Leitsatz (amtlich)

1. Die Annahme der Verwirkung - hier: rückständigen Kindesunterhalts - setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment).

2. Im Falle der Titulierung künftig fällig werdender Kindesunterhaltsforderungen kann das Zeitmoment bereits nach dem Verstreichen lassen einer Frist von etwas mehr als einem Jahr als erfüllt anzusehen sein.

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

AG Bottrop (Beschluss vom 25.03.2013; Aktenzeichen 19 F 181/13)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 12.4.2013 wird der Verfahrenskostenhilfe versagende Beschluss des AG - Familiengericht - Bottrop vom 25.3.2013 abgeändert. Dem Antragsteller wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung seiner Rechte Rechtsanwalt C3 aus H beigeordnet.

 

Gründe

I. Der Antragsteller ist der Vater des am 18.3.2002 geborenen Kindes E aus C2 (im Folgenden: das Kind). Durch Jugendamtsurkunde vom 16.9.2002, Urkunden-Nr. 102/2002, des Jugendamtes der Stadt C2 verpflichtete sich der Antragsteller zur Zahlung von Mindestkindesunterhalt an das Kind.

Die Antragsgegnerin ließ sich eine vollstreckbare Ausfertigung der Jugendamtsurkunde vom 16.9.2002 unter dem 29.11.2011 erteilen und ließ einen Betrag i.H.v. 6.952,67 EUR für Unterhaltsrückstände für die Zeit vom 1.2.2006 bis 31.5.2011 gegen den Antragsteller vollstrecken, indem es das Gehalt des Antragstellers durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Gladbeck vom 14.2.2013, zugestellt am 28.2.2013, 13 M 136/13, pfändete.

Der Antragsteller hat bestritten, dass die Antragsgegnerin tatsächlich Leistungen an das Kind erbracht habe. Die Pfändung sei daher für unzulässig zu erklären. Da Unterhaltsansprüche für die Zeit von 2006 bis 2011 geltend gemacht würden, sei ein entsprechender Anspruch verwirkt. Insofern genüge die Untätigkeit für ein Jahr im Regelfall, um einen Unterhaltsanspruch als verwirkt zu erachten. Überdies sei er - obwohl er stets in H gewohnt habe und seit 2007 bei seinem Arbeitgeber beschäftig gewesen sei - nicht mit rückständigen Unterhaltsansprüchen konfrontiert worden. Auch habe er tatsächlich Zahlungen an die Kindesmutter erbracht. Insofern sei ihm auch nicht bekannt, wie sich die Rückstände zusammensetzten, da dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss keine Forderungsaufstellung beigefügt gewesen sei.

Der Antragsteller hat beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe für die Anträge zu bewilligen,

1. die Zwangsvollstreckung aus der Jugendamtsurkunde der Stadt C2 vom 16.9.2002, Urkundenregisternummer 102/2002, in zweiter vollstreckbarer Ausfertigung vom 8.12.2011 in Höhe eines Betrages von 6.952,67 EUR für unzulässig zu erklären und

2. im Wege der einstweiligen Anordnung die Zwangsvollstreckung aus der Jugendamtsurkunde der Stadt C2 vom 16.9.2002, Urkundenregisternummer 102/2002, in zweiter vollstreckbarer Ausfertigung vom 8.12.2011 einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache - hilfsweise gegen Sicherheitsleistung - einzustellen.

Das AG hat mit Beschluss vom 25.3.2013 den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Anspruch nicht verwirkt sei, da § 1585b Abs. 3 BGB ausdrücklich nicht für den Minderjährigenunterhalt gelte und als Ausnahmevorschrift einer Analogie nicht zugänglich und - unter Beachtung des Rechtsgedankens des § 207 BGB - nichts zu einer Verwirkung vorgetragen sei. Mit weiterem Beschluss vom 25.3.2013 hat es unter Verweis auf den Inhalt des vorangehenden Beschlusses den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen.

Gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss richtet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er rügt, das AG habe verkannt, dass mit der Untätigkeit von einem Jahr das Zeitmoment erfüllt sei. Damit aber sei ihm vermittelt worden, dass der Unterhaltsgläubiger nicht bedürftig sei. Der Verweis auf § 207 BGB gehe fehl, da sich der Einwand der Verwirkung aus § 242 BGB ableite. Überdies vertieft er seinen Vortrag zu den Unterhaltsleistungen an die Kindesmutter und verweist erneut darauf, dass ihm eine Forderungsaufstellung nicht vorliege.

Das AG hat der Beschwerde mit am 22.4.2013 erlassenen Beschluss mit der ergänzenden Begründung, dass allein der Zeitablauf unzureichend, der Erfüllungseinwand nicht dargetan sei und der Antragsteller sich gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wenden könne, nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist begründet.

1. Zutreffend hat der Antragsteller zunächst darauf abgestellt, dass § 767 ZPO gem. § 120 Abs. 1 FamFG auf die Vollstreckung in...

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