Rz. 192

Wird ein Messgerät verwendet, das überhaupt keine Daten (Rohmessdaten) speichert, wie dies bei den verwendeten Lasermessgeräten (etwa Traffistar) der Fall ist, so läuft das Einsichtsrecht des Betroffenen leer. Ihm wird die Möglichkeit genommen, das Verfahren technisch nachzuvollziehen und zu überprüfen. Er wäre letztlich gezwungen, das Ergebnis des Messverfahrens hinzunehmen, ohne eine Möglichkeit zur Überprüfung zu haben. Dies dürfte mit den Anforderungen des Rechts auf ein faires Verfahren nicht vereinbar sein (vgl. Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2 ff.).

 

Hinweis

Entsprechend dem Vorstehenden hat der VerfGH Saarland in seinem Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17 (NZV 2019, 414 m. Anm. Krenberger = zfs 2019, 527 = VRR 8/2019, 11) entschieden, u.a. (NZV 2019, 414, Rn 37 und Rn 61; vgl. aber u.a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.2022 – 2 RBs 25/22, zfs 2022, 350 = NStZ-RR 2022, 220 [Ls.]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 1.12.2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21, zfs 2022, 113):

Zitat

"Fehlt es – wie hier bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät "Traffistar 350S" – an Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener – selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung kann auf dieser Grundlage nicht erfolgen…"

Solange eine Messung nicht durch die Bereitstellung der Datensätze – einschließlich auch der Statistikdatei – einer Nachprüfung durch die Verteidigung des Betroffenen zugänglich ist, würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit der Konformitätsprüfung schlicht bedeuten, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Das ist weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch in den Fällen anderer standardisierter Messverfahren – wie zB der Blutprobenanalyse und der DNA-Identitätsmusterfeststellung – rechtsstaatlich hinnehmbar.“

 

Rz. 193

In der Rechtsprechung der OLG ist die Entscheidung des VerfGH des Saarlandes jedoch bisher einhellig auf Ablehnung gestoßen (BayObLG, Beschl. v. 4.1.2021 – 202 ObOWi 1532/20 = VRR 1/2021, 14; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.2022 – 2 RBs 25/22, zfs 2022, 350 = NStZ-RR 2022, 220 [Ls.]; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.1.2020 – 3 Rb 33 Ss 763/19; OLG Köln, Beschl. v. 27.9.2019 – III-1 RBs 362/19 [Traffistar]; OLG Oldenburg, Beschl. v. 9.9.2019 – 2 Ss (Owi) 233/19 [ES 8.0; das Gerät speicherte die Rohmessdaten]; OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.7.2019 – 6 Rb 28 Ss 618/19 [der Betroffene hatte das Fehlen von Rohmessdaten nicht gerügt]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.7.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 68/19 [Poliscan Speed speichert Rohmessdaten]; Beschl. v. 1.12.2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21, zfs 2022, 113). Die vom VerfGH Saarland aufgestellten Anforderungen an ein faires Verfahren seien "überzogen" (OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2020 – (1 Z) 53 Ss-OWi 13/20 (13/20), OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.3.2020 – IV-2 RBs 30/20 und v. 27.4.2020 – IV-2 RBs 61/20; OLG Hamm, Beschl. v. 13.2.2020 – 1 RBs 255/19; OLG Schleswig, Beschl. v. 5.6.2019 – I OLG 123/19). Nunmehr hat auch der VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.7.2022 – VGH B 30/21, einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren verneint. Auch insoweit wird es einer Entscheidung des BVerfG bedürfen, nachdem gegenwärtig nicht ersichtlich ist, dass es insoweit zu einer Divergenzvorlage zum BGH durch ein OLG kommen wird. Ein entsprechendes Verfahren ist beim BVerfG unter dem Az. 2 BvR 1167/20 anhängig.

Mit Blick auf die große praktische Bedeutung dieser und anderer Fragen im Zusammenhang mit den Einsichtsrechten in Messunterlagen und mit Blick darauf, dass etwa der VerfGH Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 22.7.2022 – VGH B 30/21) sich u.a. darauf zurückzieht, dass die verfassungsrechtliche Garantie eines fairen Verfahrens nur Mindestgewährleistungen umfasse, wäre eine Regelung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens und des Umfangs der entsprechenden Einsichtsrechte der Verteidigung durch den Gesetzgeber veranlasst (so auch die Empfehlung des 58. Verkehrsgerichtstags 2020, Arbeitskreis IV, Nr. 1).

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