Rz. 238

Konkrete Anhaltspunkte zu einer Weiterentwicklung des Kündigungsschutzes des GmbH-Geschäftsführers gibt es sowohl vom EuGH als auch vom BAG:

Aufgrund der Danosa-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, juris) ist zunächst davon auszugehen, dass alle auf Unionrecht basierenden Arbeitnehmerschutzvorschriften Anwendung finden (s. zu den Einzelheiten nachfolgend Rdn 241). Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, dass darüber hinaus – ggf. mit Modifikationen (s. oben Rdn 166) – auch der materielle Kündigungsschutz für persönlich abhängige Fremd-GF und Minderheitsgesellschafter-GF zur Anwendung kommt. In diese Richtung zeigt die konsequente Weiterführung der EuGH-Rspr. in der Balkya-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, juris Balkya) sowie der Holtermann-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14, juris Holtermann).

 

Rz. 239

Auch das BAG (vgl. BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34) deutet an, dass es sich mit der Frage des Kündigungsschutzes des GmbH-Geschäftsführers intensiver beschäftigen könnte. Diese mögliche Intention des BAG ist recht versteckt in einer Entscheidung des BAG zu finden, die in dem nachfolgenden Hinweis wörtlich aufgeführt ist und wie folgt lautet:

 

Hinweis: Obiter dictum des BAG zur vielleicht nicht wirksamen Kündigung des GmbH – Geschäftsführers bei "Nichtvorliegen eines Kündigungsgrundes"

Im Urteil vom 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34 S. 4 führt der 2. Senat des BAG bemerkenswerterweise Folgendes aus (Hervorhebungen des Verfassers):

Zitat

…Ob die ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers einer GmbH mit Rücksicht auf seine Vertrauensstellung als organschaftlichen Vertreter der Gesellschaft mit Unternehmerfunktion – sofern ihre formellen Voraussetzungen erfüllt sind – auch dann wirksam ist, wenn sie sich auf keinen anderen Grund als den Willen des kündigungsberechtigten Organs stützen kann (vgl. BGH 3. November 2003 – II ZR 158/01 – zu II der Gründe), bedarf deshalb hier keiner Entscheidung

(vgl. BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34 S. 4).

Daraus lässt sich folgern, dass das BAG zukünftig, soweit diesbezügliche Fälle zum Kündigungsschutz von GmbH-Geschäftsführern zur Entscheidung anstehen sollten, die unter die Zuständigkeit des BAG fallen, die Thematik mit neuen Akzenten versehen könnte. Die Frage wird sein, wie diese Akzente aussehen könnten.

 

Rz. 240

M.E. könnte dies über den Weg erfolgen, dass § 14 Abs. 1 S. 1 KSchG europarechtskonform so auszulegen ist, dass darunter nur Mehrheitsgesellschafter-GF und nicht persönlich abhängige Geschäftsführer fallen, also nur "echte GF" vom Kündigungsschutz ausgeschlossen sind. Persönlich abhängige Geschäftsführer, die am Maßstab der tatsächlichen Gegebenheiten gemessen vielfach keine wirklichen GF-Befugnisse oder sogar weniger Befugnisse als Leitende haben, sind nicht weniger schutzwürdig als Leitende. Sie sind daher “eher‘ Geschäftsführer i.S.v. § 14 Abs. 2 KSchG. Damit wäre die Anwendung materiellen Kündigungsschutzes für diese spezielle Teil-Gruppe der Geschäftsführer mit persönlicher Abhängigkeit gegeben (s. auch ausführlich oben Rdn 163 ff.).

 

Rz. 241

Diese im Fluss befindliche Rechtsentwicklung könnte im Ergebnis dazu führen, dass die von der GmbH veranlasste Trennung von dem Geschäftsführer unter besonderer Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlichen Organstellung zwar unter erleichterten Voraussetzungen, aber – ähnlich wie beim Leitenden – zukünftig vielfach nur mit einer Abfindung möglich ist. Diese Entwicklung wäre nicht per se unbillig. Denn es ist zwar dem BGH zuzustimmen, dass der Geschäftsführer die Arbeitgeberrolle im Unternehmen ausübt, dies sagt aber nichts über seine eigene Weisungsabhängigkeit gegenüber seinem Arbeitgeber‘, d.h. gegenüber der Gesellschafterversammlung bzw. – im Konzern – ggü der Geschäftsführung oder dem Vorstand der Muttergesellschaft, aus. In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen die Möglichkeit des weisungsfreien Handelns des Geschäftsführers gegen Null läuft, oder auch Nicht-GF-Tätigkeiten dem Geschäftsführer zugewiesen werden bzw. nach dem Anstellungsvertrag zugewiesen werden können (vgl. auch OLG München v. 27.10.2014 – 7 W 2097/14; LAG Köln v. 11.9.2013 – 11 Ta 377/11). Bei Abgrenzungsschwierigkeiten gilt der Grundsatz der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Durchführung (vgl. unten Rdn 776 ff.).

 

Rz. 242

 

Hinweis: Der Geschäftsführer zwischen Vorstand und Leitendem

Mit Blick auf einen ausgewogenen Schutz des Fremdgeschäftsführers durch den Gesetzgeber dürfte Folgendes zu gewichten sein: Wenn unbefristete Geschäftsführerverträge – anders als Vorstandsverträge – regelmäßig keine finanzielle Absicherung als Mehrjahresverträge (Vorstände i.d.R. drei – fünf Jahre) bieten, sondern ohne Kündigungsschutz und sogar nach BAG mit den überschaubaren Fristen des § 621 BGB kündbar sein sollen, bedeutet dies, dass der Geschäftsführer letztlich weniger geschützt ist als der Leitende (§ 622 Abs. 1 u. 2 BGB, ...

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