Rz. 53

Bei Verbraucherverträgen sind gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei Beurteilung der "unangemessenen Benachteiligung" nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Abweichend von § 307 Abs. 1 und 2 BGB, wonach die "Unangemessenheit" im Rahmen der Inhaltskontrolle grundsätzlich nach einem abstrakt-generalisierenden Maßstab zu erfolgen hat, sind gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB (im Individualprozess)[153] bei Verbraucherverträgen zudem[154] (nicht stattdessen)[155] – d.h. ergänzend – die den "Vertragsschluss begleitenden Umstände" zu berücksichtigen (Berücksichtigung von Begleitumständen). Die Kontrolle erfolgt auch bei Verbraucherverträgen stets am Maßstab des § 307 BGB (und somit nicht an Art. 3 der Klausel-Richtlinie).[156]

 

Rz. 54

In Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 Klausel-Richtlinie sind gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei der Beurteilung der "unangemessenen Benachteiligung" (im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB) bei Verbraucherverträgen "auch" die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen – d.h. es ist nicht lediglich (wie bei § 307 BGB sonst üblich, siehe § 5 Rdn 453 ff.) eine generalisierend-überindividuelle Betrachtungsweise zugrunde zu legen,[157] sondern es sind ergänzend auch konkret-individuelle Umstände mit zu berücksichtigen (Kombinationslösung).[158]

 

Rz. 55

Diese Berücksichtigung von Begleitumständen bei der Beurteilung einer "unangemessenen Benachteiligung" verstößt nicht gegen EG-Recht.[159]

 

Beachte

Hingegen gilt im Hinblick auf eine Inhaltskontrolle von Einmalklauseln (siehe Rdn 36 ff.), deren Verwendung auf einen einzelnen Fall beschränkt ist, ein konkret-individueller Maßstab im Einzelfall.[160]

 

Rz. 56

Die "Angemessenheit" bzw. "Unangemessenheit" einer Vertragsklausel beurteilt sich danach, ob sich der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher entsprechend Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Erwägungsgrund Nr. 16 der Klausel-Richtlinie "billig und loyal" verhält. Aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m. dem zweiten Teil des Erwägungsgrundes Nr. 16 der Klausel-Richtlinie kann eine Prüfung der Begleitumstände sich in zwei Richtungen auswirken: Sie kann gegen eine Klausel bereits bestehende Bedenken verstärken mit der Folge, dass diese einer Inhaltskontrolle nicht (mehr) standhält.[161] Sie kann andererseits aber auch bestehende Bedenken so abschwächen, dass eine Anwendbarkeit von § 307 BGB entfällt.[162]

Im Zusammenhang mit der Prüfung der Umstände kann bspw. auch ein dem Verbraucher bei Vertragsschluss übergebenes Merkblatt Bedeutung erlangen.[163]

 

Rz. 57

 

Beachte

Hingegen findet eine entsprechende Berücksichtigung der "Umstände des Einzelfalles" (die sich für und gegen den Verbraucher auswirken kann) nach § 305 lit. c Abs. 1 BGB (siehe hierzu § 4 Rdn 135 ff.) statt.[164]

 

Rz. 58

Die Kombinationslösung (siehe Rdn 54) findet im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB und auch bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gemäß § 308 BGB Anwendung – nicht jedoch im Zusammenhang mit § 309 BGB.[165]

[153] Wohingegen es im Verbandsprozess (der Natur der Sache entsprechend) bei einem abstrakt-überindividuellen Kontrollmaßstab bleibt: Heinrichs, NJW 1996, 2194.
[154] D.h. unter grundsätzlichem Festhalten an einer generell-überindividuellen Betrachtung, mithin einer Abwägung des Unternehmerinteresses mit jenen der typischerweise beteiligten Verbraucher: BT-Drucks 13/2713, S. 7 f. Zu § 24 lit. a AGBG.
[155] Jauernig/Stadler, § 310 BGB Rn 9.
[156] Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 22: Wobei allerdings eine Klausel, die gegen Art. 3 Klausel-Richtlinie verstößt, zwingend gleichermaßen § 307 BGB ("außerdem") verletzt.
[157] AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 310 BGB Rn 14.
[158] AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 310 BGB Rn 14: Die der Klausel-Richtlinie entspricht, "wie deren Art. 7 Abs. 2 und ihr Anhang zeigen".
[159] Erman/Roloff, § 310 BGB Rn 24; Heinrichs, NJW 1996, 2193; Staudinger/Schlosser, § 310 BGB Rn 70; a.A. hingegen MüKo/Basedow, § 305 BGB Rn 74. Grüneberg (Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 19) weist darauf hin, dass die Klausel-Richtlinie in ihrem Anhang einen Katalog von Klauseln enthält, die – unabhängig vom sonstigen Vertragsinhalt und den den Vertragsschluss begleitenden Umständen – für unwirksam erklärt werden können, und dass Art. 7 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie ein Verfahren der Inhaltskontrolle der Klauseln ohne Bezug zu einem bestimmten Vertrag normiert. Damit berücksichtige die Richtlinie beide Kontrollansätze und überlasse den Mitgliedstaaten nach Art. 249 Abs. 3 EGV die Feinabstimmung.
[160] Michalski, DB 1999, 677; Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 19.
[161] Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 21.
[162] OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2001, 780; AnwK-BGB/Kollmann, § 310 BGB Rn 34; Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 21: Die Ausnutzung von geschäftlicher Unerfahrenheit bzw. einer Überrumpelungssituation könne somit für eine Unwirksamkeit sprechen, das Fehlen einer "rollenspezifischen Unterlegenheit" dagegen; a.A. hingegen Michalski, DB 1999, 677.

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