Rz. 64

Die am weitesten reichende Besonderheit des Verfahrens vor den Amtsgerichten liegt in der Möglichkeit des Gerichts, ein Verfahren nach billigem Ermessen nach § 495a ZPO anzuordnen.

 

Rz. 65

Die Vorschrift wurde durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 eingeführt und sollte zu einer Beschleunigung des Verfahrens bei sog. Bagatellverfahren oder Sachen mit geringem Streitwert[30] und zu einer Vereinfachung des Verfahrens führen.[31] Dabei ist bereits in der Literatur umstritten, ob diese Ziele erreicht wurden bzw. erreicht werden können.[32]

 

Rz. 66

Bereits die Durchführung eines Verfahrens nach billigem Ermessen liegt dabei im freien Ermessen des Gerichts. Ein ausdrücklicher Antrag auf Durchführung des Verfahrens nach § 495a ZPO ist daher nicht unbedingt erforderlich. Das Gericht wird einen derartigen Antrag somit lediglich als Anregung auf Durchführung des Verfahrens auffassen. Daher sollte der Anwalt auch nicht die Durchführung des Verfahrens nach § 495a ZPO beantragen, sondern lediglich die Durchführung eines derartigen Verfahrens anregen.

 

Rz. 67

Die Anordnung des Verfahrens nach billigem Ermessen ist dabei in Ihrem Interesse, wenn Sie eine Beschleunigung des Verfahrens erreichen wollen, aber auch um eine Kosten- und Zeitersparnis zu erreichen.[33] Diese Kosten- und Zeitersparnis tritt insbesondere dann ein, wenn das Gericht auf die Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung vollständig verzichtet und der Anwalt daher nicht zu dem Termin anreisen muss. Dies gilt umso mehr, wenn der Gebührenstreitwert – wie im Regelfall – mit dem Zuständigkeitsstreitwert übereinstimmt und der Rechtsanwalt daher auch nur geringe Gebühren aus dem Verfahren verdienen kann.

 

Rz. 68

 

Hinweis

Sollten Sie der Meinung sein, dass trotz des geringen Streitwertes die Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat, weil z.B. eine Klausel aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer der Parteien zur Überprüfung steht oder aber eine Rechtsproblematik aus dem Mietrecht von den Gerichten unterschiedlich behandelt wird, sollten Sie darauf dringen, dass das Normalverfahren durchgeführt wird.[34]

[30] MüKo-ZPO/Deppenkemper, § 495a Rn 1.
[31] MüKo-ZPO/Deppenkemper, § 495a Rn 1.
[32] Rottleuthner, NJW 1996, 2473 ff.
[33] Siehe Muster Rdn 145.
[34] Siehe Muster Rdn 146.

1. Verfahrensvoraussetzungen

 

Rz. 69

Wie sich bereits aus der Gesetzessystematik ergibt, ist das Verfahren nach § 495a ZPO nur bei Verfahren vor dem Amtsgericht anwendbar. Im Rahmen der Zuständigkeit des Amtsgerichts ist jedoch in allen Verfahren die Möglichkeit eröffnet, das Verfahren nach § 495a ZPO zu betreiben.[35] Für familiengerichtliche Verfahren ist jedoch eine Anwendung des § 495a ZPO in Ehesachen und Familienstreitsachen ausgeschlossen, da in § 113 FamFG lediglich auf die Vorschriften über das landgerichtliche Verfahren in der ZPO verwiesen wird. Zudem gehen besondere Bestimmungen für bestimmte Verfahrensarten, z.B. des Wechselprozesses oder des Verfahrens der einstweiligen Verfügung, als lex specialis dem Verfahren nach § 495a ZPO vor.[36]

 

Rz. 70

Der Streitwert darf 600 EUR nicht überschreiten. Dabei ist vom Zuständigkeitsstreitwert und nicht vom Rechtsmittel- oder Gebührenstreitwert auszugehen.[37]

 

Rz. 71

Dies bedeutet, dass bei der Erhebung einer Widerklage das Verfahren nach § 495a ZPO weiterhin zulässig ist, wenn der Wert der Widerklage ebenfalls 600 EUR nicht übersteigt.

 

Rz. 72

Wenn der Beklagte gegen die Klageforderung mit einer Gegenforderung die Hauptaufrechnung erklärt, ist ebenfalls § 5 Hs. 2 ZPO anwendbar, sodass hier ebenso über die Zulässigkeit zu entscheiden ist wie bei einer Widerklage.

 

Rz. 73

Wenn der Beklagte nur hilfsweise eine (oder mehrere) Gegenforderungen zur Aufrechnung stellt, hat dies keinerlei Auswirkungen auf den Zuständigkeitsstreitwert und ist daher für die Zulässigkeit des Verfahrens nach § 495a ZPO unerheblich.

 

Rz. 74

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es für die Zulässigkeit des Verfahrens nach § 495a ZPO nicht darauf ankommt, ob es sich um eine vermögensrechtliche oder eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handelt.

 

Rz. 75

 

Tipp

Sollte das Gericht das Verfahren nach § 495a ZPO anordnen, ohne dass dies nach Ihrer Auffassung zulässig ist, weil der Zuständigkeitsstreitwert über 600 EUR liegt, sollten Sie zunächst unter Hinweis auf diese Problematik eine Streitwertfestsetzung beantragen.

Sollte das Gericht entgegen Ihrer Auffassung den Streitwert auf unter 600 EUR festsetzen, bleibt Ihnen die Möglichkeit der Streitwertbeschwerde.[38] Ob dies jedoch zulässig ist, wird von der Rechtsprechung zunehmend ablehnender beurteilt.[39] Als Besonderheit ist zu beachten, dass hier gerade keine Streitwertbeschwerde nach § 68 GKG vorliegt, da diese nur den Gebührenstreitwert betreffen würde. Bei der Streitwertgrenze des § 495a ZPO geht es jedoch um den Zuständigkeitsstreitwert.

[35] Zöller/Herget, § 495a Rn 4.
[36] Zöller/Herget, § 495a Rn 4; B/L/A/H/Hartmann, § 495a Rn 7.
[37] Zöller/Herget, § 495a Rn 5.
[38] Zöller/Herget, § 3 Rn 7; LG München I NJW-RR 2002, 425; sie...

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