragung zur Geltendmachung einer Mietsenkung aber auch Kosten, die sich an der Höhe der für die Bearbeitung eines solchen Falls entstehenden Rechtsanwaltsgebühren orientieren.

LG beanstandete Tätigkeit zur Mietsenkung als nicht von der Inkassoerlaubnis gedeckt

An der Möglichkeit der Beauftragung der Plattform zur Geltendmachung einer Mietsenkung hatte sich das LG Berlin gestoßen. Diese Tätigkeit sei von der Inkassolizenz des Legal-Tech-Anbieters nicht gedeckt. Inhaltlich gehe es bei der Geltendmachung einer Mietsenkung nicht um die Einziehung einer rechtlich bereits entstandenen Forderung (Inkasso), vielmehr solle diese Tätigkeit verhindern, dass Forderungen in nicht gerechtfertigter Höhe in Zukunft entstehen. Da dies über eine vom Inkassobegriff gedeckte Dienstleistung hinausgehe, liegt nach Auffassung des LG hierin ein Verstoß gegen das RDG.

LG hält erfolgsunabhängige Vergütung für Umgehung des anwaltlichen Gebührenrechts

Eine ähnliche Bewertung gilt nach Auffassung der Kammer auch für die Berechnung einer erfolgsunabhängigen Vergütung für den Fall der Beauftragung zur Geltendmachung einer Mietsenkung. In einer solchen Vergütungsvereinbarung liege eine unzulässige Umgehung des anwaltlichen Berufs- und Gebührenrechts. Wegen Verstoßes gegen ein rechtliches Verbot sei der darauf fußende Dienstleistungsvertrag gemäß § 134 BGB nichtig.

„Conny“ erbringt ordnungsgemäße Inkassodienstleistungen

In der Revision kam der BGH zu einem ganz anderen Ergebnis. Der Senat stellte zunächst fest, dass der Inkassodienstleister „Conny“ gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG ordnungsgemäß registriert ist. Gemäß § 3 RDG sei die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen in dem Umfang zulässig, in dem sie ausdrücklich durch das RDG oder andere rechtliche Vorschriften erlaubt ist. Die im konkreten Fall ihrem Kunden erbrachte Dienstleistung stellt sich nach der Bewertung des Senats als ordnungsgemäße Inkassodienstleistung im Rahmen des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG dar.

RDG bezweckt Liberalisierung der Rechtsdienstleistungen

Die Vorinstanz habe die Rechtslage hier völlig verkannt. Der Gesetzgeber habe mit dem im Jahr 2008 in Kraft getretenen RDG eine Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen im Sinne einer Deregulierung und Liberalisierung verfolgt. Hierbei habe der Gesetzgeber sich an der Rechtsprechung des BVerfG orientiert, das bereits im Hinblick auf das Rechtsberatungsgesetz Inkassounternehmen grundsätzlich die umfassende und vollwertige substantielle Beratung des Rechtssuchenden innerhalb der dem Rechtsdienstleister erteilten Inkassoerlaubnis zugestanden hatte (BVerfG, Beschluss v. 20.2.2002, 1 BvR 423/99; 821/00; 1412/01).

Inkassobegriff ist weit auszulegen

Eine Gefahr für die Rechtssuchenden und den Rechtsverkehr tritt nach Auffassung des BVerfG hierdurch nicht ein, da von Inkassounternehmen grundsätzlich eine profunde Sachkunde bei der Einziehung fremder Forderungen gefordert und diese Sachkenntnis auch behördlich überprüft werde. Der BGH hat mit der gleichen Argumentation bereits mehrfach klargestellt, dass der Begriff der Inkassodienstleistungen zugunsten eines freien Dienstleistungsmarktes großzügig und weit ausgelegt werden müsse. Unter Inkasso sei nicht stur nur die Einziehung bereits entstandener Forderungen zu verstehen. Der Inkassodienstleister dürfe vielmehr auch unmittelbar mit der Forderungseinziehung verbundene weitere Ansprüche und Rechte für den Vertragspartner geltend machen.

