Rz. 267

In Präzisierung des Kontinuitätsgrundsatzes gilt es für das Kind als positiv, wenn ihm nach der Trennung seiner Eltern vertraute Bezugspersonen ebenso erhalten bleiben wie seine gewohnte Umgebung. Hierzu gehören etwa die bisherige Wohnung, der Kindergarten oder die Schule, der Freundeskreis, bisher frequentierte Vereine u.Ä.[1010] Es ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, welcher dieser Gründe für das Kind stärkere Bedeutung hat. Unter dieser Prämisse kann etwa der Fortsetzung der bisherigen Betreuungssituation durch einen bestimmten Elternteil Vorrang eingeräumt werden,[1011] auch wenn er umzieht.[1012] Denkbar ist aber auch, dass der Erhalt des bisherigen Umfelds für ein Kind starke Bedeutung hat, wenn gleichzeitig das bisherige soziale Bezugssystem, etwa zu den Großeltern, erhalten bleibt.[1013] Bei kleineren Kindern steht oft die personale Kontinuität im Vordergrund, während bei größeren Kindern und vor allem bei Jugendlichen der räumlich-sozialen Kontinuität häufig mehr Bedeutung zukommt.[1014] Eine mehrjährige Kontinuität mit eindeutigem Betreuungsvorteil für die Mutter kann durch eine sich anschließende eineinhalbjährige Betreuungskontinuität auf Seiten des Vaters kompensiert werden.[1015] Es existiert kein gesicherter Erfahrungssatz, dass der Wechsel der Hauptbezugsperson regelmäßig mit negativen Langzeitfolgen für die kindliche Entwicklung verbunden sein muss.[1016] Definitiv nicht schutzwürdig ist allerdings die sogenannte ertrotzte Kontinuität,[1017] wenn also ein Elternteil durch eigenmächtiges Verhalten den Aufenthalt des Kindes verändert hat und gegebenenfalls auch gleichzeitig die Umgangskontakte blockiert, um eine Entfremdung zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil herbeizu­führen und so widerrechtlich eine Kontinuität zu erzwingen, von der er sich Bedeutung im anschließenden Sorgerechtsverfahren erhofft. Hier ist der Familienrichter gefordert,[1018] auf entsprechenden Eilantrag des zurückgelassenen Elternteils unverzüglich und kurzfristig zu terminieren und das Eilverfahren größtmöglich zu beschleunigen.[1019] Insbesondere, wenn das Kind plötzlich aus der Obhut seines bislang hauptsächlich betreuenden Elternteils entrissen und aus seinem bisherigen örtlichen und sozialen Umfeld entfernt wird, entspricht eine rasche Rückkehr des Kindes an den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig dem Kindeswohl. Aber auch wenn der betreuende Elternteil plötzlich alle Zelte hinter sich abbricht, ist dies dem Kindeswohl nicht dienlich und bedarf auf Antrag des anderen Elternteils schnellstmöglicher Intervention des Gerichts (siehe dazu § 7 Rdn 6, 53 und 53 ff.).

[1010] BVerfG FamRZ 1981, 745; Oelkers, DAVorm 1995, 801.
[1011] BVerfG FamRZ 2007, 1797; Anm. Völker, FamRB 2008, 9.
[1012] OLG Brandenburg FamRZ 2001, 1021; OLG Köln FamRZ 1999, 181.
[1014] Vgl. KG FamRZ 2011, 1668; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.11.2011 – 9 UF 98/11 (n.v.).
[1015] OLG Hamm FamRZ 1994, 918.
[1016] OLG München FamRZ 1991, 1343.
[1017] OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1740; Viefhues, juris PR-FamR 17/2011, Anm. 2; OLG Brandenburg FamRZ 2011, 1739.
[1018] So in unmissverständlicher Deutlichkeit BVerfG FamRZ 2009, 189; Besprechung Völker/Clausius, FF 2009, 54; Anm. Völker, FamRB 2008, 366.

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