Rz. 74

Die §§ 475b und c BGB normieren Sonderbestimmungen für den Erwerb von Waren mit digitalen Elementen, zu deren Bereitstellung (selbst oder durch einen Dritten) der Unternehmer sich beim Verbrauchsgüterkauf verpflichtet hat, in Ergänzung von § 434 BGB im Hinblick auf einen Sachmangel.

 

Beachte

§ 475b BGB ergänzt § 434 BGB wie folgt:[206]

§ 434 BGB bleibt anwendbar, wenn es um die Frage geht, ob eine Sache – unabhängig vom Zusammenwirken mit den digitalen Elementen – mangelhaft ist.[207]

In Bezug auf die Frage, ob bereits bei Gefahrübergang ein Mangel im Hinblick auf die digitalen Elemente selbst vorliegt, verweisen

§ 475b Abs. 3 Nr. 1 BGB wegen der subjektiven Anforderungen auf § 434 Abs. 2 BGB und
§ 475b Abs. 4 Nr. 1 BGB wegen der objektiven Anforderungen auf § 434 Abs. 3 BGB.
§ 475b Abs. 6 Nr. 1 BGB verweist in Bezug auf eine ggf. notwendige Montage auf § 434 Abs. 4 BGB.[208]
 

Beachte zudem:

Die Sonderregelungen der §§ 475b ff. BGB gelangen nur zur Anwendung bei einer Verpflichtung des Unternehmers zur Bereitstellung digitaler Produkte beim Kauf einer Ware mit digitalen Elementen (vgl. zur Vermutungsregelung des § 475b Abs. 1 Satz 3 BGB, nachstehende Rdn 82). Es ist somit vorab durch Auslegung zu ermitteln, ob ein Kaufvertrag über eine Sache mit digitalen Inhalten in Rede steht.[209] Ansonsten, d.h. ohne eine entsprechende Verpflichtung des Unternehmers, "gilt selbst beim Kauf einer Ware mit digitalen Elementen "normales" Verbrauchsgüterkaufrecht".[210]

 

Prüfungsfolge:[211]

Im Vertrag ist die Bereitstellung digitaler Elemente bereits ausdrücklich vorgesehen.

Wenn nicht: Notwendigkeit einer Bestimmung des Zwecks der Sache i.S.d. ihr zugedachten Funktion. Welche konkreten Funktionen haben die Parteien der Sache beigemessen?

Kann die konkrete Funktion der Sache nur mit Hilfe digitaler Produkte erreicht werden?
Gehören die digitalen Elemente zur Vertragsgemäßheit der Ware?
 

Rz. 75

Waren mit digitalen Elementen sind nach der Legaldefinition des § 327a Abs. 3 Satz 1 BGB neu[212] (vorstehend: § 3 Rdn 37 ff.) solche, die digitale Produkte dergestalt enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktion ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen können. Wilke[213] bringt den Begriff auf die Kurzform: "Waren, bei denen das Fehlen von digitalen Inhalten/Dienstleistungen dazu führt, dass die Waren ihre Funktion nicht erfüllen können". "Hier wird also ein Kausalverhältnis zwischen dem Zweck der Sache, der auch individualvertraglich vereinbart werden kann, und dem Mittel zur Erreichung dieses Zwecks, einem digitalen Element, etabliert".[214]

Darunter fallen insbesondere "smarte" Geräte,[215] "die ein Betriebssystem und Anwendungen (digitale Inhalte) benötigen, oder (…) Navigationssysteme, für die fortlaufend Verkehrsdaten bereitgestellt werden (digitale Dienstleistungen)“.[216]"

 

Rz. 76

Dabei erfasst § 475b BGB alle Sachen mit digitalen Elementen und § 475c BGB solche Sachen mit digitalen Elementen, wenn die digitalen Elemente nach der vertraglichen Vereinbarung nicht einmalig (bspw. mit der Lieferung der Sache), sondern dauerhaft über einen Zeitraum bereitgestellt werden.

 

Rz. 77

Insoweit sind auf einen Sachmangel bei Sachen mit digitalen Elementen, die dauerhaft über einen Zeitraum bereitgestellt werden, sowohl § 434 BGB als auch die §§ 475b und c BGB anwendbar.

[206] Dazu näher Brönneke/Föhlisch/Tonner/Brönneke/Schmidt/Willburger, Das neue Schuldrecht, § 4 Rn 49.
[207] Bspw. ist der Flachbildschirm oder der Lautsprecher eines Smartfernsehers "physisch defekt" (auch bei vorzeitigem Verschleiß): Brönneke/Föhlisch/Tonner/Brönneke/Schmidt/Willburger, Das neue Schuldrecht, § 4 Rn 49.
[208] Bspw. "wenn ein Datenträger, der die für die Funktionen des Geräts notwendigen digitalen Inhalte enthält, erst mit dem Gerät, für das er bestimmt ist, zusammengefügt werden muss. Dies könnte … eine SIM- oder eine Speicherkarte bei einem Smartphone betreffen, die nicht immer ganz einfach in das Gerät eingeführt werden kann": Brönneke/Föhlisch/Tonner/Brönneke/Schmidt/Willburger, Das neue Schuldrecht, § 4 Rn 50.
[209] Kirchhefer-Lauber, JuS 2021, 918, 921.
[210] Wilke, VuR 2021, 283, 286 unter Bezugnahme auf Mayer/Möllnitz, RDi 2021, 333 Rn 19; Schrader, NZV 2021, 67, 68.
[211] Entsprechend Kirchhefer-Lauber, JuS 2021, 918, 921.
[212] Weitgehend wortgleich mit Art. 2 Nr. 5 Buchst. b WKRL, wonach "digitale Produkte" den Oberbegriff zu "digitalen Inhalten" und "digitalen Dienstleistungen" bilden (so auch § 327 Abs. 1 BGB).
[213] Wilke, VuR 2021, 283, 286 unter Bezugnahme auf Mayer/Möllnitz, RDi 2021, 333 Rn 25 ff.
[214] Kirchhefer-Lauber, JuS 2021, 918, 921 – unter Bezugnahme auf Art. 27 WKRL (Funktionalität).
[215] Vgl. Erwägungsgrund Nr. 14 WKRL.
[216] Wilke, VuR 2021, 283, 286.

1. Sachmangel einer Sache mit digitalen Elementen (§ 475b BGB)

 

Rz. 78

Für den Kauf einer Sache mit digitalen Elementen, bei dem sich der Unternehmer verpflichtet, dass er selbst oder ein Dritter die digitalen Elemente i.S.v. § 327a Abs. 3 Satz 1 BGB bereitstellt, gelten gemäß § 475b Abs. 1 Satz 1 BGB[217] i...

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