Rz. 314

Trotz des grundsätzlich bestehenden verfassungsrechtlichen Schutzes des Pflichtteilsberechtigten sind Situationen denkbar, in denen es dem Erblasser schlichtweg nicht zugemutet werden kann, dass dem Pflichtteilsberechtigten eine Mindestteilhabe am Vermögen zusteht. Voraussetzung hierfür ist, dass das familiäre Näheverhältnis zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem nicht nur nachhaltig gestört ist, sondern grob verletzt wurde.[902] Die Gründe, die eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigen können, zählt das Gesetz in den §§ 2333 ff. BGB abschließend auf. Eine entsprechende oder analoge Anwendung auf ähnliche Fälle ist ausgeschlossen.[903]

Gemäß § 2333 Abs. 2 BGB sind die Gründe des Abs. 1 auf die Entziehung des Eltern- oder Ehegattenpflichtteils entsprechend anwendbar.

 

Rz. 315

Der Katalog der Entziehungsgründe in § 2333 Abs. 1 BGB ist abschließend. Gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist eine Pflichtteilsentziehung möglich im Fall der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr ohne Bewährung, wenn hierdurch die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass des Erblassers für diesen unzumutbar ist. Das Gleiche gilt, wenn die Unterbringung des Pflichtteilsberechtigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat angeordnet wurde. Gemeinsam ist allen Pflichtteilsentziehungsgründen, dass sie ein Verschulden des Pflichtteilsberechtigten und damit grundsätzlich seine Zurechnungsfähigkeit voraussetzen.[904] Insoweit hat allerdings das BVerfG klargestellt, dass nicht der strafrechtliche Verschuldensbegriff maßgeblich ist, sondern die Feststellung, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Entziehungsgrund mit "natürlichem Vorsatz" verwirklicht habe, ausreichen muss.[905]

 

Rz. 316

 

Praxishinweis

Nichtsdestotrotz ist die praktische Relevanz der Pflichtteilsentziehung äußerst eingeschränkt. Dies umso mehr, als – nach wie vor – stets der zur Entziehung des Pflichtteils berechtigende Sachverhalt wenigstens in seinen wesentlichen Grundzügen in der letztwilligen Verfügung angegeben werden muss[906] und der entsprechende Sachverhalt dem Pflichtteilsberechtigten auch nicht verziehen sein darf.

[902] Damrau/Tanck/Riedel, PK Erbrecht, Vor § 2333 Rn 2.
[903] BGH NJW 1974, 1084; BGH NJW 1977, 339.
[904] OLG Düsseldorf NJW 1968, 944; Staudinger/v. Olshausen, § 2333 Rn 4.
[905] BVerfG ZErb 2005, 169 m. Anm. Lange, ZErb 2005, 205.
[906] BGH NJW 1964, 549; BGH NJW 1985, 1554; OLG Hamm ZEV 2008, 33; Lange, ZErb 2008, 59, 61.

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