Rz. 211

Eine Patientenverfügung soll dem Willen des Verfügenden im Hinblick auf eine medizinische Behandlung oder Nichtbehandlung für den Fall Ausdruck verleihen, dass der Verfügende seine Behandlungswünsche aufgrund seiner physischen und psychischen Situation nicht mehr äußern kann. Sie ist ebenso wie die Vorsorgevollmacht Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts.

 

Rz. 212

Mit dem am 1.9.2009 in Kraft getretenen Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (siehe Rdn 4) wurde die Patientenverfügung in § 1901a BGB a.F. kodifiziert und dann zum 1.11.2013 um § 630d BGB a.F. ergänzt. Anknüpfend an die schon bisher geltende, durch richterliche Rechtsfortbildung geprägte Rechtslage haben Patientenverfügungen in Deutschland eine rechtliche Verbindlichkeit und müssen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung beachtet werden, § 630d Abs. 1 BGB.[282] Betreuungsgerichte sollen nur im Konfliktfall zwischen dem Arzt einerseits und dem Betreuer bzw. dem Bevollmächtigten andererseits eingeschaltet werden.

Zum 22.7.2017 wurde der Vorschrift des § 1901a BGB a.F. ein neuer Abs. 4 hinzugefügt, wonach der Betreuer gehalten ist, den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und ihn auf entsprechenden Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung zu unterstützen.[283]

 

Rz. 213

Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wurde zum 1.1.2023 die Regelung der Patientenverfügung zwar nicht geändert, jedoch ist diese nunmehr in §§ 1827, 1828 BGB (§§ 1901a, b BGB a.F.) zu finden. Der Verweis von § 630d BGB auf die Patientenverfügung bleibt bestehen.

Neu ist, dass die Patientenverfügung isoliert von einer Vorsorgevollmacht gem. § 78a Abs. 1 BNotO und § 9 VRegV in dem Zentralen Vorsorgeregister eingetragen werden kann, so dass ein Arzt, welcher nunmehr gem. § 6 VRegV das Zentrale Vorsorgeregister einsehen kann, von der Existenz einer Patientenverfügung Kenntnis nehmen kann. Die Einsichtnahme ist jedoch nicht verpflichtend. Kritisiert wird, dass nur die Existenz der Patientenverfügung vermerkt wird, nicht jedoch sie selbst oder in elektronischer Form als Kopie.[284]

Die Patientenverfügung geht gem. § 1358 Abs. 6 BGB dem Ehegattenvertretungsrecht vor.

 

Rz. 214

Im Gegensatz zu einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung wendet sich die Patientenverfügung direkt an den behandelnden Arzt und das Pflegepersonal. Sie muss aber auch von einem Betreuer, Bevollmächtigten oder Ehegatten im Rahmen der von diesem zu treffenden Entscheidung berücksichtigt werden. Eine Kombination mit einer Betreuungsverfügung oder einer Vorsorgevollmacht ist daher sinnvoll.

 

Rz. 215

Sinn und Zweck einer Patientenverfügung ist es, den Patientenwillen ausdrücklich zu erklären, damit dieser für Adressaten immer dann dokumentiert vorliegt, wenn der Patient selbst zu einer Äußerung außerstande ist.

 

Rz. 216

Eine Patientenverfügung unterliegt immer einer obersten Grenze: Eine Anweisung zu einer gezielten Lebensverkürzung, also zu einer aktiven Sterbehilfe,[285] hätte strafrechtliche Konsequenzen für diejenigen, die diese befolgen (siehe Rdn 241 f.). Es versteht sich daher von selbst, eine dahin lautende Anweisung nicht zu erteilen (vgl. jedoch Rdn 242 betreffend des Urteils des BVerfG in Bezug auf die Suizidsassistenz vom 26.2.2020).

 

Rz. 217

Der Hintergrund für den Wunsch eines Mandanten, eine Patientenverfügung zu erstellen, dürfte aber weniger vor der Extremsituation "lebensbeendende Maßnahmen" zu sehen sein. Vielmehr stecken hinter dem Wunsch nach einer Patientenverfügung oftmals die Angst vor einer nicht mehr überschaubaren Apparatemedizin und die Angst davor, allein in der Anonymität eines Krankenhauses sterben zu müssen. Hier kann die Palliativmedizin helfen, also eine psychosoziale Betreuung des Patienten in Kombination mit einer Schmerztherapie. Diese ist als indirekte (passive) Sterbehilfe zulässig, auch wenn hierdurch das Risiko der Lebensverkürzung besteht.[286] Denn kann sich der Patient dahin gehend versichern, in einem menschenwürdigen Umfeld behandelt und betreut zu werden, wird sich sein Patientenwunsch darauf beziehen und nicht auf die Frage einer zulässigen Sterbehilfe fokussieren.

[282] Vgl. auch die Empfehlung der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis vom 19.8.2013, Deutsches Ärzteblatt (DÄ) 2013, A 1580 und notar 2014, 115 ff.
[283] Grundlage ist das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17.7.2017 (BGBl I, 2426).
[284] Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht, § 8 Rn 5.
[285] Vertiefend zur Sterbehilfe siehe Jurgeleit, NJW 2015, 2708.
[286] Grüneberg/Götz, § 1827 Rn 19.

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