Rz. 1

Zuerst muss auf Tatbestandsseite abgeklärt werden, ob es sich überhaupt um einen Rotlichtverstoß handelt. Sodann ist auf Rechtsfolgenseite zu erörtern, ob der Verstoß aufgrund einer besonderen Gefährlichkeit nach den Nummern 132.3–132.3.2 BKatV strenger zu ahnden ist. Die verschärfende Gefährdung oder Sachbeschädigung muss hierbei jeweils gerade vom Schutzzweck der Ampel erfasst gewesen sein (Pflichtwidrigkeitszusammenhang).[1] Bei einer länger als 1 s andauernden Rotphase ordnet der Bußgeldkatalog nämlich regelmäßig ein einmonatiges Fahrverbot an, ebenso beim Überfahren einer kürzeren Rotphase, wenn eine Gefährdung oder eine Sachbeschädigung hinzukommen. Für den Mandanten zählt hier also sprichwörtlich jede Sekunde.

 

Rz. 2

§ 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO besagt bei Rot: "Halt vor der Kreuzung". Es liegt also kein Rotlichtverstoß vor, wenn der Betroffene noch vor dem eigentlichen Schutzbereich zum Stehen kommt.[2] Dies ist regelmäßig die Straßenflucht oder aber eine davor mitgesicherte Fußgängerfurt bzw. ein Fahrradweg. Der Schutzbereich ist jeweils im konkreten Einzelfall zu bestimmen.[3] Bleibt der Betroffene bei Rot vor dem Schutzbereich stehen, kommt allenfalls ein Verstoß gegen § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO i.V.m. § 24 StVG in Betracht.[4]

 

Rz. 3

 

Praxistipp

Sofern die Überwachungskamera nur ein einziges Foto dokumentiert, besagt dies lediglich, dass die Haltelinie überfahren wurde. Ohne weitere Anhaltspunkte wird kaum widerlegbar sein, dass der Betroffene noch vor dem geschützten Kreuzungsbereich angehalten hat.[5]

 

Rz. 4

Entscheidend für die Berechnung der Rotlichtzeit ist der Zeitpunkt, in dem der Kraftfahrer in den von der Ampel gesicherten Bereich einfährt.[6] Die herrschende Meinung stellt hier auf das Überfahren der Haltelinie ab.[7] Nur, wenn es keine Haltelinie gibt, soll es auf die Fluchtlinien der Kreuzung bzw. auf eine gegebenenfalls bestehende Fußgängerfurt ankommen.[8]

 

Rz. 5

 

Praxistipp

Der Verteidiger hat folglich zunächst den Schutzbereich der Lichtzeichenanlage unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten zu bestimmen (Fußgängerfurt, Fahrradweg, Abbiegespuren etc.).
Sodann muss geprüft werden, ob dieser Bereich überfahren wurde und somit ein Rotlichtverstoß tatbestandlich erfüllt ist.
Schließlich ist für die Frage des qualifizierten Rotlichtverstoßes dann auf das Überfahren der Haltelinie abzustellen. Fehlt ein solches, kommt es wiederum nur auf das Einfahren in den Schutzbereich an.[9]
Die erste Induktionsschleife ist fast immer nach der Haltelinie eingelassen. Entsprechend weist das erste Messbild nicht den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie aus. Die Zeitspanne zwischen dem Überfahren der Haltelinie bis zum Überfahren der ersten Induktionsschleife ist damit zugunsten des Betroffenen in Abzug zu bringen – was von Behörden und Gerichten zuweilen übersehen wird.[10]
 

Rz. 6

Häufig beschleunigen Fahrzeugführer bei Gelblicht, um noch vor der Rotphase über die Kreuzung zu kommen. Deshalb kann bei der Berechnung des Rotlichtverstoßes (Rückrechnung an die Haltelinie) nicht immer von einer Durchschnittsgeschwindigkeit bzw. einer gleichbleibenden Geschwindigkeit ausgegangen werden. Wenn der Betroffene innerhalb der Messstrecke beschleunigt, dann ist beim Verlassen des Kreuzungsbereichs die Geschwindigkeit höher als die errechnete Durchschnittsgeschwindigkeit; die Entfernung zur Haltelinie im Moment des Umschaltens auf Rot ist also kürzer als vorgeworfen. Hieraus ergibt sich wiederum, dass auch die errechnete Dauer der Rotphase beim Passieren der Haltlinie kürzer gewesen sein muss. Die Zugrundelegung der Durchschnittsgeschwindigkeit des Fahrzeugs für die Wegstrecke zwischen Haltelinie und Induktionsschleife wirkt sich also häufig zuungunsten des Betroffenen aus. Dies muss entsprechend zugunsten des Betroffenen mit einem weiteren Abzug kompensiert werden.[11] Zu bedenken ist bei entsprechendem Vortrag, dass das Gericht aufgrund des Beschleunigens auch wegen Vorsatzes verurteilen kann.[12]

 

Rz. 7

Im innerörtlichen Verkehr ist laut den VwV-StVO zu § 37 unter normalen Fahrbedingungen davon auszugehen, dass ein Fahrer bei Gelblicht entweder rechtzeitig durchfahren oder abbremsen kann.[13] Fraglich ist also auch, ob dem Rotlichtverstoß im konkreten Einzelfall eine ausreichende Gelbphase vorangegangen war.

 

Rz. 8

Entsprechend der Konstellation bei Geschwindigkeitsüberschreitung und standardisiertem Messverfahren stellen nunmehr die meisten OLG bei einfachen Rotlichtverstößen innerorts für die notwendigen Feststellungen im Urteil geringe Anforderungen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist hier von der üblichen Gelbphase von drei Sekunden auszugehen.[14] Der Betroffene darf darauf vertrauen, dass die Gelbphase die übliche Zeit andauert. Eine tatsächlich kürzere Gelbphase kann ein Fahrverbot entfallen lassen – die Verwaltungsvorschriften wirken sich hier durch den Gleichbehandlungsgrundsatz mittelbar aus.[15]

 

Rz. 9

 

Praxistipp

Vorsicht bei der Beschränkung eines qualifizierten Rotlichtvers...

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