Rz. 255

Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.2.1985[463] kommt eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in Betracht, wenn das Arbeitsgericht in seinem Urteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben hat. In diesem Fall endet das bis dahin überwiegende Interesse des Arbeitgebers, nach Ablauf der Kündigungsfrist den Arbeitnehmer nicht mehr in seinem Betrieb zu beschäftigen. Unter Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien überwiegt mit dem obsiegenden Urteil der ersten oder zweiten Instanz das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung.

 

Rz. 256

Bei einer Änderungskündigung kann ein Weiterbeschäftigungsanspruch entstehen, wenn der Arbeitnehmer keine – vorbehaltliche – Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen erklärt, sondern das Änderungsangebot abgelehnt hat. Gleiches gilt, wenn es streitig ist, ob er den Vorbehalt wirksam erklärt hat und noch kein der Änderungskündigung stattgebendes Urteil vorliegt.[464]

Hat er das Änderungsangebot angenommen, besteht nach Ablauf der Kündigungsfrist die Pflicht nach den geänderten Arbeitsbedingungen tätig zu werden, so dass das BAG eine Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen abgelehnt hat.[465]

 

Rz. 257

Ausnahmsweise besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch bereits zeitlich vor einem Urteil im Kündigungsschutzprozess, wenn die Kündigung des Arbeitnehmers offensichtlich unwirksam ist, wie etwa die Kündigung einer Schwangeren in Kenntnis der Schwangerschaft ohne Zustimmung der zuständigen Behörde.[466] Gleiches gilt, wenn ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers besteht, wie z.B. der Erhalt einer Ausbildung oder die Erhaltung von Fachkenntnissen.[467]

 

Rz. 258

Nach einem stattgebenden Urteil der ersten Instanz besteht der Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, nach denen ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer weiteren Freistellung des Arbeitnehmers gegeben ist. Dies kann sein, wenn ein erheblicher Schaden zu erwarten ist, z.B. durch den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen.[468]

Der Weiterbeschäftigungsanspruch entfällt jedoch, wenn der Arbeitgeber nach seiner Verurteilung zur Weiterbeschäftigung eine Folgekündigung aufgrund eines neuen, anderen Lebenssachverhalts ausspricht und er sich mit der Berufung oder der Vollstreckungsgegenklage darauf beruft.[469]

 

Rz. 259

Hebt das BAG ein Urteil des LAG auf, kommt es für den Fortbestand oder das Aufleben des Weiterbeschäftigungsanspruchs darauf an, ob das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hatte – dann bleibt der Weiterbeschäftigungsanspruch bestehen oder lebt wieder auf, je nachdem wie das LAG entschieden hatte. Hat das LAG entgegen dem Arbeitsgericht der Klage und dem Weiterbeschäftigungsanspruch stattgegeben, führt die Aufhebung und Zurückverweisung zum LAG zum Entfall des Weiterbeschäftigungsanspruchs, da kein der Klage stattgebendes Urteil mehr besteht.[470]

[465] BAG v. 19.12.1991 – 2 AZR 280/91, BeckRS 2009, 69341.
[466] Vgl. KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 358.
[468] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 358.
[469] SPV/Vossen, Rn 2264; KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 359; APS/Koch § 102 Rn 245.
[470] KR/Rinck, § 102 BetrVG Rn 359.

aa) Freiwillige Weiterbeschäftigung

 

Rz. 260

Um dem Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zuvor zu kommen und das Annahmeverzugsrisiko zu minimieren, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens seiner Tätigkeit bei ihm nachzukommen. Die Parteien können auch eine Vereinbarung über eine Weiterbeschäftigung bis zum Ende des Kündigungsrechtsstreits treffen. Diese Prozessbeschäftigung erfolgt nach dem BAG in Form einer Zweckbefristung.[471] Aus dem Befristungsrecht ergebe sich eine Schriftform, § 14 Abs. 4 TzBfG.

 

Rz. 261

 

Hinweis

Unterbricht der Arbeitnehmer seine Tätigkeit nicht oder beginnt er vor Abschluss der Vereinbarung seine Tätigkeit, so entsteht ein unbefristeter Arbeitsvertrag (§ 16 S. 1 TzBfG). Nur wenn der Arbeitgeber zeitlich vor der Weiterbeschäftigung ausdrücklich erklärt hat, dass er diese Zweckbefristung von einer Unterzeichnung der befristeten Arbeitsvertragsvereinbarung abhängig macht, ist nach der Rechtsprechung des BAG die Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses anzunehmen, so dass das BAG nicht von einem faktischen unbefristeten Arbeitsverhältnis ausgehen wird.[472]

Als Arbeitnehmervertreter wird man bei dem Hinweis des Arbeitgebers, er wolle den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzverfahrens beschäftigen, nicht selbst auf die Schriftform hinweisen und, ohne selbst das Thema Befristung anzusprechen, darauf hinwirken, dass eine zügige tatsächliche Arbeitsaufnahme erreicht wird.

Bei einer freiwilligen Weiterbeschäftigung, auch Prozessbeschäftigung genannt, stehen dem Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit die gesetzlichen Lohnfortzahlungsansprüche[473] und alle sonstigen Vergütungsansprüche aus de...

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