1. Teil: Prozesskostenhilfe

A. Allgemeines

 

Rz. 1

Das Recht zur Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe nimmt in der anwaltlichen Praxis – gerade im arbeitsrechtlichen und familienrechtlichen Bereich – eine besondere Stellung ein. Das Gesetz über die Prozesskostenhilfe vom 13.6.1980[1] bezweckte zunächst die Verwirklichung des sozialstaatlichen Gebots einer Gleichstellung wirtschaftlich starker und schwacher Bürger im Rechtsschutzbereich.[2] Mit dem am 25.9.2009 bzw. 1.9.2009 in Kraft getretenen Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) wurden jedoch die in zahlreichen Einzelgesetzen verstreuten Vorschriften zum Familienverfahrensrecht zusammengefasst. Der Gesetzgeber nahm dies ebenfalls zum Anlass, die Prozesskostenhilfe für familiengerichtliche Verfahren als "Verfahrenskostenhilfe" in den §§ 76 bis 78 FamFG zu regeln. § 76 FamFG verweist dabei auf die Vorschriften zur Prozesskostenhilfe, die Anwendung finden, sofern sich aus dem FamFG nichts anderes ergibt.

 

Rz. 2

Die Prozesskostenhilfe hat für die Anwaltschaft insbesondere folgende Bedeutungen:

Die Gebührenabrechnung erfolgt über die Tabelle nach § 49 RVG, die dem Rechtsanwalt ab einem Streitwert von mehr als 4.000,00 EUR ein geringeres Einkommen beschert als nach der Regeltabelle zu § 13 RVG.
Die Zahlung aus der Staatskasse bedeutet für die Anwaltschaft ein sicheres Einkommen.
Der Rechtsanwalt ist grundsätzlich nicht schlechter zu stellen als ein sogenannter Wahlanwalt, der keine Prozesskostenhilfe beantragt; er kann unter Umständen eine sogenannte weitere Vergütung fordern (§§ 50, 55 Abs. 6 RVG). Der Anwalt kann und sollte deshalb vorsorglich seine Wahlanwaltsvergütung als weitere Vergütung festsetzen lassen. Dies vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass das Gericht für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren die einmal bewilligte Prozesskosten-/Verfahrenskostenhilfe einer Überprüfung hinsichtlich des nachträglichen Eintritts der Leistungsfähigkeit des Berechtigten unterziehen kann. Sollte der Berechtigte leistungsfähig werden, so können gegen ihn die geleisteten Zahlungen der Staatskasse und die weitere Wahlanwaltsvergütung festgesetzt werden. Der Vorteil für den Anwalt liegt auf der Hand. Für diesen Fall treibt der Staat die weiteren Gebühren des Anwalts bei und zahlt die weitere Wahlanwaltsvergütung an den Anwalt aus, sobald die verauslagten Kosten der Justizkasse (Gerichtskosten und bereits geleistete Vergütung auf Prozesskostenhilfebasis) durch den Berechtigten erfüllt wurden.
Als eindeutiger Nachteil muss allerdings die aktuelle Rechtsprechung zur Hilfeleistung des beauftragten Rechtsanwalts bei der nachträglichen Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Antragsstellers benannt werden. Die Mandatierung des Anwalts für das Bewilligungsverfahren in Prozesskostenhilfe (PKH)- oder Verfahrenskostenhilfe (VKH)-Sachen endet nämlich nicht automatisch mit der gerichtlichen Bewilligungsentscheidung. Der Anwalt bleibt auch im Nachprüfungsverfahren verantwortlich und muss dem Gericht etwaige Veränderungen der Bewilligungsvoraussetzungen mitteilen (OLG Brandenburg, 15.11.2013. 9 WF 209/1).
Nach § 120a Abs. 1 S. 4 ZPO kann eine Überprüfung der Bewilligungsvoraussetzungen bis zu vier Jahre nach rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Verfahrensbeendigung erfolgen. Als Basis der Einbeziehung des Anwalts auch im Nachprüfungsverfahren sind die Entscheidungen des BGH XII ZB 38/09 und vom 8.12.2010 und VII ZB 63/10 vom 8.9.2011 zu nennen. Hiernach müssen Zustellungen im PKH-Prüfungsverfahren auch nach dem formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens entsprechend § 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten erfolgen, wenn dieser die Partei auch im Bewilligungsverfahren vertreten hat. Diese Auslegung der Norm und die damit verbundene Verfahrensweise ist zwar konsequent, fordert dem im Prozesskostenhilfeverfahren tätigen Anwalt allerdings weitere Arbeit ab.
[1] BGBl I 1980 S. 677.
[2] Mock, FPR 1996, 294; Mümmler, FPR 1996, 289.

B. Prozesskostenhilfe als Grundrecht in der gesamten Europäischen Union

 

Rz. 3

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sieht in Art. 47 Abs. 3 vor, dass Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

 

Rz. 4

Am 27.1.2003 hat der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2002/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen verabschiedet.[3] Diese ist am 31.1.2003 in Kraft getreten und musste bis zum 30.11.2004 bzw. 30.5.2006 in nationales Recht umgesetzt werden (Art. 21 Abs. 1).

 

Rz. 5

Das Gesetz zur Umsetzung gemeinschaftlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten (EG–Prozesskostenhilfegesetz) vom 15.12.2004[4] regelt die zur Umsetzung der vorbezeichneten Richtlinie erforderlichen Bestimmungen als neuen Abschnitt 3 im 11....

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