Rz. 340

Da die Berechnung des Insolvenzgeldes häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist, der Arbeitnehmer aber eine existenzsichernde Leistung benötigt, schreibt § 168 SGB III vor, dass die Arbeitsagentur einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld erbringen kann, wenn

die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt ist,
das Arbeitsverhältnis beendet ist und
die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt werden.
 

Rz. 341

 

Praxistipp

Die Vorschussregelung des § 168 SGB III ist eine Spezialregelung gegenüber der Vorschussregelung in § 42 SGB I. Sind die Voraussetzungen des § 168 SGB III nicht gegeben, kann auf § 42 SGB I zurückgegriffen werden. Hier ist vor allem darauf hinzuweisen, dass es bei § 42 SGB I möglich ist, die Ermessensausübung der Bundesagentur für Arbeit dadurch zu umgehen, dass ein Antrag gem. § 42 Abs. 1 S. 2 SGB I gestellt wird und der Vorschuss dadurch als "Pflicht"-Leistung gezahlt wird.

 

Rz. 342

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist allein die Vorschussregelung des § 42 SGB I anwendbar.

§ 168 SGB III stellt die Vorschusszahlung in das Ermessen der Arbeitsagentur. Bei der Ermessensausübung sind u.a. die Einkommenssituation des Arbeitnehmers, die Höhe des rückständigen Arbeitsentgelts und die voraussichtliche Dauer des Eröffnungsverfahrens zu berücksichtigen.

 

Rz. 343

 

Hinweis

Ein Hinweis der Arbeitsagentur, der Arbeitnehmer solle anstelle des Vorschusses Arbeitslosengeld beantragen, ist unzulässig, weil Arbeitslosengeld, das im Insolvenzgeldzeitraum gezahlt wird, auf das Insolvenzgeld angerechnet würde und somit zu einer Schlechterstellung des Arbeitnehmers führen wird.

 

Rz. 344

Die Voraussetzungen der Vorschussgewährung (Eröffnungsantrag, Beendigung des Arbeitsverhältnisses und hinreichende Wahrscheinlichkeit der Voraussetzungen für den Insolvenzgeldanspruch) müssen gemeinsam (kumulativ) vorliegen.

 

Rz. 345

Der Gesetzgeber hat nicht eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen für den Insolvenzgeldanspruch gefordert, sondern nur eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Dies ist bereits gegeben, wenn die für den Anspruch sprechenden Umstände die gegen das Vorliegen der Voraussetzungen sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden könnte.

 

Rz. 346

 

Hinweis

Der Arbeitnehmer muss die Vorschussgewährung beantragen (§ 324 Abs. 1 und Abs. 3 SGB III). Der Antrag braucht nicht schriftlich, sondern kann auch mündlich oder telefonisch gestellt werden.

Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter haben sodann die notwendigen Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen, §§ 314, 316 SGB III. Die letzte erstellte Lohnabrechnung sowie eine Bescheinigung über den noch ausstehenden Lohn dürften hierzu gehören.

 

Rz. 347

Der Antrag ist von der Arbeitsagentur förmlich zu bescheiden.

Der Arbeitsagentur kommt bei der Entscheidung über die Gewährung des Vorschusses ein doppeltes Ermessen zu. Einmal hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob ein Vorschuss gewährt wird; danach, in welcher Höhe. Die üblichen Vorschussgewährungen liegen bei etwa 70 bis 90 % der zu erwartenden Leistung. Der Vorschuss wird umso höher sein je konkreter die Voraussetzungen für den Insolvenzgeldanspruch gegeben sind.

 

Rz. 348

Der Vorschuss ist auf das endgültig festgestellte Insolvenzgeld anzurechnen.

Ist es zu einer Überzahlung gekommen, hat der Arbeitnehmer bzw. der Dritte den Vorschuss nach § 168 S. 4 SGB III zu erstatten. Die Erstattungsregelungen der §§ 45, 48, 50 SGB X treten gegenüber der Erstattungsregelung des § 168 S. 4 SGB III zurück. Wie in allen Bereichen kann der Betroffene einen Antrag auf Stundung, Niederschlagung oder Erlass des Erstattungsanspruchs gem. § 76 Abs. 2 SGB IV stellen.

Das BAG hat am 25.6.2014 entschieden, dass in den Fällen, in denen sich der Arbeitnehmer auf eine vorweg zu berichtigende Masseverbindlichkeit i.S.v. §§ 53, 55 InsO beruft, die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet sei, wenn es sich tatsächlich um eine Insolvenzforderung i.S.v. §§ 38, 108 Abs. 3 InsO handelt, die unter den in §§ 179, 180 InsO geregelten Voraussetzungen mit einer Feststellungsklage zu verfolgen wäre.[243] Während der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X auf die "Höhe der erbrachten Sozialleistungen" beschränkt sei, gingen nach § 169 SGB III die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, "die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen", auf die Bundesagentur über. Anspruchsbegründend sei jedoch nach § 167 SGB III (§ 341 Abs. 4 SGB III) das begrenzte Bruttoarbeitsentgelt. Bezugspunkt des gesetzlichen Anspruchsübergangs sei damit – anders als nach § 115 SGB X – das Bruttoarbeitsentgelt. Der in §§ 167, 169 SGB III geregelte, auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) begrenzte Übergang des Bruttolohnanspruchs verstoße – auch im Hinblick auf die Besonderheiten der Besteuerung von Grenzgängern – nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 45 AEUV i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 EWGV 1612/68. De...

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