Rz. 1

Ursprünglich wurde für die Auslegung des Betriebsbegriffes i.S.d. § 613a BGB der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff, wie ihn Rspr. und Rechtslehre entwickelt hatten, herangezogen. Danach ist unter "Betrieb" die organisatorische und räumliche Einheit von sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln zu verstehen, mit deren Hilfe der Inhaber allein oder in Gemeinschaft mit seinen im Betrieb tätigen Arbeitnehmern einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck verfolgt, der sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpft (BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 480/87; BAG v. 24.2.1976 – 1 ABR 62/75; BAG v. 25.9.1986 – 6 ABR 68/84).

 

Rz. 2

Die Arbeitnehmer selbst sollten nicht zum Betrieb i.S.d. § 613a BGB gehören (BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86; Henssler, NZA 1994, 913, 915; zum Ganzen instruktiv Moll, RdA 1999, 233 ff.). In Fällen, in denen lediglich Arbeitnehmer übernommen wurden, wurde bei diesem Definitionsversuch der Normzweck des § 613a BGB nicht hinreichend erfasst, der eine Lücke im Kündigungsschutzsystem schließen und verhindern soll, dass der Arbeitnehmer trotz Fortbestands seines Arbeitsplatzes bei einem anderen Inhaber seine Arbeitsstelle verliert (zu weitgehend daher BAG v. 25.6.1985 – 3 AZR 254/83, das global auf den Erhalt der Arbeitsverhältnisse abstellt). Eine Wende in dieser Definition brachte der EuGH durch seine "Christel-Schmidt-Entscheidung" (EuGH v. 14.4.1994 – C 392/92), die als entscheidendes Kriterium für das Vorliegen eines Betriebsübergang "die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit" etablierte. In seiner "Ayse-Süzen-Entscheidung" (EuGH v. 11.3.1997 – C 13/95) präzisierte der EuGH seine Entscheidung – distanzierte sich jedoch von seiner "Christel-Schmidt-Entscheidung" bzgl. der bloßen Funktionsnachfolge – und setzte an die Stelle des früheren Betriebsbegriffes das Merkmal der "auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit". Ein Betriebsübergang war danach gegeben, wenn die fragliche "Einheit" beim Erwerber ihre Identität wahrte. Mit seinem Urt. v. 24.4.1997 (8 AZR 848/94) schloss sich der 8. Senat des BAG der Rspr. des EuGH an.

 

Rz. 3

Der Begriff "Einheit" bezieht sich dabei auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung (BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05). Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden (ErfK/Preis, BGB, § 613a Rn 10 ff.). Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich

die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs,
der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie der Gebäude und beweglichen Güter,
der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs,
die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft,
der etwaige Übergang der Kundschaft sowie
der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und
die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit (EuGH v. 11.3.1997 – C 13/95 – Ayse Süzen; BAG v. 24.4.1997 – 8 AZR 848/94; BAG v. 14.5.1998 – 8 AZR 418/96).
 

Rz. 4

Checkliste: Kriterien des Betriebsübergangs

Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs
Übergang der materiellen Betriebsmittel
Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs
Übernahme der Hauptbelegschaft
Übergang der Kundschaft
Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten
Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit
 

Rz. 5

Dieser 7-Punkte-Katalog, der aufgrund der Rspr. des EuGH in der Praxis gebildet wurde, stellt weder einen abschließenden Katalog dar noch dürfen die Kriterien isoliert betrachtet, sondern stets nur als Teilaspekte einer umfassenden Gesamtbetrachtung verstanden werden, die sämtliche für den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen hat (vgl. nur EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01 m.w.N. – Abler). Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben (BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06). Den für das Vorliegen eines Überganges maßgeblichen Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu (EuGH v. 20.11.2003 – C-340/01 – Abler; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 435/95). Bei der Gesamtschau darf aus der bloßen Ähnlichkeit der Tätigkeit aber nicht darauf geschlossen werden, dass automatisch eine Identität der Einheit vorliegt.

 

Rz. 6

Im Gegensatz zur bisherigen BAG-Rspr. (BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 421/02; BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04) hat der EuGH in einer Entscheidung v. 12.2.2009 (C-466/07 – "Klarenberg") entschieden, dass ein Betriebsübergang im Hinblick auf die Wahrung der Identität des Betriebs/Betr...

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