Rz. 79

Beim Zustandekommen eines Interessenausgleiches mit Namensliste kann die getroffene Sozialauswahl von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO). Die Beschränkung des Prüfungsmaßstabes auf grobe Fehlerhaftigkeit tritt nur ein, wenn der Interessenausgleich wirksam zustande gekommen ist. Für Inhalt und Zustandekommen des Interessenausgleiches, das Vorliegen einer Betriebsänderung sowie die eindeutige Benennung der betroffenen Arbeitnehmer in der Namensliste ist der (vorläufige/endgültige) Insolvenzverwalter darlegungs- und beweispflichtig (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559; Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Grunsky/Moll, Rn 281). Die Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt dagegen auch bei Massenentlassungen gem. § 1 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 KSchG beim Arbeitnehmer, und zwar selbst dann, wenn diese die Folge einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112a BetrVG sind (Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Berscheid, S. 213 Rn 630; Giesen, ZfA 1997, 145, 175; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 56).

 

Rz. 80

Generell erfolgt die Sozialauswahl in folgenden Schritten: Zuerst (i) ist der Kreis der vergleichbaren, austauschbaren Arbeitnehmer zu bestimmen. Ggf. sind des Weiteren Altersgruppen zu bilden, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt wird. Danach (ii) ist die soziale Auswahl (im engeren Sinne) nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG durchzuführen. Sodann (iii) können nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG weiterzubeschäftigende Arbeitnehmer von der Sozialauswahl nachträglich ausgenommen werden.

 

Rz. 81

Die Beschränkung der Überprüfung der getroffenen Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht allein auf die Sozialindikatoren, also die sog. sozialen "Grund- oder Kerndaten" wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung, sondern auf sämtliche Bestandteile der Sozialauswahl (ausführlich dazu siehe § 30 Rdn 689 ff.), nämlich auf den auswahlrelevanten Personenkreis, die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern, die Bildung von Altersgruppen und die Gewichtung der sozialen Grund- oder Kerndaten (LAG Hamm v. 2.9.1999, ZInsO 2000, 352). Die Betriebspartner können daher in der Insolvenz in einem Interessenausgleich mit Namensliste

den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer näher bestimmen (Auswahlgruppen, BAG v. 7.5.1998, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 28.8.2003, ZIP 2004, 1271 = NZA 2004, 432; BAG v. 21.2.2002, NZA 2002, 1360 = ZInsO 2002, 1103; LAG Hamm v. 12.11.2003, ZInsO 2004, 1097),
die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, konkretisieren (Leistungsträgerregelung, so bereits LAG Hamm v. 2.9.1999, ZInsO 2000, 352; LAG Hamm v. 5.6.2003, DZWIR 2004, 153 m. Anm. Weisemann; BAG v. 17.11.2005, NZA 2006, 661 = ZInsO 2006, 724 = ZIP 2006, 774),
verbindlich Altersgruppen bilden, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt wird (Altersgruppenbildung, BAG v. 23.11.2000, AP Nr. 114 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; LAG Hamm v. 5.6.2003, DZWIR 2004, 153 m. Anm. Weisemann = ZInsO 2003, 1060; BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, ZIP 2004, 1271 = NZA 2004, 432) und
die vier sozialen "Grund- oder Kerndaten" ggf. mit einem Punkteschema gewichten (Punktetabelle, LAG Hamm v. 21.8.1997, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 62; LAG Düsseldorf v. 17.3.2000, ZInsO 2001, 92; BAG v. 5.12.2002, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl).
 

Rz. 82

Was nicht Bestandteil des Interessenausgleiches ist, unterliegt dem allgemeinen Prüfungsmaßstab (Berscheid, BuW 1999, 75, 77; HWF, Kap. 5 Rn 277). Die Beschränkung des Prüfungsmaßstabes bei der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit erfasst nur den Inhalt des Interessenausgleiches, denn ohne entsprechende Angaben ist eine Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit nicht möglich (Berscheid, MDR 1998, 942, 946; ders., ZInsO 1999, 511, 512; HWF, Kap. 5 Rn 277). Ist in einem Interessenausgleich mit Namensliste z.B. der auswahlrelevante Personenkreis nicht definiert, dann findet eine Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes auf grobe Fehlerhaftigkeit nicht statt (Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 59). Berücksichtigen die Betriebspartner eines der vier Kernkriterien bei der Festlegung der Namensliste überhaupt nicht, liegt eine grob fehlerhafte Sozialauswahl vor (FK/Eisenbeis, § 125 InsO Rn 20). Bei wesentlicher Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleiches finden die Lockerungen des Kündigungsschutzes nach § 125 Abs. 1 S. 1 InsO gem. § 125 Abs. 1 S. 2 InsO keine Anwendung.

a) Festlegung des auswahlrelevanten Personenkreises (Auswahlgruppen)

 

Rz. 83

Dringende betriebliche Erfordernisse bedingen die Kündigung einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmern, besagen aber noch nicht, welchen von mehreren in Betracht kommenden Arbeitne...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge