Rz. 1

 

Typischer Sachverhalt

Ein hochbetagter Witwer ohne nahe Angehörige, der im eigenen Einfamilienhaus lebt, wird gesundheitlich hinfällig. Seine Rente reicht gerade für seinen Lebensbedarf. Den Aufenthalt in einem Altenheim oder Altenpflegeheim könnte er trotz Pflegeversicherung (SGB XI) nicht finanzieren. Außerdem will er in seinem eigenen Haus wohnen bleiben, solange dies noch geht. In seinem Bekanntenkreis findet sich eine rund 20 Jahre jüngere alleinstehende Frau, die ebenfalls nur eine geringe Rente bezieht, die aber in der Lage und auch willens wäre, dem alten Herrn den Haushalt zu führen und ihn, wenn es erforderlich werden sollte, auch bis zu einem gewissen Grad zu pflegen. Weil die Einkünfte des alten Herrn so gering sind, kann er sie dafür zu Lebzeiten nicht entlohnen, er könnte ihr aber – weil er keine nahen Angehörigen hat – schon zu Lebzeiten Wohnung in seinem Haus gewähren und nach seinem Tod ihr sein Haus entweder ganz vererben oder ein Wohnungsrecht/Nießbrauch daran für ihre Lebenszeit einräumen.

I. Begriff

 

Rz. 2

Im Gegensatz zum Testament als einseitiger Willenserklärung steht der Erbvertrag, bei dem entweder beide Vertragsteile oder nur einer eine Verfügung von Todes wegen mit vertraglicher Bindung treffen, § 1941 BGB. Wesentliches Merkmal der Testierfreiheit ist die Möglichkeit, testamentarische Verfügungen jederzeit frei zu widerrufen. Diese freie Widerruflichkeit gilt für vertraglich angeordnete Verfügungen von Todes wegen nicht. Hierin liegt eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot des § 2302 BGB, wonach Verträge über die Testierfreiheit des Erblassers eigentlich unzulässig sind.

 

Rz. 3

Die Rechtsnatur des Erbvertrags wird von zwei Elementen geprägt: Einerseits trifft der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen; andererseits wird diese Verfügung im Einverständnis mit dem Vertragspartner getroffen. Bereits zu Lebzeiten des Erblassers tritt für ihn eine vertragliche Bindung ein. Auf der einen Seite steht die höchstpersönliche Verfügung von Todes wegen, auf der anderen finden sich Elemente eines zweiseitigen Vertrags. Aus diesem Grund spricht man auch von der "Doppelnatur" des Erbvertrags.[1] Weil aber die Wirkungen erst mit dem Tod des Erblassers eintreten, wird der Erbvertrag auch als "Vertrag sui generis" gekennzeichnet.[2] Damit wird gleichzeitig klargestellt, dass die Vorschriften des BGB für schuldrechtliche Verträge einschließlich der Vorschriften über gegenseitige Verträge nicht anwendbar sind. Auch wenn sich die Vertragschließenden – häufig Ehegatten – gegenseitig zu Erben einsetzen oder wenn einerseits der Erblasser eine Person zum Erben einsetzt und diese Person eine Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung zu Lebzeiten verspricht, so finden die schuldrechtlichen Vorschriften auf den Erbvertrag dennoch keine Anwendung. Denkbar wäre in einem solchen Fall allenfalls eine Verbindung der beiden Verträge nach § 139 BGB, falls ein entsprechender Parteiwille festgestellt werden kann.

 

Rz. 4

Weitere Folgen der vertraglichen Bindung des Erblassers sind:

Die vertragsmäßig getroffenen Verfügungen können nicht einseitig widerrufen werden (Ausnahme: Anfechtung und Rücktritt).
Der Erblasser kann keine anders lautende Verfügung von Todes wegen errichten (§ 2289 Abs. 1 BGB).
 

Rz. 5

Die vertragsmäßige Verfügung von Todes wegen kann entweder zugunsten des Vertragspartners oder zugunsten eines Dritten angeordnet werden (vgl. im Einzelnen Rdn 18 ff.).

 

Rz. 6

Der Erbvertrag kann zwischen fremden Personen geschlossen werden, ist also nicht auf Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner beschränkt. Von den mehreren fremden Personen kann jede oder nur eine als Erblasser handeln.

 

Rz. 7

 

Praxishinweis

Nicht jede Rechtsordnung hat sich so extrem komplizierte Regeln wie die der vertraglichen letztwilligen Verfügungen zu eigen gemacht. Die zum romanischen Rechtskreis gehörenden Staaten kennen häufig weder den Erbvertrag noch das gemeinschaftliche Testament. Da sich das Erbstatut für Altfälle, also vor dem 17.8.2015 eingetretene Erbfälle, aus der Sicht des deutschen IPR nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers richtet (Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F.), ist immer Vorsicht geboten, wenn ein Staatsangehöriger aus diesem Rechtskreis ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag als Erblasser errichten will. Da die EuErbVO in Art. 25 den Erbvertrag kennt, müssten jetzt auch die romanischen Länder diese Form der Verfügung von Todes wegen anerkennen. Sicher ist dies jedoch nicht, weil sich jeder Mitgliedstaat gem. Art. 35 EuErbVO auf den ordre public berufen kann.

Gemäß Art. 20 EuErbVO ist die EuErbVO universell anwendbar (sog. loi uniforme), so dass auch das Recht von Nicht-EU-Staaten (bspw. der Schweiz) über die Verordnung zur Anwendung berufen werden kann. Der räumliche Anwendungsbereich der Verordnung ist somit nicht begrenzt; vielmehr gilt sie gem. Art. 288 Abs. II AEUV unmittelbar auch bei Sachverhalten ohne Bezug zu anderen Mitgliedstaaten.

[1] MüKo/Musielak, vor § 2274 Rn 3.
[2] MüKo/Leipold, § 1941 Rn 4.

II. Arten von Erbverträgen

 

Rz. 8

Man...

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