Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung bei durch Jugendamtsurkunde titulierten Kindesunterhaltsansprüchen nach Titelumschreibung

 

Leitsatz (amtlich)

Das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment kann trotz einer bereits vorhandenen Titulierung durch Jugendamtsurkunde ausnahmsweise gegeben sein, obwohl etwaige Vollstreckungsversuche wegen der Leistungsunfähigkeit des Schuldners voraussichtlich erfolglos geblieben wären. Dies kommt in Betracht, wenn die Unterhaltsvorschussstelle einen Unterhaltsschuldner nicht über die Möglichkeit der Titelumschreibung und Vollstreckung aus der bereits über 15 Jahre nicht mehr relevant gewesenen Jugendamtsurkunde informiert, sondern für den Fall der Nichterteilung der angeforderten Auskunft und der Nichtzahlung einen Antrag auf Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren androht.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 1601; ZPO § 114 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Braunschweig (Aktenzeichen 247 F 125/22)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 19.08.2022 abgeändert und dem Antragsteller ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen beabsichtigten Vollstreckungsabwehrantrag.

Durch vollstreckbare Jugendamtsurkunde vom 06.05.2003 hatte sich der Antragsteller zur Zahlung von 100 % des Mindestunterhalts für seinen am 20.11.2002 geborenen Sohn J. T. verpflichtet, der damals im Haushalt seiner Mutter lebte. Etwa von seinem vierten bis zum dreizehnten Lebensjahr wohnte J. dann beim Antragsteller, der währenddessen keine Unterhalts- oder Unterhaltsvorschussleistungen erhielt.

Mit Schreiben vom 23.08.2018 meldete sich die Antragsgegnerin beim Antragsteller und informierte ihn über die für J. beantragten Unterhaltsvorschussleistungen sowie über den Übergang von Kindesunterhaltsansprüchen auf das Land Niedersachsen. Der Antragsteller wurde zur Zahlung von monatlich 273,00 EUR oder zur Auskunft über sein Einkommen bis zum 06.09.2018 aufgefordert. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs wurde die Stellung eines Antrags auf Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren angedroht. Mit weiterem Schreiben vom 21.11.2018 erfolgte eine erneute Zahlungsaufforderung in Höhe des bisher aufgelaufenen Rückstands von 1.365,00 EUR sowie eines laufenden monatlichen Betrags von 273,00 EUR. Einen Hinweis auf einen bereits vorliegenden Unterhaltstitel enthielten die Schreiben nicht.

In den Jahren 2019 bis 2022 bemühte sich die Antragsgegnerin um den Erhalt der vollstreckbaren Ausfertigung der Jugendamtsurkunde vom 06.05.2003, um diese in Höhe eines Teilbetrags von 2.202,00 EUR auf sich umschreiben zu lassen. Die Angelegenheit verzögerte sich wegen der mangelnden Mitwirkung der Kindesmutter, so dass die Titelumschreibung schließlich erst am 11.04.2022 erfolgte.

Beim Antragsteller meldete sich die Antragsgegnerin erst wieder mit Schreiben vom 30.08.2021. Darin teilte sie mit, im Zeitraum von Juli 2018 bis Februar 2019 Unterhaltsvorschussleistungen für J. in Höhe von insgesamt 2.202,00 EUR erbracht zu haben und forderte ihn zur Erstattung dieses Betrags binnen 14 Tagen auf. Unter dem 01.10.2021 erfolgte eine Zahlungserinnerung, in der erstmals auch die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen angedroht wurde. Mit weiteren Schreiben vom 19.10.2021 und 14.01.2022 wies die Antragsgegnerin auf den Bestand der Urkunde vom 06.05.2003 hin und wiederholte ihre Zahlungsaufforderung sowie die Androhung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.

Mit seiner Antragsschrift vom 24.06.2022 begehrt der Antragsteller, die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Teilausfertigung der vollstreckbaren Urkunde der Stadt B. vom 06.05.2003, Az. ./., vom 11.04.2022 für unzulässig zu erklären und hat hierfür die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Er erhebt den Einwand der Verwirkung und behauptet, er habe im Jahr 2018 das Jobcenter gebeten, der Antragsgegnerin Auskunft über seine Einkommensverhältnisse zu erteilen, woraufhin ihm durch den Sachbearbeiter des Jobcenters entsprechende Erledigung zugesagt worden sei. In den Jahren danach sei er zu der Auffassung gelangt, dass eine Unterhaltsverpflichtung wegen seiner nachgewiesenen Leistungsunfähigkeit nicht mehr in Betracht komme.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie behauptet, der Antragsteller habe auf die Aufforderung zur Auskunftserteilung vom 23.08.2018 nicht reagiert, sondern lediglich im Mai 2018 und wohl erneut im Jahr 2019 aufgrund einer vorübergehenden Unterbringung von J. gegenüber der wirtschaftlichen Jugendhilfe Auskunft erteilt. Im Übrigen habe eine telefonische Rücksprache ergeben, dass sich der vom Antragsteller als Zeuge benannte Mitarbeiter des Jobcenters, Herr H., an die angebliche Auskunftserteilung nicht mehr erinnern kö...

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