Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialauswahl und Gruppenbildung zur Sicherung der Altersstruktur

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die durch das Gesetz zur Korrektur in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843) wiederhergestellte Fassung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG („sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse”) erlaubt die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur und damit die Bildung von Altersgruppen (2. Stufe der Sozialauswahl). Innerhalb dieser Gruppen ist die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG (3. Stufe der Sozialauswahl) vorzunehmen.

2. Das Korrekturgesetz vom 19.12.1998 hat die bisherige Fassung des § 1 Abs. 4 S. 1 KSchG erweitert: Die Betriebspartner dürfen danach in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG die sozialen Gesichtspunkte auf die Grundkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und gesetzliche Unterhaltspflichten beschränken und die Gewichtung dieser Kriterien zueinander festlegen. Eine Anlage zum Interessenausgleich, der selbst keine Betriebsvereinbarung darstellt, reicht hierfür allerdings nicht aus.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3-4; BetrVG § 95

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Urteil vom 24.11.1999; Aktenzeichen 5 Ca 3482/99)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 24.11.1999 – 5 Ca 3482/99 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine betriebsbedingte Kündigung.

Die am 08.08.1955 geborene und ledige Klägerin trat am 08.10.1993 als gewerbliche Arbeitnehmerin in die Dienste der Beklagten, die ein Unternehmen der Metallindustrie betreibt und bis zum 31.07.1999 1.811 Mitarbeiter beschäftigte. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft ausdrücklicher Vereinbarung die jeweils gültigen Tarifverträge für die Metallindustrie NRW Anwendung. Die Klägerin, die eine Tätigkeit als Elektromontiererin der Lohngruppe 2 des Lohnrahmenabkommens Metall NRW durchführte, verdiente im Durchschnitt der letzten sechs abgerechneten Monate 3.369,55 DM brutto monatlich.

Am 25.05.1999 kam es zwischen der Geschäftsführung der Beklagten und dem Betriebsrat des Standorts R. zum Abschluss eines Interessenausgleichs. Darin wurde vorgesehen, dass in der Geschäftseinheit Umlaufwasserheizer wegen des Rückgangs der Absatzmengen im Jahre 1999 und im Jahre 2000 eine Personalreduzierung in der Fertigung bis zu 90 Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen erforderlich sei und im Dienstleister Elektronik-Center 53 Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen weniger benötigt werden. In der Anlage 1 zum Interessenausgleich vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat für die gewerblichen Mitarbeiter der Fertigungsbereiche am Standort R. eine Aufteilung in Altersgruppen, die sich wie folgt gliederten: 18 bis 25 Jahre, 26 bis 30 Jahre, 31 bis 35 Jahre, 36 bis 40 Jahre, 41 bis 45 Jahre, 46 bis 50 Jahre, 51 bis 55 Jahre und älter als 55 Jahre. In einer weiteren Anlage (Anlage 2) legten die Betriebspartner die Sozialkriterien nebst einer Punktegewichtung fest, die für die Sozialauswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer maßgebend sein sollten.

Auf der Grundlage der Altersstrukturtabelle und der Vereinbarung über die Sozialauswahl baute die Beklagte 73 Arbeitsplätze ab. Davon war auch die Klägerin betroffen, deren Arbeitsplatz sich im Dienstleister Elektronik-Center befand.

Am 06.07.1999 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen an. Unter dem 08.07.1999 teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, gegen die beabsichtigte Kündigung der Klägerin keinen Widerspruch erheben zu wollen.

Mitschreiben vom 19.07.1999 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 30.09.1999 und teilte ihr zugleich mit, aus dem am 25.05.1999 abgeschlossenen Sozialplan eine Abfindung in Höhe von 19.100,– DM zu erhalten.

Mit einer bei dem Arbeitsgericht Wuppertal am 10.08.1999 anhängig gemachten Klage hat sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung gewandt und geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil die Beklagte eine fehlerhafte Sozialauswahl durchgeführt habe. Zunächst habe die Beklagte nicht sämtliche Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einbezogen, sondern die Sozialauswahl nur innerhalb des Betriebsteils, der vom Absatzrückgang betroffen sei, durchgeführt. Es werde auch bestritten, dass bei der Beklagten konkret ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis an der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur bestehe. Die Beklagte müsse näher darlegen, dass die Erhaltung der Altersstruktur zur Aufrecherhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs oder zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Betriebes notwendig sei. Im Übrigen ermächtige § 1 Abs. 1 S. 2 KSchG den Arbeitgeber auch bei Massenentlassungen lediglich, bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen, auf die er für den Betrieb nicht verzic...

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