Leitsatz (amtlich)

›1. Bei im wesentlichen gleicher Erziehungseignung beider Elternteile kommt dem Kontinuitätsgrundsatz ausschlaggebende Bedeutung zu. Dies gilt auch - und gerade - nach Abschluss des Kleinkindalters, wenn Kinder etwa vier bis fünf Jahre alt sind.

2. Bei der Beurteilung der Kontinuität ist die Beibehaltung bestehender Bindungen zu anderen Verwandten - insbesondere zu Großeltern - mit zu berücksichtigen. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass eine gleichmäßige, jedoch dem Kindeswohl weniger zuträgliche Entwicklung unter Vernachlässigung anderer Aspekte des Kindeswohls fortgeführt wird. So kann die Fortsetzung der bisherigen Betreuungssituation für das Kind sich als so wichtig darstellen, daß dem betreuenden Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder Sorgerecht zugesprochen wird, obgleich er einen radikalen Umgebungswechsel vornimmt.

3. Mangelnde Bindungstoleranzen stellen ein starkes Indiz gegen die Erziehungsgeeignetheit des Elternteils dar.

4. In einem Beschluß, der einer Beschwerde stattgibt, ist über die Kosten der Beschwerdeinstanz nur dann zu entscheiden, wenn auch in dem angefochtenen Beschluß über die Kosten zu entscheiden war.‹

 

Verfahrensgang

AG Oranienburg (Aktenzeichen 34 F 168/99)

 

Gründe

Die gemäß § 620c S. 1 ZPO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Sie fuhrt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, dass der Antragsgegnerin das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter vorläufig zu übertragen ist.

Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 2 BGB ist bei Eltern, die nicht nur vorübergehend voneinander getrennt leben, die elterliche Sorge einem Elternteil allein zu übertragen, wenn bei widerstreitenden Anträgen zum Sorgerecht zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der gesetzlichen Konzeption kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne besteht, dass eine Priorität zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" in Betracht kommen sollte (BGH NJW 2000, 203 f. m. w. N.). Danach ist zu prüfen, inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen (BVerfG FamRZ 1982, 1179). Das Kindeswohl hat sich dabei an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern und an seine Geschwister sowie am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren (BGH FamRZ 1990, 392, 393).

Die dargestellten Grundsätze gelten uneingeschränkt auch, soweit es nur um Teilbereiche der elterlichen Sorge geht. In besonderem Maße trifft dies auf das - im vorliegenden Fall streitige - Aufenthaltsbestimmungsrecht zu, da es sich bei dieser Entscheidung über den künftigen Lebensmittelpunkt des Kindes um eine Angelegenheit von erheblicher Tragweite für das Kind handelt. Auch soweit die Eltern lediglich die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht begehren, ist die Entscheidung an den dargestellten Grundsätzen - im Rahmen einer summarischen Prüfung - zu messen.

Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrecht hat zu erfolgen, da es an der Kooperationsbereitschaft der Eltern hinsichtlich der Frage des Lebensmittelpunktes des Kindes fehlt; es kann auch nicht festgestellt werden, dass zukünftig die Aussicht auf eine (erneute) Einigung der Eltern hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung besteht. Hinzu kommt der praktische Umstand, dass die Eltern in größerer räumlicher Entfernung voneinander getrennt leben. Zwar spricht eine größere räumliche Entfernung nicht unmittelbar gegen die Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge; die Entfernung zwischen den Wohnorten ist jedoch bei der Beurteilung des Kindeswohls als weiterer Umstand mit zu berücksichtigen.

Für die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf die Antragsgegnerin spricht bereits der Grundsatz der Kontinuität, wonach es auf die Frage ankommt, welcher Elternteil in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteile inne gehabt hat. Der Kontinuitätsgrundsatz beruht auf der Erfahrung, dass die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen wichtig für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des heranwachsenden Menschen ist. Deshalb empfiehlt sich eine Sorgerechtsübertragung auf denjenigen Elternteil, der die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität des Erziehungsverhältnisses und seiner äußeren Umstände gewährleisten kann (OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 1511,1513; Oelkers in: Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 3. Aufl. 2001, S. 296 f.); ein häufiger Wechsel der Bezugs- und Betreuungsperson insbesondere bei jüngeren Kindern im Vorschulalt...

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