Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags, wenn die Partei behauptet, der fristwahrende Schriftsatz sei rechtzeitig vor Fristablauf in den Nachtbriefkasten des Gerichts geworfen worden

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Antragsfrist, wenn die Partei in erster Linie geltend macht, die Rechtsmittelschrift fristgemäß in den Nachbriefkasten des Gerichts geworfen zu haben.

 

Normenkette

ZPO §§ 233-234

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.12.2005; Aktenzeichen 4 U 69/05)

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 11.03.2005; Aktenzeichen 4 O 352/04)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des OLG Frankfurt - 4. Zivilsenat - vom 7.12.2005 aufgehoben.

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Limburg a. d. Lahn vom 11.3.2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung sowie über die Kosten des Revisionsrechtszugs an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Die Klägerin nimmt den beklagten Notar auf Schadensersatz i.H.v. 366.300 EUR in Anspruch. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Urteil ist dem Beklagten am 17.3.2005 zugestellt worden. Hiergegen hat er unter dem 18.4.2005 Berufung eingelegt. Der Schriftsatz trägt den Eingangsstempel "Nachtbriefkasten" der Justizbehörden Frankfurt/M. vom 19.4.2005. Nach Hinweis auf das Eingangsdatum hat der Beklagte am selben Tage vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt und erneut Berufung eingelegt. Er hat, gestützt auf eidesstattliche Versicherungen seines Prozessbevollmächtigten und dessen Angestellter R., vorgetragen, die bei dem Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notargehilfin R. habe die Berufungsschrift bereits am 18.4.2005 gegen 18.00 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfen. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

[2] Die Revision hat Erfolg.

I.

[3] Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Berufungsfrist versäumt. Die Berufungsschrift hätte bis zum Montag, dem 18.4.2005, bei Gericht eingehen müssen. Eine fristgerechte Einlegung habe der Beklagte jedoch nicht bewiesen. Der Eingangsstempel weise den 19.4.2005 als Tag des Eingangs aus. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der gem. § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis auch unter Berücksichtigung der die Darstellung des Beklagten bestätigenden Aussage der Zeugin R. nicht geführt. Der Wiedereinsetzungsantrag enthalte keine zusätzlichen Tatsachen und sei deswegen unzulässig, mindestens aber unbegründet. Es sei nach der Beweisaufnahme nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte alles getan habe, um von einem ordnungsgemäßen Eingang der Rechtsmittelschrift ausgehen zu können.

II.

[4] Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

[5] 1. Ohne Erfolg wendet sich allerdings die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, dass die Berufungsschrift noch vor Ablauf der Berufungsfrist am 18.4.2005 bei Gericht eingegangen sei, nicht geführt. Der Eingangsstempel vom 19.4.2005 erbringt, wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgeht, gem. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für einen (verspäteten) Einwurf des Schriftsatzes in den Nachtbriefkasten der Justizbehörden erst an diesem Tage. Der Beweis einer Unrichtigkeit der darin bezeugten Tatsachen - zur vollen Überzeugung des Gerichts - ist zwar zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO), und hieran dürfen nach ständiger Rechtsprechung auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. etwa BGH, Urt. v. 14.10.2004 - VII ZR 33/04, BGHReport 2005, 264 = MDR 2005, 287 = NJW-RR 2005, 75; Senatsbeschluss v. 15.9.2005 - III ZB 81/04, BGHReport 2005, 1612 = MDR 2006, 286 = NJW 2005, 3501). Gleichwohl ist es auch bei vollständiger Überprüfung durch den erkennenden Senat nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht sich durch die als in jeder Hinsicht glaubhaft angesehene Aussage der für die Leerung des Nachtbriefkastens und die Führung der Fristenbücher zuständigen Justizangestellten, der Zeugin L., gehindert sieht, den gleichfalls als glaubhaft bezeichneten Angaben der Zeugin R. zu folgen, und - ohne es ausdrücklich zu sagen - auch den vom Beklagten vorgetragenen Indizien einschließlich des von der Zeugin R. nachträglich gefertigten Aktenvermerks keine ausschlaggebende Bedeutung beimisst. Zu einer weiteren Sachaufklärung war das Berufungsgericht nicht verpflichtet. Das vom Beklagten für denkbare Fehlerquellen beantragte Sachverständigengutachten konnte angesichts dessen, dass auf der Grundlage der Aussage der Zeugin L. eine Fehlfunktion des Nachbriefkastens nicht festzustellen war, allenfalls eine trotzdem gegebene Möglichkeit technischer Fehler aufzeigen, ohne dass damit indes eine sichere Erkenntnis über die Funktionsweise des Briefkastens während der maßgebenden Zeiträume verbunden gewesen wäre.

[6] 2. a) Von Rechtsirrtum beeinflusst ist demgegenüber die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten könne wegen des Fristversäumnisses auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (§ 233 ZPO). In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass eine Partei die Rechtzeitigkeit ihrer Prozesshandlung behaupten und zugleich für den Fall, dass sie zur Beweisführung nicht in der Lage ist, hilfsweise Wiedereinsetzung beantragen kann (Beschl. v. 27.11.1996 - XII ZB 117/96 - NJW 1997, 1312, 1313; Beschl. v. 16.3.2000 - VII ZB 36/99, MDR 2000, 844 = NJW 2000, 2280; Urt. v. 30.3.2000 - IX ZR 251/99, MDR 2000, 899 = NJW 2000, 1872, 1873; Beschl. v. 27.2.2002 - I ZB 23/01 - NJW-RR 2002, 1070 f.). Ein solcher Antrag muss zwar grundsätzlich die Angabe der eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten (§ 236 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 1 ZPO). Die Antragsfrist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO aber erst mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Davon kann hier erst dann ausgegangen werden, als dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten aufgrund der ihm am 19.5.2005 zugestellten Stellungnahme der Briefannahmestelle erstmals begründete Zweifel an der Richtigkeit der von seiner Angestellten geschilderten Sachdarstellung kommen mussten.

[7] b) Nach diesen Maßstäben ist der vom Beklagten gestellte Wiedereinsetzungsantrag zulässig und begründet. Der Beklagte hatte bereits in seinem Wiedereinsetzungsgesuch vom 22.4.2005 durch Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin R. geltend gemacht, nach Unterzeichnung der Berufungsschrift habe diese das Büro am 18.4.2005 gegen 17.45 Uhr verlassen und den Briefumschlag kurz nach 18.00 Uhr in den Nachbriefkasten eingeworfen. Mit Schriftsatz vom 1.6.2005, bei Gericht eingegangen am selben Tage, hat er dieses Vorbringen wiederholt und dahin ergänzt, im vorliegenden Fall sei die Berufungsschrift wegen später Freigabe durch die Haftpflichtversicherung nicht mit der üblichen Gerichtspost eingereicht worden, sondern die Sekretärin seines Prozessbevollmächtigten habe sich bereit erklärt, den am Nachmittag des 18.4.2005 gefertigten Schriftsatz nach Dienstschluss in den Fristenbriefkasten einzuwerfen. Der Prozessbevollmächtigte könne sich auch selbst daran erinnern, dass sich seine Sekretärin zwischen 17.30 Uhr und 17.45 Uhr verabschiedet und das Büro mit dem Briefumschlag in der Hand verlassen habe. Dies hat er zusätzlich durch eine eigene eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts sowie durch eine Vorlage des Telefax-Schreibens der Versicherung vom 18.4.2005 glaubhaft gemacht. Der Senat hat keine Bedenken, dem - soweit es sich um die dafür maßgebenden Geschehnisse vor 18.00 Uhr handelt - zu folgen. Dann aber lässt sich ein Schuldvorwurf gegen den Prozessbevollmächtigten des Beklagten, der seiner Fachangestellten lediglich einen einfachen und im Ausgangspunkt zudem überwachten Botendienst übertragen hat, schlechterdings nicht erheben. Ein Verschulden allein der Zeugin R. bei der Beförderung des Briefs oder bei dessen Einwurf in den Briefkasten wäre aber dem Beklagten nicht anzulasten (§ 85 Abs. 2 ZPO).

[8] Infolgedessen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, dem Beklagten Wiedereinsetzung zu erteilen und die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1643661

NJW 2007, 603

BGHR 2007, 128

GI 2007, 80

JurBüro 2007, 168

AnwBl 2007, 235

MDR 2007, 540

Mitt. 2007, 186

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