Rz. 45

Das Merkmal der Dringlichkeit ist Ausdruck des das gesamte Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, ultima-ratio-Prinzip.[69] Die betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebs unvermeidbar machen.[70]

 

Rz. 46

Somit darf nach der Rechtsprechung des BAG der Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung erst aussprechen, wenn es ihm nicht möglich ist, der betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als durch die Kündigung zu entsprechen. Die Dringlichkeit einer Beendigungskündigung ist daher nur zu bejahen, wenn die Kündigung im Interesse des Betriebs notwendig ist, d.h. wenn unter Berücksichtigung der geltend gemachten außerbetrieblichen Umstände und unter Beachtung einer getroffenen Unternehmerentscheidung keine alternativen Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet zumutbar und durchführbar sind.[71]

 

Rz. 47

Dies gilt auch gerade mit Blick auf § 2 SGB III, nach dem der Arbeitgeber vorrangig durch betriebliche Maßnahmen die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung prüfen und dadurch Entlassungen von Arbeitnehmern vermeiden soll.[72]

Die betriebsbedingte Kündigung ist auch nur dringend erforderlich, wenn der Arbeitsplatz bzw. das Bedürfnis zur weiteren Beschäftigung des Arbeitnehmers aufgrund Arbeitskräfteüberhangs dauerhaft entfällt.[73]

 

Rz. 48

Beruht die betriebsbedingte Kündigung auf einer Betriebs- bzw. Teilbetriebsstilllegung, muss im Zeitpunkt der Kündigung seitens des Arbeitgebers davon ausgegangen worden sein, dass eine eventuelle Wiederaufnahme des Betriebs erst nach einem längeren, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum erfolgen kann, dessen Überbrückung mit weiteren Vergütungszahlungen dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann.[74]

Das Merkmal der Dringlichkeit bzw. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert weiterhin, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses das letzte Mittel ist, um den Anpassungsbedarf zwischen der Menge der Arbeit und der Menge der Arbeitnehmer sicherzustellen – es darf somit kein milderes Mittel bestehen, um den Arbeitskräfteüberhang zu vermeiden.[75]

 

Rz. 49

Folglich muss vor Ausspruch der Kündigung jede andere Möglichkeit einer Über­brückung oder Kompensation des überschüssigen Arbeitsvolumens oder einer anderweitigen Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer geprüft und ausgeschöpft werden, denen anderenfalls gekündigt würde.[76] Als mildere Mittel statt der Beendigungskündigung sind potenziell geeignet:

[69] Vgl. KR/Griebeling/Rachor, § 1 Rn 565.
[70] Vgl. BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 418/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 172.
[71] BAG v. 17.10.1980 – 7 AZR 675/78, AP KSchG 1969 § 1 betriebsbedingte Kündigung Nr. 10; BAG v. 21.4.2005 – 2 AZR 132/04, NZA 2005, 1289.
[72] Vgl. HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 272; KR/Griebeling/Rachor, § 1 KschG Rn 567.
[73] Vgl. BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098; BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 548/10, NZA 2012, 852; BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, NZA 2014, 1069 zu dauerhafter Auftragsreduzierung bzw. Arbeitsvolumen, dazu auch oben unter Rdn 30, 35.
[75] Vgl. BAG v. 8.11.2007 – 2AZR 418/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 172.
[76] HK-ArbR/Schubert, § 1 KschG Rn 403.

(1) Abbau von Überstunden und Arbeitszeitguthaben

 

Rz. 50

Durch das Ableisten von Überstunden im Zeitpunkt der Kündigung wird ein offensichtlicher Personalbedarf sichtbar, dem der durch die Kündigung zum Ausdruck gebrachte Arbeitskräfteüberhang entgegensteht.[77] Eine Beendigung von Arbeitsverhältnissen wegen Arbeitsmangel oder Rückgang des Beschäftigungsbedarfs kann durch den Abbau von Überstunden und Arbeitszeitguthaben vermieden werden.[78]

Es besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG im Hinblick auf die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Dieser wird abwägen müssen, ob und inwieweit er Überstundenanträgen des Arbeitgebers zukünftig seine Zustimmung erteilen wird.

[77] HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 404.
[78] Vgl. BAG v. 8.11.2007 – AZR 418/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 172 (beschränktes Kündigungsrecht bei flexiblen Arbeitszeitmodellen).

(2) Leiharbeit

 

Rz. 51

Auch der Abbau etwaiger dauerhafter Leiharbeit im Betrieb kann einen Personalüberhang beseitigen und die Kündigung überflüssig machen, soweit sie auf einem für Stammarbeitskräfte geeigneten Arbeitsplatz erfolgt. Werden Leiharbeitnehmer nicht nur kurzfristig und unstet beschäftigt, sind diese zunächst nicht weiter zu bestellen. Andernfalls ist die Kündigung nicht durch ein dringendes betriebliches Erfordernis bedingt.[79] Es gibt an sich noch einen freien Arbeitsplatz.

[79] Vgl. LAG Hamm v. 5.3.2007 – 11 Sa 1338/06, DB 2007, 1701; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 272.

(3) Kurzarbeit

 

Rz. 52

Kurzarbeit entlastet den Arbeitgeber von Lohnkosten und ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 2 SGB III dazu da, bei einem erheblichen Arbeitsausfall, der u.a. vorübergeh...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge