Rz. 71

Für Klagen gegen den Inhaber bestimmter – im Anhang 1 des Umwelthaftungsgesetzes genannter – Anlagen, mit denen der Ersatz eines durch eine Umwelteinwirkung verursachten Schadens geltend gemacht wird, ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die Umwelteinwirkung von der Anlage ausgegangen ist (§ 32a S. 1 ZPO). Die damit verbundene Konzentration bewirkt insbesondere bei Distanz- oder Massenschäden, dass ein Gericht über die Klagen verschiedener durch eine Anlage Geschädigter einheitlich entscheiden kann, was nicht nur zu einer Beschleunigung und Kostenersparnis führt, sondern auch der Vermeidung abweichender Entscheidungen im selben Schadensfall – vor allem aufgrund unterschiedlicher sachverständiger Beratung – dient.[123]

[123] BT-Drucks 11/7881, S. 38; Pfeiffer, ZZP 106 (1993), 159.

a) Schädigende Umwelteinwirkung (sachlicher Anwendungsbereich)

 

Rz. 72

Ein Schaden entsteht durch eine Umwelteinwirkung, wenn er durch Stoffe, Erschütterungen, Geräusche, Druck, Strahlen, Gase, Dämpfe, Wärme oder sonstige Erscheinungen verursacht wird, die sich in Boden, Luft oder Wasser ausgebreitet haben (§ 3 Abs. 1 UmweltHG). Eine Ausbreitung in Boden, Luft oder Wasser liegt vor, wenn sich die Stoffe oder die ähnlichen Erscheinungen nach dem Austritt aus der Anlage in der Umwelt verteilen, d.h. in eines der Umweltmedien Boden, Luft oder Wasser eintreten und sich in diesem verteilen, wobei sie mit Hilfe des Mediums weitertransportiert werden.[124] Zur Haftung nach dem UmweltHG siehe eingehend oben § 8 A.

 

Rz. 73

Da der Gerichtsstand lediglich an diese Art der Schadensentstehung, nicht aber an eine bestimmte materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage anknüpft, ist eine Zuständigkeit nicht nur bei Ansprüchen nach dem UmweltHG, sondern auch bei sonstiger Gefährdungshaftung (siehe oben Rdn 55), deliktischer Haftung (§§ 823 ff. BGB) oder nachbarrechtlicher Verantwortlichkeit (§ 906 Abs. 2 BGB) gegeben (siehe auch § 18 Abs. 1 UmweltHG).[125] Dies gilt allerdings nicht für Atomschäden (§ 18 Abs. 2 UmweltHG).[126] Vertragliche Schadensersatzansprüche können dagegen im Gerichtsstand der Umwelteinwirkung geltend gemacht werden.[127]

[125] Zöller/Schultzky, § 32a Rn 1; Pfeiffer, ZZP 106 (1993), 159.
[126] S. hierzu a. Art. 1 – dort § 40a AtomG (dazu Frenz/Raetzke, AtomR, 1. Aufl. 2019, § 40a AtomG) – und 5 des mangels Ratifizierung des zugrunde liegenden Pariser Übereinkommens (BGBl 1975 II 1021, 1976 II 310, 1982 II 964, 1985 II 690, 1989 II 144, 1995 II 657, 2008 II 902) durch zwei Drittel der Vertragsstaaten noch nicht in Kraft befindlichen (dazu Frenz/Raetzke, AtomR, 1. Aufl. 2019, § 25 AtomG Rn 13 und BeckOGK/Fornasier, Art. 40 EGBGB Rn 207 Fn 239) Gesetzes zur Änderunghaftungsrechtlicher Vorschriften des Atomgesetzes und zur Änderung sonstiger Rechtsvorschriften v. 29.8.2008, BGBl I 2008, 1793 und – differenzierend – Pfeiffer, ZZP 106 (1993), 159.
[127] Thomas/Putzo/Hüßtege, § 32a Rn 2.

b) Parteien (persönlicher Anwendungsbereich)

 

Rz. 74

Auf Klägerseite bestehen keine Einschränkungen: Im Gerichtsstand der Umwelteinwirkung kann jeder klagen, der behauptet (siehe unten Rdn 80 f.), durch eine solche einen Schaden erlitten zu haben.[128] Hierzu zählen auch Arbeiter, Angestellte, Besucher und andere Personengruppen, die sich innerhalb der betroffenen Anlage aufhalten.[129]

 

Rz. 75

Beklagter kann dagegen nur der Inhaber der Anlage sein, von der die Umwelteinwirkung ausgeht (§ 32a S. 1 ZPO). Inhaber ist zunächst der Eigentümer der Anlage. Angesichts der Ausgestaltung der umweltrechtlichen Verantwortlichkeit als Gefährdungshaftung ist aber – wie bei den entsprechenden Regelungen zum Halter (StVG, LuftVG) oder Betriebsunternehmer (HPflG) – als Inhaber unabhängig von der eigentumsrechtlichen Lage ferner derjenige anzusehen, der die schadensverursachende Anlage für eigene Rechnung in Gebrauch hat, die Verfügungsgewalt über sie besitzt und die Kosten ihrer Unterhaltung trägt, beispielsweise ein Mieter oder Pächter der Anlage.[130] Die Begriffe Inhaber und Betreiber sind insoweit synonym.[131]

 

Rz. 76

Anlagen sind nach den Begriffsbestimmungen des UmweltHG sowohl ortsfeste Einrichtungen wie Betriebsstätten und Lager (§ 3 Abs. 2 UmweltHG) als auch Maschinen, Geräte, Fahrzeuge und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen sowie Nebeneinrichtungen, die mit der Anlage oder einem Anlagenteil in einem räumlichen oder betriebstechnischen Zusammenhang stehen und für das Entstehen von Umwelteinwirkungen von Bedeutung sein können (§ 3 Abs. 3 UmweltHG). Die vom Gerichtsstand der Umwelteinwirkung erfassten inländischen Anlagen sind abschließend im Anhang 1 zu § 1 UmweltHG[132] aufgeführt, der insbesondere Anlagentypen aus den Bereichen (1) Wärmeerzeugung, Bergbau, Energie, (2) Steine und Erden, Glas, Keramik, Baustoffe, (3) Stahl, Eisen und sonstige Metalle einschließlich Verarbeitung, (4) chemische Erzeugnisse, Arzneimittel, Mineralölraffination und Weiterverarbeitung, (5) Oberflächenbehandlung mit organischen Stoffen, Herstellung von bahnenförmigen Materialien aus Kunststoffen, ...

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