Entscheidungsstichwort (Thema)

Grobfehlerhafte Sozialauswahl bei Kündigung über einen Interessenausgleich mit Namensliste

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste ist die soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO grob fehlerhaft, wenn die Betriebsparteien

  • den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer willkürlich bestimmt oder nach unsachlichen Gesichtspunkten eingegrenzt haben,
  • unsystematische Altersgruppen mit wechselnden Zeitsprüngen (bspw. in 12er, 8er und 10er Jahresschritten) gebildet haben,
  • eines der drei sozialen Grundkriterien überhaupt nicht berücksichtigt oder zusätzlichen Auswahlkriterien eine überhöhte Bewertung beigemessen haben,
  • die der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehenden Gründen nicht nach sachlichen Gesichtspunkten konkretisiert haben.

2. Das Gesetz bestimmt für die soziale Auswahl in § 125 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO, daß es nicht als grob fehlerhaft anzusehen ist, wenn eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur „erhalten”, sondern auch wenn sie erst „geschaffen” wird. Dabei geht es nicht um den „Ausschluß” oder um die „Herausnahme” einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl, gemeint ist vielmehr, daß die soziale Auswahl von vornherein nur innerhalb von abstrakten Altersgruppen vorgenommen wird.

3. Bei der Bildung von Altersgruppen wird eine bestimmte Staffelung durch das Gesetz nicht vorgeschrieben. Die Betriebsparteien sind daher hinsichtlich der Anzahl der zu bildenden Altersgruppen frei (Dreier-, Vierer- oder Fünfereinteilung). Für die einzelnen auswahlrelevanten Personenkreise können unterschiedliche Gruppeneinteilungen vorgenommen werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BGB § 613a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamm (Urteil vom 07.11.2002; Aktenzeichen 4 Ca 1299/02)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 07.11.2002 – 4 Ca 1244/02 – teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, daß die Kündigung des Beklagten zu 1) vom 14.06.2002 unwirksam ist.

Die Klageerweiterung gegen die Beklagte zu 3) wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger zu 2/5 und der Beklagte zu 1) zu 3/5 zu tragen. Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden dem Kläger zu 4/7 und dem Beklagten zu 1) zu 3/7 auferlegt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die I. Instanz auf 14.500,00 EUR und für die II. Instanz auf 20.300,00 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien haben erstinstanzlich über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Beklagten zu 1) und über die Frage des Übergangs des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf die Beklagte zu 2) gestritten. Nach Rücknahme der Klage gegen die Beklagte zu 2) streiten die Parteien zweitinstanzlich (weiterhin) über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Beklagten zu 1) und des weiteren über die Frage des Übergangs des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf die Beklagte zu 3).

Der Beklagte zu 1) ist der durch Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 01.06.2002 (259 IN 57/02) über das Vermögen der beim Handelsregister des Amtsgerichts Hamm unter H10 62x eingetragenen G3xxx G12x (Insolvenzschuldnerin) bestellte Insolvenzverwalter.

Der am 01.02.14xx geborene, verheiratete Kläger, der zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, war bei der Insolvenzschuldnerin seit dem 22.08.1977 als Heizungsmonteur zu einem durchschnittlichen Monatslohn von zuletzt 2.900,00 EUR brutto beschäftigt.

Die Insolvenzschuldnerin befaßte sich mit der Planung und Ausführung von Heizungs-, Lüftungs- und Sanitäranlagen zu je mit der Durchführung von Reparaturen an solchen Anlagen. Sie hatte 12 Sanitärinstallateure, 12 Heizungsmonteure, 1 Lagerarbeiter, 1 Meister, 2 Techniker und 2 Sekretärinnen sowie 5 Auszubildende beschäftigt. Dem von der Belegschaft gewählten Betriebsrat gehörten die Mitarbeiter M6xxxxx, G13xxxxxx und K4xxxxxxxx an.

Am 13.06.2002 schlossen der Beklagte und der Betriebsrat nachfolgenden Interessenausgleich:

Präambel

Über das Vermögen der Firma G3xxx GmbH (Insolvenzschuldnerin) wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 01.06.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet. Herr Rechtsanwalt S3xxxxx H3xxxxxxxxxxxx wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Zur Vorbereitung des Personalabbaus und zur Sicherung der Unternehmensfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren und zur Vorbereitung einer übertragenen Sanierung wird der nachfolgende Interessenausgleich abgeschlossen.

§ 1 – Gegenstand

1. Der Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin konnte in den letzten 1 – 2 Jahren nicht erfolgreich geführt werden, weil einerseits am Markt keine ausreichenden Preise zu erzielen waren und weil andererseits durch die konkurrierenden Unternehmen im Tätigkeitsbereich der Insolvenzschuldnerin keine Vollauslastung des Geschäftsbetriebes der Insolvenzschuldnerin mehr zu erzielen war.

Ausgelöst durch diese Umstände ist es e...

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