Rz. 28

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann aber auch dann entbehrlich werden, wenn der Rechtsanwalt geltend machen kann, dass er die Rechtshandlung rechtzeitig vorgenommen hat.[58] Rechtzeitig ist die Rechtshandlung, wenn sie innerhalb der Frist zur Kenntnis des Gerichts gelangt. Der BGH hat sich dabei genötigt gesehen, die Frage zu entscheiden, dass der auf das Fristende folgende Tag um 0.00 Uhr beginnt.[59]

 

Rz. 29

Regelmäßig kommt hier die Rüge in Betracht, dass der maßgebliche Schriftsatz vor Mitternacht in den Gerichtsbriefkasten – Nachtbriefkasten – eingeworfen wurde, gleichwohl der Schriftsatz aber mit dem Eingangsstempel des nachfolgenden Tages versehen wurde.

 

Rz. 30

Auch hier ist der Rechtsanwalt verpflichtet, den vollen Beweis für den rechtzeitigen Zugang zu erbringen. Dabei erbringt der gerichtliche Eingangsstempel zunächst den Nachweis für den tatsächlichen Eingang des Schriftsatzes und den Zeitpunkt. Der Rechtsanwalt kann jedoch den Gegenbeweis führen.[60] Dabei war bisher anerkannt, dass das erkennende Gericht im Freibeweis entscheiden kann.[61] Ob dies auch noch unter der Anwendung des neuen § 284 ZPO der Fall ist, kann streitig sein, weil dieser den Freibeweis von der Zustimmung des Gegners abhängig macht.[62]

 

Rz. 31

 

Praxistipp

Ist der Einwurf rechtzeitig vor Fristablauf durch eine Büroangestellte erfolgt, so kann diese als Zeugin benannt werden. Diesem Beweisangebot hat das Gericht nachzugehen.[63] Da der Rechtsanwalt keinen Einblick in die gerichtsinternen Organisationsvorgänge hat, bedarf es keines weiteren Nachweises, ob und warum die Nachtbriefkastenanlage des Gerichts keine zutreffende Trennung der Posteingänge um Mitternacht vorgenommen hat. Insoweit dürfen nämlich an den Rechtsanwalt keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.[64] Es ist die Sache des Gerichts, hier die zur Klärung des Sachverhalts notwendigen Maßnahmen zu ergreifen,[65] insbesondere dienstliche Stellungnahmen der handelnden Beamten einzuholen.[66]

 

Rz. 32

Auch hier gilt, dass der Rechtsanwalt zur Vermeidung von Rechtsnachteilen jedenfalls hilfsweise auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen muss. Dies ist nicht nur zulässig,[67] sondern auch geboten.

 

Rz. 33

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt lediglich bei der Versäumung einer der genannten Fristen in Betracht. Wurde die Frist durch tatsächliche Umstände allein verkürzt – etwa weil der Mandant die ersten drei Wochen der Berufungsfrist verreist war –, ohne dass die Vornahme der Handlung damit objektiv und subjektiv unmöglich wurde, so kann eine gesetzlich nicht vorgesehene Fristverlängerung auch über die §§ 233 ff. ZPO nicht erreicht werden.[68] Ist allerdings ein Schriftsatz unverschuldet erst am letzten Tag der Frist zur Kenntnis gekommen, so kann bei schwieriger Sach- und Rechtslage ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben sein.[69] In diesem Fall fehlt es an der objektiven oder subjektiven Möglichkeit der rechtzeitigen Vornahme der fristwahrenden Prozesshandlung. In diesem Fall beginnt die Wiedereinsetzungsfrist aber bereits mit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von dem Schriftstück, d.h. bereits vor dem Fristablauf.

 

Rz. 34

 

Hinweis

Für die Frage der Fristversäumung ist der Wandel der Rechtsprechung für den Zugang eines per Telefax übersandten Schreibens beachtlich. War bisher auf den Ausdruck des übersandten Schreibens abzustellen[70] hat der BGH sich im Jahre 2006 hiervon abgewandt. Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind.[71]

[58] Muster unter Rdn 194.
[59] BGH NJW 2003, 3487; 2005, 678 = FamRZ 2005, 266.
[60] BGH NJW 2000, 2280; 2000, 1872.
[61] BGH NJW-RR 2002, 1070; MDR 1998, 57.
[62] Siehe insgesamt zur Beweislastverteilung oben Rdn 11.
[63] BGH NJW 2003, 2460; BRAK-Mitt 2005, 233.
[64] BGH NJW 1997, 1312.
[66] BSG, Beschl. v.09. 03.2011 – B 4 AS 60/10 BH –, juris.
[67] BGH NJW 2000, 2280; OLG Köln, Beschl, v. 18.9.2008 – 11 U 147/08 –, juris.
[68] BGH NJW 1976, 626; MDR 2009, 644 f.; Zöller/Greger, § 233 Rn 9.
[69] OLG Bamberg MDR 1996, 199.
[70] So noch BGH NJW 1994, 2097 und sodann in st. Rspr.
[71] BGH NJW 2006, 2263 = Prozessrecht aktiv 2006, 159; OLG Koblenz, Beschl. v. 15.4.2013 – 12 U 1437/12 –, juris.

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