Senat wirft der Vorinstanz bewusste Renitenz gegen BGH-Rechtsprechung vor

Die Inkassoerlaubnis umfasst nach der Bewertung des BGH im Fall von „wenigermiete.de“ auch grundsätzlich die Geltendmachung eines Anspruchs des Mieters auf Senkung der Miete auf das gesetzlich zulässige Maß für die Zukunft. Der BGH warf der Vorinstanz in seiner Entscheidung vor, sich bewusst unter Missachtung der höchstrichterlichen BGH-Rechtsprechung immer wieder der zwingenden Schlussfolgerung entziehen zu wollen, dass die für den Mieter von der Klägerin erbrachte Tätigkeit als erlaubte Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG anzusehen ist.

Der Online-Miethöhen-Rechner ist „noch“ zulässig

Diese Schlussfolgerung gilt nach Auffassung des BGH auch unter Berücksichtigung des Online-Mietpreisrechners, der den ordnungsgemäßen Mietpreis nach individueller Eingabe verschiedener Faktoren durch den Kunden errechnet. Die Errechnung des Mietpreises aufgrund individueller Eingaben bewertete der BGH nicht als eine über die Inkassotätigkeit hinausgehende unerlaubte individuelle Rechtsberatungstätigkeit. Die Berechnung der zulässigen Miethöhe hänge nämlich mit der eigentlichen Inkassotätigkeit eng zusammen und sei deshalb insgesamt (noch!) als zulässige Inkassodienstleistung zu bewerten (BGH, Urteile v. 27.11.0019, VIII ZR 28518 und v. 27.5.2020, VIII ZR 130/19).

Inkassotätigkeit und Anwaltstätigkeit sind keine vergleichbaren Größen

Der BGH sah auch keinen Wertungswiderspruch zwischen den in vergleichbaren Konstellationen für Rechtsanwälte geltenden strengeren berufsrechtlichen Vorschriften und den großzügigeren Vorgaben für eine Inkassotätigkeit. Zwar hätte ein Rechtsanwalt im vorliegenden Fall mit seinem Mandanten im Falle einer Beauftragung kein Erfolgshonorar vereinbaren dürfen, jedoch sei ein Inkassounternehmen eben auch kein Organ der Rechtspflege. Auch übe der Inkassodienstleister keine rechtsanwaltsähnliche Rechtsdienstleistung unterhalb der Rechtsanwaltschaft aus, so dass im Ergebnis ein direkter Vergleich zwischen Inkassodienstleister und Rechtsanwalt auch im Vergütungsbereich grundsätzlich nicht sachgerecht sei. (BGH, Urteil v. 8.4.2020, VIII ZR 130/19).

BGH beanstandet fehlenden Hinweis auf Kostenpflichtigkeit

In einem Punkt hat der BGH dem LG allerdings - zumindest teilweise - recht gegeben: Da das Anklicken des Buttons „Mietsenkung beauftragen“ unmittelbar Kosten auslösen könne, da diese Tätigkeit nicht rein erfolgsabhängig honoriert wird, müsse dieser Button gemäß § 312j BGB deutlich hervorgehoben mit einem Zusatz versehen sein, der dem User das Auslösen einer Zahlungspflicht deutlich macht. Ohne diesen Zusatz komme eine rechtswirksame Beauftragung auf elektronischem Wege nicht zu Stande. Dieser Mangel habe gemäß § 139 BGB auch die Unwirksamkeit der Forderungsabtretung zufolge. Für den konkreten Fall hatte dies allerdings keine Bedeutung, da der User seine Rechte später nochmals in Kenntnis der Kostenpflicht rechtswirksam abgetreten hatte.

Vorinstanz muss erneut entscheiden

Mangels eines Verstoßes gegen das RDG bewertete der BGH die zwischen dem Mieter und der Klägerin vereinbarte Forderungsabtretung ebenso wie den Inkassovertrag im Gegensatz zur Vorinstanz nicht gemäß § 134 BGB als nichtig, sondern als wirksam. Demgemäß hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück. Das LG muss noch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und die daraus zu ziehenden rechtlichen Schlussfolgerungen zum Bestehen der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche treffen.

BGH erteilt LG Berlin ausdrückliche Entscheidungshilfe

Um eine BGH-gemäße Anwendung des Rechts zu gewährleisten, hat der Senat es für nötig gehalten, das Berufungsgericht ausdrücklich auf die Vorschrift des § 563 Abs. 2 ZPO hinzuweisen, wonach das Berufungsgericht seiner weiteren Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Senats zur Rechtswirksamkeit der Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche durch den Mieter an die Klägerin zu Grunde zu legen hat.

(BGH, Urteil v. 30.3.2022, VIII ZR 256/21)

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