Rz. 131

Insbesondere im erbrechtlichen Mandat stellt sich in der Praxis häufig die Frage, ob bei mehreren Auftraggebern die anwaltliche Tätigkeit dieselbe Angelegenheit umfasst. Der Rechtsanwalt wird in vielen Fällen mit der Geltendmachung von Ansprüchen mehrerer Mandanten (Eheleuten, Miterben einer Erbengemeinschaft, Vermächtnisnehmern oder mehreren Pflichtteilsberechtigten) beauftragt. Damit der Rechtsanwalt im Erbrecht den Mehrvertretungszuschlag geltend machen kann, ist für ihn entscheidend, dass er:[285]

mehrere Auftraggeber vertritt und
diese Vertretung in derselben Angelegenheit wegen desselben Gegenstands erfolgt.
 

Rz. 132

Kann der Rechtsanwalt die erste Frage in den meisten Fällen relativ leicht beantworten, muss er bei der zweiten Frage bei der Vertretung mehrerer Mandanten danach unterscheiden, ob eine Gegenstandsgleichheit oder eine Gegenstandsverschiedenheit vorliegt.

[285] Vgl. Kerscher/Krug/Spanke/Seiler-Schopp, § 5 Rn 21.

1. Gegenstandsgleichheit

 

Rz. 133

Eine Gegenstandsgleichheit liegt in den Fällen vor, in denen der Auftraggeber nur notwendigerweise gemeinsam mit anderen etwas verlangen kann oder für etwas einzustehen hat.[286] Eine Gegenstandsgleichheit, die zu einer Erhöhung im Sinne von § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV RVG führt, liegt im Erbrecht vor,[287]

wenn mehrere in einem Erbschein als Erben benannte Erben sich dagegen zur Wehr setzen, dass der auf sie lautende Erbschein eingezogen werden soll,[288]
wenn eine Erbengemeinschaft beim Nachlassgericht einen einheitlichen Erbschein für diese beantragt,[289]
wenn die Erbengemeinschaft gemeinsam Kostenerstattungsansprüche geltend macht,[290]
wenn sich die Erbengemeinschaft bei der Klage auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung von nur einem Miterben vertreten lässt, da in diesem Fall alle Mitglieder der Erbengemeinschaft Auftraggeber des Rechtsanwalts sind[291] und
wenn der dem Rechtsanwalt vom Erblasser erteilte Auftrag auf eine Erbengemeinschaft übergeht.[292]
 

Rz. 134

Der Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV RVG kann damit gerechtfertigt werden, dass der Rechtsanwalt mit dem Übergang auf die Erbengemeinschaft mehrere Auftraggeber vertritt, auch wenn die Miterben bloß in die Rechtsposition des Erblassers eintreten, ohne dass der Auftrag durch die Erbengemeinschaft neu erteilt wird[293] (zur strittigen Rechtsfrage, ob der Rechtsanwalt den Mehrvertretungszuschlag beim Übergang auf die Erbgemeinschaft verlangen kann[294]).

 

Beispiel

Der E hat gegen M eine Forderung in Höhe von 100.000 EUR. Er hat den Rechtsanwalt R mit der gerichtlichen Durchsetzung seines Anspruchs beauftragt. Nach dem plötzlichen Tod des E treten seine beiden Söhne A und B an dessen Stelle. Wie hoch ist die gesetzliche Vergütung des R bei Obsiegen nach dem RVG?

Durch den Tod des E sind seine beiden Söhne in das Auftragsverhältnis mit R eingetreten mit der Folge, dass der R nach umstrittener Ansicht nun mehrere Auftraggeber vertritt. Die Vertretung der Erbengemeinschaft von A und B hat zur Folge, dass hier im Rahmen der Gegenstandsgleichheit eine Gebührenerhöhung um 0,3 nach § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV RVG in Betracht kommt. Bei der Vergütungsabrechnung, in der eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG in Betracht kommt, muss § 7 Abs. 2 RVG berücksichtigt werden. Nach § 7 Abs. 2 S. 1 RVG schuldet jeder der Auftraggeber die Gebühren und Auslagen, die er schulden würde, wenn der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden wäre. Diese Abrechnung wird durch § 7 Abs. 2 S. 2 RVG dahingehend beschränkt, dass der Rechtsanwalt nicht mehr als die nach § 7 Abs. 1 RVG berechneten Gebühren und die insgesamt entstandenen Auslagen fordern kann. Das bedeutet für das Beispiel, dass zunächst die Gebühren berechnet werden, die der Rechtsanwalt gegenüber dem einzelnen Auftraggeber geltend machen kann, bevor die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG berücksichtigt werden kann.

1. Berechnung der einzelnen Gebühren für A und B (RVG-Werte ab dem 1.1.2021):

 
Gegenstandswert 100.000,00 EUR
1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) 2.151,50 EUR
1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) 1.986,00 EUR
Auslagenpauschale 20,00 EUR
Umsatzsteuer 19 % (Nr. 7008 VV RVG) 789,93 EUR
Jeweilige Vergütungssumme 4.947,43 EUR

2. Berechnung der Gebühren unter Berücksichtigung der Gebührenerhöhung (RVG-Werte ab dem 1.1.2021):

 
Gegenstandswert 100.000,00 EUR
1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) 2.151,50 EUR
1,2 Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) 1.986,00 EUR
0,3 Erhöhungsgebühr (Nr. 1008 VV RVG) 496,50 EUR
Auslagenpauschale 20,00 EUR
Umsatzsteuer 19 % (Nr. 7008 VV RVG) 884,26 EUR
Vergütungssumme 5.538,26 EUR

Im Ergebnis kann Rechtsanwalt R zunächst von A und B jeweils eine Vergütung in Höhe von 4.947,43 EUR nach § 7 Abs. 2 S. 1 RVG verlangen. Die Vergütung von insgesamt 8.894,86 EUR wird aber durch § 7 Abs. 2 S. 2 RVG auf die um 0,3 erhöhten Gebühren von 5.538,26 EUR beschränkt. R kann daher von A und B nicht mehr als 5.538,26 EUR als Vergütung verlangen. Zur Frage, wie die Rechnung bei mehreren Auftraggebern auszusehen hat, vgl. § 4 Rdn 71 ff.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge