Rz. 408

Wird in der Praxis über die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen[466] diskutiert, sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden

der Ausschluss des Anspruchs für die Zukunft (also des laufenden Unterhaltes) aufgrund bestimmter Umstände – i.d.R. eines Fehlverhaltens des Unterhaltsberechtigten. Dies ist geregelt in

§ 1579 BGB für den Ehegattenunterhalt (ggf. i.V.m. § 1361 Abs. 3 BGB) (dazu § 14 Rdn 268),
§ 1611 BGB für den Verwandtenunterhalt, also den Kindes- und Elternunterhalt (dazu § 19 Rdn 79),

der Ausschluss der Durchsetzung des Anspruchs für die Vergangenheit (also der Unterhaltsrückstände) aufgrund nicht ausreichender Geltendmachung,

hier geht es um die Verwirkung von Unterhaltsrückständen.

Wird der Unterhalt nicht zeitnah durchgesetzt, kann daher Verwirkung hinsichtlich der Unterhaltsrückstände eingreifen (§ 242 BGB).[467]

 

Rz. 409

 

Praxistipp:

Die Verwirkung ist als Einwendung von Amts wegen zu berücksichtigen, muss also nicht besonders geltend gemacht werden. Es kommt nicht darauf an, ob der Unterhaltsschuldner sich auf Verwirkung beruft,[468] denn es handelt sich um eine Einwendung.
Allerdings ist entsprechender Sachvortrag unverzichtbar.
Der Verpflichtete trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Verwirkung.[469]
Der Gläubiger ist jedoch darlegungspflichtig dafür, wann und wie er den Anspruch geltend gemacht hat.[470]
 

Rz. 410

Die Frage einer Verwirkung des Anspruchs kann sich insbesondere bei folgenden Fallgestaltungen stellen:

der Berechtigte lässt nach einer Mahnung nichts von sich hören;
er beziffert den Anspruch nach Auskunftserteilung nicht;
er unterlässt es, das gerichtliche Verfahren nach Einreichung des Stufenantrags zu betreiben;
er nimmt eine nicht schlüssig begründete Kürzung der Unterhaltszahlungen widerspruchslos hin;
er teilt dem Unterhaltspflichtigen mit, Unterhalt solle zurzeit nicht verlangt werden;
er ermäßigt seine Unterhaltsforderung nach Vortrag von Abzugspositionen durch den Unterhaltspflichtigen.
[466] Duderstadt, NZFam 2020, 462; Schnitzler, FF 2011, 290; ders., FPR 2013, 532.
[467] Ausführlich Kofler, NJW 2011, 2470–2476; Jüdt, FuR 2010, 548 und FuR 2010, 624 sowie Henjes, FuR 2009, 432–435.

1. Voraussetzungen

 

Rz. 411

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde.[471]

 

Rz. 412

Eine Verwirkung eines Unterhaltsrückstandes als ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens[472] kommt nur in Betracht, wenn sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde.[473] Da ein Unterhaltsberechtigter lebensnotwendig auf den Unterhalt angewiesen ist, kann der Unterhaltsschuldner auch zeitnah mit der Durchsetzung der Ansprüche rechnen.[474] Zudem sind im Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufzuklären.[475]

 

Rz. 413

Voraussetzung der Verwirkung des Unterhaltsrückstandes ist, dass der Gläubiger den Unterhaltsanspruch längere Zeit nicht geltend macht (Zeitmoment) und beim Schuldner den Eindruck erweckt, er werde diesen Anspruch nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Neben dem reinen Zeitablauf müssen also immer auch besondere Umstände hinzutreten.

a) Zeitmoment

 

Rz. 414

Beim "Zeitmoment" ist i.d.R. von einem Jahr auszugehen. Aus § 1585b Abs. 3 BGB und § 1615i Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. folgt, dass das Gesetz bei Unterhaltsrückständen für eine mehr als einem Jahr zurückliegende Zeit dem Schuldnerschutz besondere Beachtung beimisst.[476] Gerade bei Unterhaltsansprüchen sind an das sog. Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen.[477] Nach § 1613 Abs. 1 BGB kann Unterhalt für die Vergangenheit ohnehin nur ausnahmsweise gefordert werden. Daher verdient wegen der Regelungen in den §§ 1585b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes bei Unte...

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