Rz. 108

Von größerer praktischer Bedeutung ist § 439 Abs. 3 BGB. Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung ablehnen, wenn sie für den Verkäufer mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Dies stellt eine gegenüber § 275 Abs. 2 BGB niedrigere Schwelle für die Begründung einer Einrede des Verkäufers dar, der die Darlegungs- und Beweislast trägt.[254] Zu beachten ist, dass der Verkäufer anders als der Werkunternehmer Nacherfüllung an einer Sache vorzunehmen hat, die er nicht selbst hergestellt hat, so dass für den Verkäufer die Opfergrenze niedriger anzusetzen ist.[255]

 

Rz. 109

Als Abwägungskriterien sind zu berücksichtigen:

die Höhe der Nachbesserungskosten,
der Wert der Sache im mangelfreien Zustand,
die Bedeutung des Mangels,
die Nachteile des Käufers beim Rückgriff auf die andere Art der Nacherfüllung.
 

Rz. 110

Ausgangspunkt ist nicht der Kaufpreis im Verhältnis zu den Nacherfüllungskosten,[256] sondern die für den Käufer zu erzielende Werterhöhung,[257] also der Wert der Sache im mangelfreien Zustand. Der Kaufpreis bildet keine Obergrenze.[258] Vergleichsmaßstab ist also nicht die Auswirkung der Nachbesserung auf den Gewinn des Verkäufers, sondern auf den Nutzen für den Käufer[259]

 

Rz. 111

Unverhältnismäßig hohe Kosten i.S.d. § 439 Abs. 3 BGB müssen als Einrede des Verkäufers geltend gemacht werden, der die Darlegungs- und Beweislast trägt.[260] Die Erklärung ist bedingungsfeindlich und unwiderruflich.[261] Die Einrede schlägt auch auf die Höhe eines etwaigen Schadensersatzanspruchs des Käufers (vgl. Rdn 159 ff.) durch.[262]

 

Rz. 112

Man unterscheidet zwischen relativer und absoluter Unverhältnismäßigkeit. Ob relative Unverhältnismäßigkeit vorliegt, ist aufgrund eines Vergleichs der beiden Arten der Nacherfüllung festzustellen. Die absolute Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung liegt für den Verkäufer vor, wenn beide Nacherfüllungsformen unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen.[263] Beim Verbrauchsgüterkauf (vgl. § 14 Rdn 1 ff.) kann sich der Verkäufer hierauf nicht berufen.[264] Ist eine Alternative "relativ" unverhältnismäßig, schuldet der Verkäufer nicht etwa für die verbleibende Alternative einen höheren Aufwand.[265]

[254] LG Münster DAR 2004, 226, 227.
[255] Reinking, DAR 2002, 15, 18.
[256] OLG Karlsruhe NJW-RR 2009, 777; OLG Braunschweig NJW 2003, 1053.
[258] Canaris, JZ 2004, 214.
[259] Palandt/Weidenkaff, § 439 Rn 16a.
[260] LG Münster DAR 2004, 226, 227; Lorenz, NJW 2007, 1, 5.
[261] Palandt/Weidenkaff, § 439 Rn 16.
[263] Bamberger/Roth/Faust, § 439 Rn 39 ff.
[264] BGH DAR 2012, 206; Staudinger, DAR 2012, 228.
[265] Bitter/Meidt, ZIP 2004, 2121.

aa) Relative Unverhältnismäßigkeit

 

Rz. 113

Zentrale Abwägungskriterien sind die Kosten für den Verkäufer und das Interesse des Käufers gerade an der von ihm gewählten Art der Nacherfüllung. So kann der Verkäufer trotz höherer Kosten der Nachlieferung nicht auf Nachbesserung bestehen, wenn diese zu einer erheblichen Wertminderung des Fahrzeugs führt.[266] Von der Rechtsprechung noch nicht entschieden wurde, ob auch ein Vertretenmüssen (siehe Rdn 237 f.) des Verkäufers und dessen Ausmaß für die Bewertung zu berücksichtigen ist.[267]

 

Rz. 114

Da beim Gebrauchtwagenkauf die Nachlieferung meist nicht in Betracht kommt (vgl. Rdn 78 ff.), wird sich die Frage der relativen Unverhältnismäßigkeit selten stellen. Sie wird bejaht, wenn die Kosten der gewählten Art der Nacherfüllung die Kosten der anderen, gleichwertigen Art um mehr als 10 %,[268] nach a.A. 20 %[269] oder 25 %[270] übersteigt oder je nach Verschuldensgrad auf 5 % bis 25 % abzustufen ist,[271] bei mehreren Sachmängeln auch auf 30 %.[272] Bei einem mit manipulierter Abgassoftware ausgestattetem Fahrzeug (VW-Abgasskandal) soll die Nachlieferung im Verhältnis zur Nachbesserung unabhängig vom Kostenvergleich nicht unverhältnismäßig sein.[273]

[266] LG Duisburg DAR 2012, 525.
[267] Dafür: Reinicke/Tiedtke, Rn 448; Bamberger/Roth/Faust, § 439 Rn 46; Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2121 f.; Huber/Faust, Kap. 13, Rn 40; dagegen: Henssler/Graf von Westphalen/Graf von Westphalen, § 439 Rn 27; Erman/Grunewald, § 439 Rn 14; Ball, NZV 2004, 217, 224; Kirsten, ZGS 2005, 66, 70; Reinking/Eggert, Rn 3478.
[268] Bitter/Meidt, ZIP 2001, 2114, 2122; Huber, NJW 2002, 1004, 1008.
[269] LG Ellwangen NJW 2003, 517.
[270] Henssler/Graf von Westphalen/Graf von Westphalen, § 439 Rn 27.
[271] Bamberger/Roth/Faust, § 439 Rn 47.
[272] LG Ellwangen NJW 2003, 517.
[273] LG Regensburg, Urt. v. 4.1.2007 – 7 O 967/16, zit nach juris.

bb) Absolute Unverhältnismäßigkeit

 

Rz. 115

Die Schuldrechtsreform wollte zunächst nicht dem Käufer sondern dem Verkäufer das Wahlrecht zwischen den Nacherfüllungsansprüchen gewähren.[274] Hiervon ist der Gesetzgeber abgewichen, weil für den Verbrauchsgüterkauf (Unternehmer an Verbraucher, vgl. § 14 Rdn 1 ff.) das umgekehrte Wahlrecht von der Verbrauchsgüterrichtlinie vorgeschrieben wurde und zur Vereinheitlichung dann die Regelung für alle Kaufverträge normiert wurde.

 

Rz. 116

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