Rz. 131

Grundsätzlich und nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat der Schuldner als Schädiger nicht alle durch das Schadensereignis (Verzugseintritt) verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.[55] Hierbei ist die Ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person maßgeblich.[56] Von besonderer Bedeutung bei den Entscheidungen des BGH ist, dass an die Kriterien zur Beurteilung, was erforderlich und zweckmäßig bedeutet, keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind und auf den Kenntnisstand bei Beauftragung des RA abzustellen ist. Später erlangte Informationen über die Gründe der Nichtzahlung des Schuldners berühren die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der Einschaltung eines RA-Büros zur Forderungsdurchsetzung nicht.

 

Rz. 132

 

Hinweis

Ist dem Gläubiger bekannt, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist oder liegt dem Gläubiger eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung vor, können außergerichtliche Zahlungsaufforderungen durch den RA als nicht erfolgversprechend und daher als nicht zweckmäßig anzusehen sein.[57] Bei dieser Konstellation ist nach Ansicht des BGH die außergerichtliche Tätigkeit des RA nicht erfolgversprechend und demzufolge auch nicht zweckmäßig, sondern eher eine sofortige Titulierung des Anspruchs.

 

Rz. 133

Hat der Schuldner seine Verhandlungsbereitschaft zu erkennen gegeben oder – was in der Praxis am häufigsten vorkommt – überhaupt keine Reaktion gezeigt, wird die Einschaltung eines RA im vorgerichtlichen Verfahrensstadium regelmäßig, selbst in einfach gelagerten Fällen, als erfolgversprechend und zweckmäßig angesehen.[58]

 

Rz. 134

Erfreulich ist, dass der BGH in seiner aktuellen Entscheidung[59] im Hinblick auf die grundsätzliche Schadensminderungspflicht des Gläubigers noch einmal ausdrücklich klarstellt, dass eine Geschäftsgebühr i.S.d. Nr. 2300 VV RVG erstattungsfähig ist und die erforderliche Tätigkeit des RA nicht auf ein Schreiben einfacher Art i.S.v. Nr. 2301 i.V.m. Nr. 2300 VV RVG in Höhe eines 0,3-Satzes zu reduzieren ist. Selbst wenn der Auftraggeber so rechtskundig wäre, dass er bei Beauftragung des RA den Unterschied zwischen einem Schreiben einfacher Art und außergerichtlicher Vertretung kennt, ist der Gläubiger grundsätzlich nicht gehalten, seinen Auftrag i.S.v. Nr. 2301 VV RVG zu reduzieren. Dies könne vom Gläubiger auch deshalb nicht verlangt werden, da er bei Auftragserteilung nicht voraussehen kann, wie sich der in Verzug befindliche Schuldner verhalten wird. Vor allem würde dies dann gelten, wenn der Schuldner auf Mahnungen des Gläubigers nicht reagiert hat.

 

Rz. 135

In Bezug auf den vom Gegner zu erstattenden Gebührensatz gelten die gleichen Grundsätze, wie zuvor im Sinne des Entstehungsverhältnisses unter "Schwellengebühr" beschrieben (Rdn 83 ff.). Der RA bestimmt die Höhe der Gebühr i.S.v. § 14 Abs. 1 RVG im Rahmen seines Beurteilungsspielraums. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist die vom RA getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn die Gebühr von einem Dritten zu erstatten und unbillig ist. Ist der Schuldner der Auffassung, dass der vom RA bestimmte Gebührensatz nicht der Billigkeit entspricht, kann er sich hierauf berufen. Die Tatsachen, die nach Meinung des Schuldners die Unbilligkeit stützen, sind von diesem vorzutragen. In nachvollziehbarer Weise weist der BGH in seiner Entscheidung vom 17.9.2015 darauf hin, dass dem erstattungspflichtigen Schuldner keine weitreichenden Kenntnisse des Umfangs der Mandatsbearbeitung vorliegen, da er ja lediglich die Tätigkeiten erfährt, die der RA nach außen hin erledigt. Aus diesem Grund sieht der BGH eine sekundäre Darlegungslast des Gläubigers.[60]

 

Rz. 136

 

Praxishinweis

Der Schuldner ist eher geneigt, neben dem Hauptanspruch auch die aufgegebene Anwaltsvergütung zu erstatten, wenn seine Verpflichtung begründet und mit individuellen Tatsachen untermauert wird. Es empfiehlt sich, dass der RA in seinem Aufforderungsschreiben möglichst genau ausführt, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt die Erstattungsfähigkeit gegeben ist und in welcher Form der konkrete Schuldner in Verzug geraten ist. Hilfreich ist es auch, wenn die Mitarbeiter einer Kanzlei gut geschult sind, um telefonische Nachfragen des Schuldners in Bezug auf die Kostenübernahmeverpflichtung kompetent beantworten zu können.

 

Rz. 137

Nach dem Grundsatz, dass nur entstandene Gebühren einen Schaden des Auftraggebers darstellen, ist auch im Erstattungsverhältnis zum Gegner die Anrechnung i.S.v. § 15a RVG zu berücksichtigen. Die unter Rdn 92 ff. gemachten Ausführungen sind demzufolge ebenfalls in Bezug auf die Ermittlung der Höhe des Schadens aufgrund anwaltlicher Tätigkeit zu beachten.

[55] BGH NJW 1995, 446–447 = AGS 1995, 30–32; BGH NJW 2004, 444–446 = MDR 2004, 276–277; beide zitiert v. BGH NJW 2015, 3793–3796 = zfm 2015, 206–209.
[56] BGH AGS 2012, 360–361 = AnwBl 2012, 560.
[57] BGH DB 1974, 721 = WM 1974, 304; Palandt/Grüneberg, BGB, § 2...

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