Rz. 29

In Versorgungsausgleichssachen gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG), weil es sich insoweit nicht um ein Familienstreitverfahren oder eine Ehesache handelt. Für Erstere gilt der erste Teil des FamFG, also auch der Amtsermittlungsgrundsatz nicht (§ 114 FamFG), für Letztere gilt eine eingeschränkte Amtsermittlungspflicht (§ 127 FamFG).

 

Rz. 30

Amtsermittlung bedeutet, dass das Gericht sich nicht darauf beschränken darf, den ihm von den Beteiligten unterbreiteten Entscheidungsstoff zu behandeln, sondern dass es aktiv von sich aus die in den Ausgleich einzubeziehenden Anrechte ermittelt, feststellt, wie hoch Ehezeitanteil sowie Ausgleichswert und korrespondierender Kapitalwert sind (in Bezug auf Ersteren muss es die Angaben der Versorgungsträger überprüfen, in Bezug auf Letztere unterbreiten die Versorgungsträger ohnehin nur einen Vorschlag, sodass das Gericht die Feststellungen von sich aus nachrechnen und festsetzen muss) und ob die Anrechte ausgleichsreif sind oder nicht (vgl. § 19 VersAusglG). Als Instrument steht dem Gericht dafür der verfahrensrechtliche Auskunftsanspruch nach § 220 FamFG zur Verfügung.

 

Rz. 31

Reduziert ist die Amtsermittlungspflicht nur, soweit das gesetzlich bestimmt ist (Hauptfall: zwingender Ausgleich über die gesetzliche Rentenversicherung bzw. die Versorgungsausgleichskasse bei nicht fristgerechter Ausübung des Wahlrechts in Bezug auf den Träger der Zielversorgung beim externen Ausgleich, vgl. § 15 Abs. 5 VersAusglG, siehe dazu im Einzelnen § 8 Rdn 412 ff.) oder soweit Härtegründe (§ 27 VersAusglG, siehe dazu im Einzelnen § 8 Rdn 151 ff.) betroffen sind. Insoweit darf das Gericht davon ausgehen, dass keine Härtegründe vorliegen, wenn keiner der Ehegatten dazu etwas vorträgt.[13] Drängen sich dagegen derartige Gründe gewissermaßen auf, muss das Gericht von sich aus weitere Ermittlungen vornehmen, um zu überprüfen, ob die Härtegründe wirklich vorliegen. Im Fall der kurzen Ehedauer (siehe oben § 4 Rdn 81 ff.) braucht das Gericht nur aufzuklären, wie lang die Ehedauer war, ob also zweifelsfrei ein Fall des § 3 Abs. 3 VersAusglG vorliegt und ob einer der Ehegatten einen Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs gestellt hat. Ist das nicht der Fall, brauchen weitere Ermittlungen nicht mehr durchgeführt zu werden.[14]

 

Rz. 32

Trotz Amtsermittlungsgrundsatz müssen (und dürfen) die Ermittlungen nur soweit gehen, wie das für das konkrete Verfahren erforderlich ist. Beim Ausgleich bei der Scheidung müssen deswegen die nach § 19 VersAusglG (siehe dazu im Einzelnen § 8 Rdn 87 ff.) nicht ausgleichsreifen Anrechte nicht im Detail ermittelt werden. Insofern ist nur von Bedeutung, festzustellen, dass es derartige Anrechte gibt, damit sie in der Entscheidung genannt werden können, um es dem Ausgleichspflichtigen zu erleichtern, später den Ausgleich nach der Scheidung zu realisieren und um die Kostenentscheidung richtig vornehmen zu können. Ermittlungen zur Höhe des Anrechts können deswegen in diesem Verfahren noch unterbleiben. Etwas Anderes gilt nur im Fall des § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG (ausländische Anrechte). Diese müssen wenigstens überschlägig ermittelt und bewertet werden, damit für die Frage, ob und in welchem Umfang § 19 Abs. 3 VersAusglG anzuwenden ist, genügend Tatsachenmaterial vorliegt.

 

Rz. 33

Auch wenn die Ehegatten eine Vereinbarung schließen oder geschlossen haben, in der auch diese Anrechte erfasst werden (v.a., indem ein Versorgungsausgleich in Bezug auf sie komplett ausgeschlossen wird). Um der Pflicht zur Überprüfung der Vereinbarung nach § 8 VersAusglG (siehe dazu im Einzelnen § 7 Rdn 115 ff.) nachkommen zu können, muss das Gericht wissen, welchen Wert die Anrechte haben.[15]

 

Rz. 34

Die volle Amtsermittlung der Anrechte muss auch erfolgen, wenn der Ausschluss einzelner oder mehrerer Anrechte wegen Geringfügigkeit (§ 18 VersAusglG) zur Diskussion steht (siehe dazu im Einzelnen § 8 Rdn 37 ff.). Insoweit muss das Gericht eine Ermessensentscheidung treffen, die nicht allein auf dem korrespondieren Kapitalwert des Anrechts bzw. der Anrechte beruht, sondern auch auf vielen anderen Faktoren. Dazu ist die Kenntnis aller Einzelheiten in Bezug auf das Anrecht erforderlich.

 

Rz. 35

Der Amtsermittlungsgrundsatz ändert an der Beweislast nichts. Belastet ist insoweit der Ausgleichsberechtigte, als er das Risiko trägt, dass nicht geklärt werden kann, ob ein Anrecht des Ausgleichspflichtigen tatsächlich besteht, was es wert ist und ob es ausgleichsreif ist. Die Beweislast für die Geringfügigkeit eines Anrechts oder einer Gruppe von gleichartigen Anrechten oder das Vorliegen von Härtegründen trägt dagegen der Ausgleichspflichtige, sodass Zweifel insoweit zu seinen Lasten gehen.

[13] BGH FamRZ 1994, 234, 236; BGH FamRZ 1988, 709, 710; OLG Bamberg FamRZ 2001, 1222, 1223.
[14] Ruland, Rn 436.
[15] BT-Drucks 16/10144, S. 50.

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