Rz. 26

Aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG folgt die allumfassende Elternverantwortlichkeit für die Entwicklung des Kindes. Aufgabe der Eltern ist es, das Kind zu einem eigenverantwortlichen Leben in der Gesellschaft zu befähigen[75] (siehe auch §§ 1626 Abs. 2, 1627 BGB, § 1 SGB VIII). Der staatlichen Gemeinschaft obliegt es aufgrund ihres aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG folgenden Wächteramts, über die Einhaltung dieser Pflicht zu wachen. Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG das natürliche Recht der Eltern, so dass ihnen vorrangig – und verfassungsunmittelbar – die Pflicht[76] zur Umsetzung dieser Erziehungsziele innerhalb der Familie zukommt. Dies erfolgt durch Pflege-, Betreuungs- und Erziehungsleistungen, die den kindlichen Bedürfnissen nach Liebe, Unterstützung sowie Vermittlung praktischer und kultureller Erfahrung genügen müssen. Durch Sachleistungen ist ferner der wirtschaftliche Bedarf der Kinder zu decken.

 

Rz. 27

Zwischen der elterlichen Sorge und dem aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Elternrecht besteht keine Kongruenz. Die Verfassung garantiert die von den Eltern wahrzunehmende Pflege und Erziehung nur in einem einfachrechtlich auszugestaltenden Rahmen.[77] Demgegenüber wird aber der Verantwortungsbereich der Eltern, gerichtet auf den Schutz der Rechte des Kindes gegenüber dem Staat oder Dritten, durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützt. Hieraus folgt etwa das Recht der Eltern, an einem gegen ihr Kind geführten Jugendstrafverfahren teilzunehmen.[78]

 

Rz. 28

Nach § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB umfasst die elterliche Sorge die Personensorge, näher geregelt in den §§ 16311633 BGB, und die Vermögenssorge, näher ausgestaltet in den §§ 16381649, 16981698b BGB. Sowohl die Personen- als auch die Vermögenssorge untergliedern sich ihrerseits in zwei Unterbereiche, deren Unterscheidung etwa für die §§ 1633, 1673 Abs. 2 S. 2 BGB sowie § 77 Abs. 3, Abs. 4 StGB Bedeutung hat: die tatsächliche Sorge und die rechtliche Sorge. Eine klare Abgrenzung beider Bereiche ist nicht durchgängig möglich. Die Systematik lässt sich anhand eines Schaubildes wie folgt darstellen:

 

Rz. 29

Die tatsächliche Sorge erstreckt sich auf die eigentlichen Fürsorgehandlungen im Interesse des Kindes. Hiervon erfasst werden etwa:

das Recht der Namensgebung,[79]
die Geburtsanzeige beim Standesamt,
Pflege, Erziehung[80] und Beaufsichtigung des Kindes,
die Aufenthaltsbestimmung,[81]
die ärztliche Betreuung,[82] einschließlich der Entscheidung über Schwangerschaftsabbruch (siehe dazu Rdn 96), Sterilisation (siehe Rdn 98), Lebendorganspende (siehe Rdn 99), Knabenbeschneidung (siehe dazu Rdn 101 ff.) und über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen für das Kind (siehe dazu Rdn 108),
Angelegenheiten der schulischen Ausbildung,[83]
Bestimmung der religiösen Erziehung,[84]
Umgang mit dem Kind (zum Umgangsbestimmungsrecht siehe § 4 Rdn 16 ff.; zur Umgangspflegschaft siehe § 2 Rdn 39),[85]
Entscheidung über Ort und Art der Kindesbestattung,[86]
Vaterschaftsanfechtung,
Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.
 

Rz. 30

Abzugrenzen hiervon ist die rechtliche Sorge. Diese umfasst die gesetzliche Vertretung des Kindes in Angelegenheiten der elterlichen Sorge, also das Handeln im Namen und mit Rechtswirkung für das Kind. Dazu zählen etwa

die Vertretung in Unterhalts-, Abstammungs- oder Strafverfahren,
die Stellung eines Strafantrages (§§ 77 Abs. 3, 77d Abs. 2 StGB),[87]
der Abschluss eines Ausbildungsvertrages,
die Einwilligung zur Eheschließung,[88]
Mitwirkung bei der Einbenennung,[89]
Vertretung in Verwaltungsangelegenheiten,[90] z.B. die Beantragung eines Reisepasses,
die Vertretung bei der Zeugnisverweigerung, wenn dem Kind noch die Verstandesreife zu deren Bewertung fehlt,[91]
die Todeserklärung (§ 16 Abs. 2 VerschG).
[76] BVerfG FamRZ 2008, 845; grundrechtsdogmatisch etwas andere Herleitung in BVerfG FamRZ 2013, 521; dazu Britz, Das Grundrecht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung – jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2014, 1069; allerdings jeweils ohne ausdrückliche Auseinandersetzung mit der erstgenannten BVerfG-Entscheidung; kritisch zu beiden grundrechtlichen Herleitungen Jestaedt, Kindesrecht zwischen Elternverantwortung und Staatsverantwortung – Herausforderungen des Eltern-Kind-Verhältnisses aus verfassungsrechtlicher Perspektive, Brühler Schriften zum Familienrecht, 21. Deutscher Familiengerichtstag, S. 65 ff.
[77] Windel, FamRZ 1997, 713.
[79] OLG Brandenburg FamRZ 2005, 1119.
[80] Einschließlich der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 SGB VIII, BVerwG FamRZ 2002, 668.
[83] OVG Münster FamRZ 2002, 232.
[84] AG München FamRZ 2002, 690.
[85] BGH, Beschl. v. 6.7.2016 – XII ZB 47/15, juris; AG Bad Säcki...

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