Rz. 157

Keine Nachfrist muss der Käufer auch setzen, wenn ihm die Nacherfüllung unzumutbar ist (§ 440 S. 1 BGB). Das ist der Fall, wenn das Vertrauen des Käufers in eine sachgerechte Vertragserfüllung des Verkäufers nachhaltig gestört ist,[441] z.B. wenn der Verkäufer einen Mangel der Sache arglistig verschwiegen hat (vgl. Rdn 161).[442] Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben.[443] Zu berücksichtigen sind die Art und Schwere des Mangels, insbesondere der Einfluss auf die Gebrauchstauglichkeit oder die Verkehrssicherheit, Anzahl und Dauer der Werkstattaufenthalte, Mühe und Sorgfalt des Verkäufers bei der Fehlersuche sowie sonstige Begleitumstände wie die Stellung eines kostenfreien Leihfahrzeugs. Die Behauptung, nur eine näher gelegene Werkstatt habe das ständig benötigte Fahrzeug zeitnah reparieren können, begründet noch keine Unzumutbarkeit.[444]

 

Rz. 158

Schon ein einziger Nachbesserungsversuch ist dem Käufer unzumutbar, falls die Nachbesserung zu lange dauert,[445] z.B. bei einem anlassbezogenen Wohnmobilkauf für die Ferien. Es ist darauf abzustellen, ob dem Käufer die Nachbesserung statt Rücktritt, Schadensersatz oder Minderung zuzumuten ist.[446] Daran fehlt es, falls die Vertrauensgrundlage entfallen ist, z.B. durch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten wie unzulässige technische Änderungen[447] oder eine sachlich nicht gerechtfertigte Bagatellisierung des gerügten Mangels, z.B. als "Peanuts",[448] so dass die begründete Erwartung besteht, das Fahrzeug werde trotz Reparatur wiederum nicht mängelfrei sein.[449] Dies wurde vom BGH[450] bejaht zugunsten einer Privatkäuferin, die ein 13 Jahre altes Fahrzeug von einem Händler mit neuer TÜV-Plakette als "HU-neu" erwarb, obwohl es wegen erheblicher Korrosionsschäden nicht verkehrssicher war. Dagegen ist die Nachfristsetzung nicht unzumutbar, wenn das gekaufte Fahrzeug von der Polizei beschlagnahmt worden ist, und zwar mit dem Ziel, die Freigabe des Fahrzeugs herbeizuführen.[451] Bei sicherheitsrelevanten Mängeln (z.B. "Hängenbleiben" des Kupplungspedals), die nur sporadisch auftreten und beim Nachbesserungsversuch nicht reproduzierbar sind ("Vorführeffekt"), kann eine Fristsetzung zur Nachbesserung ebenfalls unzumutbar sein.[452]

 

Rz. 159

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einem "Montagsauto", also bei einem gehäuften Auftreten von Mängeln, eine (weitere) Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, unterliegt der wertenden Betrachtung des Tatrichters, ist in der Berufungsinstanz also nur eingeschränkt überprüfbar.[453] Unzumutbarkeit wird bejaht, wenn der bisherige Geschehensablauf aus Sicht eines verständigen Käufers bei wertender und prognostischer Betrachtung die Befürchtung rechtfertigt, es handele sich um ein Fahrzeug, das wegen seiner auf herstellungsbedingten Mängeln – namentlich auf schlechter Verarbeitung – beruhenden Fehleranfälligkeit insgesamt mangelhaft ist und auch zukünftig nicht über längere Zeit frei von herstellungsbedingten Mängeln sein wird,[454] wie z.B. bei immer wieder auftretenden verschiedenen Elektronikfehlern,[455] insbesondere wenn sie nicht den Vorschriften des Herstellerwerks entspricht.[456] So ist eine Nachbesserung für einen neuen, erstmalig auftretenden Mangel nicht mehr zumutbar, wenn bereits neun vorausgegangene Elektronikmängel gerügt und nachgebessert worden sind, die sich immer wieder anders ausgewirkt hatten.[457] Dagegen wurde die Nachbesserung für zumutbar gehalten bei einer Häufung von fünf Mängeln[458] und bei einem hochwertigen Wohnmobil sogar von 30 Mängeln, weil diese sich im Wesentlichen im Bagatellbereich bewegten.[459]

 

Rz. 160

Ein zweiter Nachbesserungsversuch kann als unzumutbar abgelehnt werden, wenn das Vertrauen des Käufers in die Zuverlässigkeit des Verkäufers aufgrund einer Vielzahl von Mängeln nachhaltig erschüttert ist,[460] die erste Nachbesserung dilettantisch und fehlerhaft erfolgt ist[461] oder wenn der erste Versuch erst nach einer zweiten Aufforderung deutlich nach Ablauf der angemessenen Frist erfolgt ist und erfolglos war. Dagegen genügt es noch nicht, wenn zuvor bereits mehrere andere geringfügige Mängel behoben werden mussten.[462] Auch allein eine schleppende Nacherfüllung berechtigt den Käufer in der Regel noch nicht zum Rücktritt, wenn der Käufer es versäumt hat, eine – angemessene – Frist zu setzen. Ausnahmen sind aber auch hier denkbar, wie z.B. bei einer Dauer von sechs Wochen bei einem dringend benötigten Pkw.[463]

 

Rz. 161

In allen Fällen arglistiger Täuschung ist dem Käufer grundsätzlich eine Nacherfüllung nicht zumutbar,[464] und zwar auch dann, wenn der Verkäufer die Mängelbeseitigung durch einen Drittunternehmer anbietet.[465] Ausnahmen hiervon werden als möglich angesehen, wenn der Schuldner nicht selbst arglistig gehandelt hat, sondern sich die Arglist von Hilfspersonen zurechnen lassen muss (vgl. hierzu Rdn 284 ff.).[466]

 

Rz. 162

Im Rahmen des VW-Abgasskandals wird die Unzumutbarkeit teilweise damit beg...

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