Rz. 52

Familienstreitsachen im Sinne von § 112 FamFG sind originäre FamFG-Verfahren. Das einschlägige Verfahrensgesetz für sämtliche Familiensachen ist zunächst nicht die ZPO, sondern das FamFG, da im FamFG das familiengerichtliche Verfahren insgesamt vollständig neu kodifiziert worden ist.[71] Nach der Systematik des Gesetzes gelten das FamFG und sein in Buch 1 geregelter Allgemeiner Teil grundsätzlich auch für die Verfahren in Familiensachen, § 1 Alt. 1 FamFG. Allerdings enthält Buch 2 in Abschnitt 1 spezielle Regeln für das Verfahren in Familiensachen im Allgemeinen und in den Abschnitten 2 bis 12 für die einzelnen Familiensachen im Besonderen.[72] Diese speziellen Vorschriften verdrängen diejenigen des Buchs 1. Für die kontradiktatorischen Verfahren der Familienstreitsachen treten gemäß § 113 Abs. 1 S. 1, S. 2 FamFG in weitem Umfang die Vorschriften der ZPO an die Stelle der allgemeinen Vorschriften von Buch 1.

 

Rz. 53

Das FamFG geht damit regelungstechnisch im Vergleich zur früheren Rechtslage den umgekehrten Weg: Früher waren Familiensachen grundsätzlich in der ZPO geregelt, jedoch galten für die früheren sogenannten ZPO-Familiensachen gemäß §§ 606ff. ZPO aF eine Vielzahl abweichender Sonderregelungen, während für die FGG-Familiensachen grundsätzlich auf das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit verwiesen wurde, § 621a Abs. 1 S. 1 ZPO aF. Das Gemisch aus Verfahrensgrundsätzen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der ZPO und weiteren Nebengesetzen, die ebenfalls Verfahrensvorschriften enthielten, war kaum mehr zu durchschauen.[73]Brüggemann[74] sprach zutreffend von einem "Juristengesetz makaberen Grades" sowie davon, dass dem Gesetzgeber die Dinge aus dem Gleis gelaufen seien.

 

Rz. 54

Freilich enthält auch § 113 FamFG ein Konglomerat von Nichtanwendungsanordnungen für die FamFG-Vorschriften, Verweisungen auf die ZPO, Nichtanwendungsanordnungen für ZPO-Vorschriften und terminologische Vorgaben. Die Klarheit der gesetzlichen Regelung wird zusätzlich dadurch beeinträchtigt, dass § 113 Abs. 2 FamFG nur für Familienstreitsachen und § 113 Abs. 4 FamFG nur für Ehesachen gilt, während § 113 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 FamFG auf Ehesachen und Familienstreitsachen Anwendung finden. Die von den Gesetzgebern ausdrücklich verfolgten Reformziele eines anwenderfreundlichen Gesetzesaufbaus und einer Verfahrensordnung, die nach Inhalt, Aufbau und Sprache auch für den interessierten Laien verständlich sei,[75] werden verfehlt. Hartmann[76] spricht zu Recht von einer geradezu beängstigend unübersichtlichen Gesetzestechnik.

 

Rz. 55

Es besteht nämlich ein vielschichtiges Zusammenspiel und Ineinandergreifen von Vorschriften des FamFG und Vorschriften der ZPO:

Zunächst enthält § 113 Abs. 1 FamFG keine Verweisung auf die ZPO-Vorschriften insgesamt, sondern bloß auf einen Teil dieser Vorschriften mit der Folge, dass die Vorschriften des ersten Buchs des FamFG und die in diesem enthaltenen allgemeinen Grundsätze der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vollständig verdrängt werden. So bleiben aus dem Allgemeinen Teil die Vorschriften der §§ 38, 39 FamFG über die Entscheidung durch Beschluss mit Rechtsbehelfsbelehrung, die gesamte Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes der §§ 49 bis 57 FamFG in Abschnitt 4, das gesamte Rechtsmittelverfahren der §§ 58 bis 75 FamFG in Abschnitt 5 und auch die gesamte Regelung über Verfahren mit Auslandsbezug der §§ 97 bis 106 FamFG in Abschnitt 6 bei Familienstreitsachen anwendbar. Dass nun diese, aus dem Allgemeinen Teil anwendbaren Vorschriften, ihrerseits Verweisungen auf die ZPO enthalten, ist besonders misslich.
Weitergehend schränken die in Abschnitt 1 von Buch 2 enthaltenen allgemeinen Vorschriften über das Verfahren in Familiensachen die in § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG enthaltene Verweisung auf die ZPO ihrerseits wieder ein, so in § 113 Abs. 3, Abs. 4 FamFG, oder erweitern die Verweisung auf die ZPO, so in §§ 113 Abs. 2; 117 Abs. 1 S. 3, Abs. 2, Abs. 5; 118; 119 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; 120 Abs. 1 FamFG.
Überdies gelten besondere Vorschriften für jede einzelne Familiensache (§§ 121 ff., 231 ff., 261 ff., 266 ff., 269 f.), die als speziellere Vorschriften der Grundsatzverweisung des § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG vorgehen.[77]
[71] BT-Drucks 16/6308, S. 163; MüKo-FamFG/Fischer, § 113 Rn 1.
[72] MüKo-FamFG/Fischer, § 113 Rn 1.
[73] Siehe dazu näher MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 2.
[74] Brüggemann, FamRZ 1977, 1, 19.
[75] So BT-Drucks 16/6308, S. 164.
[76] In: Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 113 FamFG Rn 2.
[77] MüKo-FamFG/Fischer, § 113 Rn 4.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge